Das Wunder von Oslo

Die Debüt-CD der talentierten Lena Meyer-Landrut vor dem Justament-Gericht

Thomas Claer

scheiben-lenaSelbst in eher verschlafenen Wohngebieten wurden in der Nacht zum letzten Sonntag Raketen abgeschossen und Fahnen geschwenkt. Dabei hat doch die Fußball-WM noch gar nicht begonnen. Was also war geschehen? Nach 28 Jahren hat Deutschland, man mag es glauben oder nicht, wieder beim Grand Prix d’Eurovision de la Chanson gewonnen, der inzwischen Eurovision Song Contest heißt. Früher, als eine Schlagersängerin namens Nicole dort mit einem „bisschen Frieden“ erstmals die Trophäe nach Deutschland holte, war dieser Wettbewerb noch ein Ausbund an Scheußlichkeiten. Inzwischen, so muss man feststellen, hat sich die Veranstaltung in bemerkenswerter Weise bis hin zum veritablen Popsong geöffnet. Überhaupt ist der Song-Contest, auch bedingt durch die Explosion der Anzahl teilnehmender Länder seit 1990ff., zu einem Medien-Großereignis für ganz Europa geworden, das gerade in Zeiten der Euro-Krise für etwas Zusammenhalt sorgt. Und nachdem Deutschland dort in den letzten Jahren nur durch Blödeleien von Stefan Raab und Guildo Horn aufgefallen war, durfte diesmal ein echtes Nachwuchstalent ins Rennen: lovely Lena Meyer-Landrut, die die Herzen zunächst der deutschen und nun auch der europäischen Zuschauer im Sturm erobern konnte. Ein neuer Popstar ist geboren, der wohl schon dadurch eine Lücke füllt, dass er so ganz anders rüberkommt als die anderen weiblichen Musikgrößen dieser Generation: als die clevere diabolisch-raffinierte Lady Gaga etwa oder die grandios konfus-kaputte Amy Winehouse. Lena ist der vollkommene Kontrast, wirkt natürlich, aufgeweckt, selbstbewusst und doch zugleich bescheiden, ohne jede Spur von Arroganz. Dass sie keine Stimme habe, wie zur Zeit gerne in den Feuilletons behauptet wird, ist natürlich Unfug. Sie singt ganz ausgezeichnet, sehr individuell – und lässt vor allem viel Potential erkennen. Auch das Grand-Prix-Lied „Satellite“, das ein internationales Songwriter-Team geschrieben hat, ist gar nicht einmal schlecht, wenn auch bestimmt nicht überragend. Aber es muss ja, so funktioniert eben das Pop-Business, gleich eine ganze CD her, für die ihr Mentor und Manager Stefan Raab eilig noch ein paar harmlose Songs zusammengeschustert hat. Da darf man natürlich keine Wunder erwarten, wenngleich Lena auch mittelmäßige Songs mit der ihr eigenen Grazie bewältigt. Immerhin: So richtig Peinliches sucht man auf der Scheibe vergeblich. Und schließlich muss man es Lena hoch anrechnen, dass sie den heute zu Unrecht fast vergessenen Tonträger Audio-Cassette, mit dem vor allem die weit fortgeschrittenen Semester unter uns manch süße Erinnerung verbinden dürften, wieder ins mediale Rampenlicht gerückt hat. Das Urteil lautet: befriedigend (7 Punkte).

Lena
My Cassette Player
Usfo (Universal) 2010
Ca. € 17,-
ASIN: B003I4V8BU

Veröffentlicht von on Mai 31st, 2010 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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