Recht cineastisch, Teil 41: “In einem Land, das es nicht mehr gibt” von Aelrun Goette
Thomas Claer
Gerade erst dreieinhalb Jahrzehnte liegt das alles nun zurück, und doch kommt es einem vor, als ob die alte DDR, der selbsternannte erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden, den realsozialistischen Einheitsbrei-Löffel schon vor einer halben Ewigkeit abgegeben hätte. Und so wirken heute Filme, die in jener Epoche spielen, auf den Betrachter ähnlich entrückt wie Wildwest- oder Mantel- und Degen-Filme – oder wie die Landschaften aus verwunschenen Königreichen in Grimms Märchen. Eine Mischung aus Historienschinken und Kostümspektakel ist dann auch der neue Film der Berliner Regisseurin Aelrun Goette geworden, der erstmals eine bislang kaum beachtete Nische der damaligen ostdeutschen Gesellschaft ausleuchtet: die Modeszene der DDR. Doch, so etwas hat es sehr wohl gegeben, und sie hat in diesem sehr besonderen Biotop sogar ziemlich besondere Blüten getrieben.
Auf der einen Seite gab es da die streng formalistisch durchgestylte Welt rund um die einzige DDR-Modezeitschrift „Sibylle“, der die Staatsmacht ganz erstaunliche Freiheiten einräumte. Man kann sogar sagen, dass diese Ost-Mode, fernab von Popularitäts- oder gar Profitabilitätskriterien und im selbstbewussten Gegensatz zum durchkommerzialisierten Westen, eine ganz eigene Ästhetik hervorgebracht hat. Und auf der anderen Seite war da, wenn auch vornehmlich nur in Ost-Berlin, der wild-anarchische Underground, der sich aus diversen Subkulturen speiste, die dann wiederum doch sehr stark von westlichen und internationalen Vorbildern beeinflusst waren.
Was man allerdings auch als gebürtiger Ossi nicht gedacht hätte, ist, wie durchdrungen diese scheinbar so entgegengesetzten beiden Mode-Welten tatsächlich voneinander waren. So rekrutierte sich ein nicht unwesentlicher Teil der Sibylle-Fotografen aus subversiven Szene-Existenzen, die auch immer wieder mit der Staatsmacht in Konflikt gerieten. Dieser ganz ausgezeichnete Film erzählt nun ihre Geschichte – und ist dazu noch ein Riesenspaß mit all den schrillen und bunten Klamottenstilen, immer begleitet vom Soundtrack dieser Zeit zwischen internationaler Disco-Popmusik und alternativem Krach aus beiden Hälften der geteilten Stadt.
Aber wenn sich nun jemand fragt, wie es denn überhaupt so etwas wie Mode in der DDR geben konnte, wo es doch kaum etwas Ansehnliches zu kaufen gab: Es wurde gebastelt, geschneidert und improvisiert. Jedes Heft der „Sibylle“ enthielt Anleitungen dazu. Und das offenbar mit dem Segen der Partei…
In einem Land, das es nicht mehr gibt
D 2022
Länge: 100 Minuten
FSK: 12
Regie: Aelrun Goette
Drehbuch: Aelrun Goette
Darsteller: Marlene Burow, Sabin Tambrea, David Schütter u.v.a.