Recht cineastisch, Teil 43: “Roter Himmel” von Christian Petzold
Thomas Claer
Was gibt es Schöneres als ein Ferienhäuschen nahe der Ostsee! Und dort dann einen unbeschwerten Urlaub zu verbringen! Doch haben sich Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel), die Protagonisten in Christian Petzolds neuem Film “Roter Himmel”, mit ganz anderen Absichten an diesem idyllischen Rückzugsort auf der Halbinsel Darß, nordöstlich von Rostock, eingefunden: Leon, ein gefeierter junger Schriftsteller, kämpft verzweifelt mit seinem zweiten Roman. Sein Verleger Helmut (Matthias Brandt) rückt ihm bereits auf die Pelle. Leons Kumpel Felix, dessen Mutter die Küsten-Preziose gehört, werkelt indessen an der Bewerbungsmappe für seinen anvisierten Kunst-Studiengang an der UdK. Hier nun, ein paar Autostunden entfernt von ihrem Wohnort Berlin, wollen die beiden Freunde endlich mal zur Ruhe kommen und sich jeweils ganz auf ihre bedeutsamen Vorhaben konzentrieren. Doch alles kommt anders, als sich herausstellt, dass sie das hübsche Anwesen auch noch mit Nadja (Paula Beer), der Nichte der Freundin von Felix’ Mutter, teilen müssen, die sich wegen eines verpassten Stipendiums zum Abschluss ihrer literaturwissenschaftlichen Promotion als Eisverkäuferin im nahegelegenen Küstenort verdingt hat. Nadja agiert nämlich bei ihren nächtlichen Liebes-Aktivitäten mit dem einheimischen Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs) so geräuschvoll, dass Leon und Felix im Nachbarzimmer kein Auge zutun können. Als sich die beiden Neuankömmlinge tags darauf bei ihr darüber beschweren, lädt sie sie als Wiedergutmachung zum selbstgekochten Essen ein, und schon bald kommen die vier jungen Leute sich näher…
Der Film lebt anfangs sehr von seiner heiteren Grundstimmung und entfaltet ein beträchtliches humoristisches Potential durch Thomas Schuberts grandioses Mienenspiel. Sehr überzeugend gibt er den verklemmten, dauerhaft miesepetrig-genervten Leon, der nicht zum Strand und nichts mit Nadja unternehmen möchte, in die er sich tatsächlich aber schon längst sowas von verknallt hat. Doch verdüstern sich die Rahmenbedingungen zusehends. Die in der Umgebung grassierenden Waldbrände kommen dem Ferienhaus bedrohlich nahe, und schließlich kippt der Film jäh ins Existentiell-Tragische. All das ist mustergültig durchkomponiert: Jede literarische Anspielung, von Heinrich Heine bis zu Uwe Johnson, findet ihre Entsprechung im Handlungsablauf. Zugleich ist dieser Film jedoch viel zugänglicher, als wir es von Christian Petzolds früheren, z.T. sehr verkopften Werken gewohnt waren. Kurzum, “Roter Himmel” erweist sich als ein rundum sehenswerter, vielschichtiger Sommer-Film.
Roter Himmel
Deutschland 2023
Regie: Christian Petzold
Drehbuch: Christian Petzold / Florian Koerner von Gustorf
Länge: 103 Minuten
FSK: 12
Darsteller: Thomas Schubert (Leon), Paula Beer (Nadja), Langston Uibel (Felix), Enno Trebs (Devid), Matthias Brandt (Helmut)