HEUTE: Dr. Wolfgang Bittner
Nachdem er sich während des Referendariats zuweilen wie eine Figur aus Kafkas Romanen vorkam, entschloss sich der Dichterjurist nach einem kurzen Zwischenspiel als Rechtsanwalt zu einer Existenz als freier Schriftsteller. Den Auftakt bildeten 1975 seine polemischen „Rechts-Sprüche“, in denen er mit der Justiz abrechnete. Seitdem schreibt der 1941 im heute polnischen Gleiwitz Geborene über Heimatlosigkeit („Niemandsland“) und neue Heimaten („Flucht nach Kanada“) für Erwachsene und Heranwachsende. Promoviert hat Bittner über den „Gewahrsamsbegriff und seine Bedeutung für die Systematik der Vermögensdelikte“. Das mehrfach ausgezeichnete PEN-Mitglied lebt und arbeitet heute wieder in Göttingen. (Weitere Informationen unter www.wolfgangbittner.de)
1. Worin besteht für Sie der „Kampf ums Recht“ (Jhering)?
Für mich geht es um Gerechtigkeit, wozu unabdingbar das Prinzip Gleichheit gehört.
2. Warum haben Sie ausgerechnet Jura studiert?
Als ich nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Barackenlager aufwuchs, habe ich viele Ungerechtigkeiten erfahren. Daraus entwickelte sich ein starkes Gerechtigkeitsempfinden und -bedürfnis, so dass mich die Rechtswissenschaft, insbesondere die Rechtsphilosophie und das Strafrecht, zu interessieren begannen. Hinzu kam die Überlegung, dass man als Jurist viele Berufsmöglichkeiten hat.
3. Warum sollte man heute noch Jura studieren?
Man sollte nicht, aber man kann. Ich hoffe, dass sich die Justiz, die immer konservativ war (und eine Gesellschaft braucht in Maßen solche Elemente) weiterentwickelt, nachdem die furchtbaren alten Nazijuristen endlich gestorben sind.
4. In welcher Vorlesung haben Sie sich am meisten gelangweilt?
In Vorlesungen eines Professors, der seitenweise aus einem von ihm verfassten ziemlich trockenen Lehrbuch ablas.
5. Welche alternative Verwendung fällt Ihnen für den Schönfelder ein?
Ein Justiz-Roman.
6. Welches Fach hätten oder haben Sie neben Jura studiert?
Neben Jura habe ich Philosophie und Soziologie studiert (außerdem Tiefbauarbeiter und Taxifahrer).
7. E.T.A. Hoffmann sagte über sich: „Wochentags bin ich Jurist, sonntags Zeichner und abends ein sehr witziger Autor bis spät in die Nacht.“ Wie halten Sie’s?
Überwiegend war und bin ich Schriftsteller, hin und wieder Publizist, manchmal Künstler, selten bin ich noch Jurist.
8. Welche déformation professionelle haben Sie mittlerweile an sich festgestellt?
Dem bin ich entgangen, indem ich Schriftsteller wurde. Der verdiente Rechtsphilosoph Gustav Radbruch, der als Reichjustizminister der Weimarer Republik ein leuchtendes Vorbild für heutige Politiker sein könnte, schrieb in seiner „Einführung in die Rechtswissenschaft“: „Der verfehlte Beruf aber ist die größte Sünde, recht eigentlich die Sünde wider den heiligen Geist – wider den eigenen dadurch verkümmerten, verkrüppelten und verrenkten Geist.“ Die Jurisprudenz war für mich zwar kein verfehlter Beruf, aber ich hatte andere Vorstellungen und Möglichkeiten.
9. Welche verjährte Straftat haben Sie zuletzt begangen?
Als Jugendlicher habe ich (aus Hunger) Rüben geklaut.
10. Welche drei Bücher würden Sie ins Gefängnis mitnehmen?
Ich würde gern mal vom ersten bis zum letzten Satz die drei Bände des „Kapital“ von Karl Marx lesen.
11. Wer sind Ihre liebsten Romangestalten?
Der Ich-Erzähler aus Maxim Gorkis autobiographischen Romanen; Franz Werfels Besucher F.W. aus dem Roman „Stern der Ungeborenen“; Erich Wegner aus meinem Roman „Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben“…
12. Anatole France stellte fest, dass die erhabene Gleichheit des Gesetzes es dem Reichen genauso wie dem Armen verbiete, auf den Straßen zu betteln, Brot zu stehlen und unter den Brücken zu schlafen. Was kritisieren Sie am geltenden Recht?
Das Gleiche wie Anatole France.
13. Wenn Sie ein Tag lang Gesetzgeber sein könnten, welche Gesetze würden Sie abschaffen oder erlassen?
Zu erlassen wären: Gesetze zur Eindämmung des ungehinderten Kapitalflusses; Gesetze gegen die sog. Heuschrecken …Abzuschaffen wären: Das BKA-Gesetz in der vorliegenden Fassung sowie die verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungs- und Standortdaten …Mir würde noch erheblich mehr einfallen.
14. Welche Rechtsreform bewundern Sie am meisten?
Die noch nicht vollzogene Reform des Finanz- und Wirtschaftswesens.
15. Welcher historische Jurist hätten Sie sein mögen und warum?
Kein Jurist!
16. Wer hätte einen Nobelpreis für Jura verdient?
Gustav Radbruch. Er trat zum Beispiel als Reichstagsabgeordneter und zeitweiliger Reichsjustizminister bereits Anfang der 1920er Jahre für eine einheitliche Freiheitsstrafe sowie für die Zulassung von Frauen in allen Berufen der Justiz und für eine 3-Monats-Fristenlösung zum Schwangerschaftsabbruch ein.Fritz Bauer, zuletzt hessischer Generalstaatsanwalt, einer der wenigen Juristen, die von den Nazis verfolgt und in die Emigration gezwungen wurden.Karl Liebknecht, der 1914 im Reichstag gegen die Kriegskredite stimmte.
17. Weshalb sollte man Juristen lieben?
Man sollte Juristen lieben, wenn man sie heiraten will.
18. Wie würden Sie reagieren, wenn über Nacht die Profession der Juristen obsolet werden sollte?
Das ist nicht mein Problem. (Einige Juristen haben sich seinerzeit schon furchtbar aufgeregt, als das Barett abgeschafft wurde.)
19. Wann haben Sie zuletzt ein Stoßgebet an St. Ivo gerichtet, den Schutzpatron der Juristen?
Ich habe noch nie ein Stoßgebet an St. Ivo gerichtet.
20. Welche juristische Weisheit möchten Sie uns noch auf den Weg geben?
Justiz ist die Fortsetzung der Sozialpolitik mit anderen Mitteln.
Ersonnen von Jean-Claude Alexandre Ho, inspiriert von Marcel Proust und Max Frisch.