Innovation und Digitalisierung bei Wolfgang Hoffmann-Riem

Zwei Monographien eines „Affiliate Professors“

Matthias Wiemers

Der 1940 in Hannover geborene Wolfgang Hoffmann-Riem zählt zu den wirkmächtigsten bundesdeutschen Juristen der letzten Jahrzehnte.

Er war nicht nur Bundesverfassungsrichter und Justizsenator in Hamburg, sondern hat sich immer wieder aktiv an der Weiterentwicklung des Rechts – nicht nur des Verwaltungsrechts – beteiligt.

So hat Hoffmann-Riem schon vor 25 Jahren eine Reihe „Schriften zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung“ (bei Nomos) und vor 15 Jahren zu „Innovation und Recht“ (bei Duncker & Humblot) (mit-)begründet. Er war Mitherausgeber der „Grundlagen des Verwaltungsrechts“ (seit 2006 bei Beck), denen eine ganze Reihe unter dem Titel „Neue Verwaltungswissenschaften“ (bei Nomos) vorangegangen war.

Nunmehr arbeitet der Autor nach seiner Emeritierung an der Hamburger Universität seit 2012 als Affiliate Professor für Recht und Innovation. Die hier vorzustellenden Werke dürfen als Meilensteine seiner dortigen Arbeit gelten. Dies vorweg.

Der sehr umfangreiche Band „Innovation und Recht – Recht und Innovation“, der bereits 2016 erschienen ist, greift Erfahrungen und Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte auf und bringt sie in einen umfassenderen systematischen Zusammenhang. Die deutet schon der Untertitel an: „Recht im Ensemble seiner Kontexte“.

Im ersten Teil wird zunächst das Anliegen der Untersuchung beschrieben und auch begründet, warum „Innovation und Recht“ ein Referenzthema der rechtswissenschaftlichen Forschung ist. In diesem Feld sei nach Hoffmann-Riem „insbesondere für eine kontextbezogene Rechtswissenschaft“ Exemplarisches zu beobachten (S. 12). Dabei wird deutlich, dass es letztlich um eine „wirkungsorientierte Steuerung durch Recht“ geht, Alles in allem um ein weites, die Kontexte einziehende Betrachtung von Recht Es wird der Wandel von Gesellschaft, Staat und Recht beschrieben und die Notwendigkeit „transfachlicher Offenheit“ – offenbar ein neuer Begriff – betont. Teil zwei ist den Phänomenen der Rechtsanwendung und Rechtsdurchsetzung gewidmet, der dritte Teil der „Rechtsetzung“. Erst im vierten Teil geht es um „Innovationen – Innovationsforschung“, worin der Autor seine bisherigen Erkenntnisse systematisch zusammenfasst. Besonders hinzuweisen ist hier auf § 17, wo u. d. T. „Innovationsziele im Recht“ einige Beispiele für Innovationsförderung aus verschiedenen Teilen der Rechtsordnung aufgezeigt werden: Vergaberecht, Energierecht, Telekommunikationsrecht, Raumordnungsgesetz, Aufenthaltsgesetz, Mittelstandsförderungsgesetz. Dem gehen ein Überblick über Innovationsforschung in verschiedenen Wissenschaftsgebieten (§ 15) und insbesondere der rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung voran (§ 16). Das dritte Kapitel stellt die Bezüge zwischen Innovationspolitik und Rechtspolitik her.

Im fünften Teil stellt Hoffmann-Riem den Umgang der Rechtsordnung mit Wissen und Nichtwissen dar und fragt im sechsten Teil nach den Möglichkeiten des Rechts zur Einwirkung auf nichtrechtliche Innovationsprozesse. Hier werden praktisch ganze Gesellschaftsbereiche noch einmal mehr unter dem Gesichtspunkt der Innovationsförderung abgeklopft. Fragt man danach, worin denn hier der Unterschied zu den vorstehenden Ausführungen bestehen soll, so wird dies implizit dadurch beantwortet, dass „Recht und Innovation“ hier als Referenzgebiet dient. Der siebte Teil („Innovationen im Recht“) zeigt praktisch bislang erfolgte Innovationen im Recht auf, von denen Grundrechtsinnovationen, wie sie in § 34 dargestellt werden, nur ein prominentes Beispiel genannt sein mögen. Den Sprung zur Digitalisierung wagt Hoffmann-Riem im achten Teil, wo das „Innovationsgeschehen unter Nutzung der digitalen Kommunikationsinfrastrukturen“ dargestellt wird. In diesem Abschnitt werden in aller Kürze die drei Problemkreise dargestellt: „Besonderheiten der Internetökonomie“ (§ 38), „Regelungsregime im Bereich der Internetkommunikation“ (§ 39) und schließlich „Rechtliche Innovationspotentiale angesichts globaler Freiheitsgefährdungen“ (§ 40).

In einem „Rückblick“ stellt der Autor noch einmal die Ergebnisse seiner Gesamtuntersuchung dar (Neunter Teil). Darin fast der Autor die Ergebnisse seiner Forschungen in nicht weniger als 150 Thesen zusammen – eine grandiose Forschungsleistung

Der zweite Band ist im vergangenen Jahr als Band 11 in der Reihe „Schriften zum Recht der Digitalisierung“ erschienen.

Hier, wo umfassend das „Recht im Sog der digitalen Transformation“ betrachtet wird, wird „Innovation“ zwar nicht in einem Kapitel explizit thematisiert, findet aber im Text hier und dort ihren Ort. Der Untertitel dieses Bandes lautet „Herausforderungen“. Auch in diesem Band finden wir wieder „Besonderheiten der IT-Ökonomie“, die hier als Abschnittsüberschrift in einem Kapitel über „Insbesondere: Vermachtungen im IT-Bereich“ (§ 10) auftaucht. Insgesamt geht es hierbei um Wechselwirkungen zwischen technologischem und sozialem Wandel und Recht sowie auch um den Wandel im Recht (Vorwort). Dabei sieht der Autor durchaus auch die Vorteile der Digitalisierung, etwa bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie (S. 8 ff.). Er beginnt mit einer Darstellung der digitalen Transformation als eines Ereignisses von epochaler Bedeutung (§ 1). Digitalisierung erscheint hier als Innovation, Disruption und Innovationsermöglichung. Es wird sodann etwas über die Vorgehensweise bei der Behandlung des Themas berichtet und ein „konstruktivistischer Ansatz“ unterbreitet (§ 2). Beim Blick über den juristischen Tellerrand (§ 3) kann der Ökonom Joseph Schumpeter mit seinem Bild der „schöpferischen Zerstörung“ nicht fehlen (S. 21), doch auch andere Disziplinen als die Ökonomie werden hier einbezogen. Hoffmann-Riem präsentiert sodann „Bausteine der Digitalisierung“ (§ 4), angefangen von „Daten“ bis hin zu „Blockchain“ Sodann tritt uns der Steuerungswissenschaftler Hoffmann-Riem entgegen. Zunächst arbeitet er die Unterschiede zwischen der Steuerung durch analog gestaltete Rechtsnomen und Regeln in Gestalt algorithmischer Systeme heraus (§ 5), wobei er eine Anpassung der Rechtssprache an ein maschinenverträgliches Format ablehnt (S. 48), Sodann wird beispielhaft aufgezeigt, wo die Grenzen der Standardisierbarkeit rechtserheblicher Faktoren in Bezug auf verwendbares Wissen liegen (§ 6). In der Folge zeigt Hoffmann-Riem die Notwendigkeiten bei der Softwareentwicklung auf und trifft dabei das Herz des Problems in Deutschland. Unter der Zwischenüberschrift „Insbesondre: Zum Zusammenwirken von Bund und Ländern beim Aufbau und Betrieb informationstechnischer Systeme infolge von Art. 91c GG“ (S. 65) beschreibt der Autor die inzwischen errichtete institutionelle Infrastruktur aus IT-Planungsrat, FITKO und „Dataport“.

Erst dann werden „Felder besonderer Aufmerksamkeit beim Umgang mit der digitalen Transformation“ (§ 8) beschrieben, die von der Beschreibung strukturell bedingter Schwierigkeiten der rechtlichen Ausgestaltung des Einsatzes algorithmischer Systeme gefolgt werden (§ 9). Der Autor blickt auf „Vermachtungen im IT-Bereich“ (§ 10) und formuliert „Aufträge zur Gewährleistung des Schutzes individuell und kollektiv bedeutsamer Güter durch Recht“ (§ 11), wofür er von der das Beispiel der Post-Privatisierungen in den 1990er Jahren als Ausgangspunkt heranzieht. Weitere Themen sind Selbstregulierung (§ 12), nicht-hoheitliche Regelung durch Intermediäre, also Plattformen (§ 13), Ausschließlichkeits- und Zugangsrechte (§ 14), Technosteuerung von Verhalten (§ 15), rechtliche Ausgestaltung algorithmischer Systeme, (§ 16), Rechtsschutz bei Inverkehrbringen, Inbetriebnahme und Verwendung von KI (§ 17), Datenschutz (§ 18), Kartellrecht (§ 19), einer Zusammenfassung hinsichtlich des rechtlichen Umgangs mit den Herausforderungen der digitalen Transformation (§ 20). Sodann werden fünf Rechtsgebiete im Hinblick auf Möglichkeiten des Schutzes von Interessen und Rechtsgütern beim Einsatz algorithmischer Systeme: Polizeirecht (Gefahrenabwehr und Strafverfolgung), Medienrecht, Haftungsrecht, Arbeitsrecht und Kapitalmarktrecht (§ 21). Das nächste Kapitel ist dem Phänomen Legal Tech gewidmet (§ 22), sodann wird nach den Herausforderungen der digitalen Transformation für Rechtswissenschaft und Praxis (§ 23) gefragt, bevor noch einmal „Anforderungen an den weiteren Umgang mit der digitalen Transformation im Bereich des Rechts“ (§ 24) in Form einer Auswahl formuliert werden. Kenner der Materie können auch sogleich § 24 lesen, wo es – unter Überschrift „J. Ausweitung von Trans- und Interdisziplinarität“ u. a. heißt: „Die Forderung nach einer stärkeren Trans- und Interdisziplinarität rechtswissenschaftlicher Arbeit ist alt und sie wird auch in vielen Teilen der Rechtsordnung akzeptiert und von vielen Wissenschaftlern und Praktikern aufgegriffen. Die Digitalisierung unterstreicht die Notwendigkeit, neugierig auf die Erkenntnisse und Vorgehensweisen anderer Wissenschaften zu sein und von ihnen Anregungen aufzugreifen, wenn sie dem Verständnis oder der Lösung spezifischer Probleme dienen“ (S. 293).

Auch im hiesigen Schlusskapitel (§ 25) geht es nicht nur um eine Zusammenfassung der Ergebnisse, sondern auch um einen Ausblick. Im Ausblick kommt Hoffmann-Riem nicht zuletzt wieder auf das Thema Innovation zu sprechen: „Es lohnt sich jedenfalls, den Änderungsprozesse fortzuführen und das Recht dabei in seinen Fähigkeiten auch als Innovationsermöglichungsrecht zu nutzen und zugleich für Innovationsverantwortung beim Handeln der Akteure und bei der Schaffung von Strukturen zu sorgen.“ Herausgefordert sieht der Autor hier Rechtspolitik, Rechtsetzung, Rechtsanwendung, Rechtswissenschaft sowie Rechtslehre – aber auch die Bürgerinnen und Bürger (S. 302 f.).

Es mag nun so sein, dass die studentischen Hilfskräfte an der Bucerius Law School, denen der Autor im Vorwort des Bandes besonders dankt, auch manch „Übersetzungsleistung“ allerneuester Entwicklungen beispielsweise im Bereich „social media“ erbracht haben. Aber dies ist natürlich reine Spekulation und Vorurteil, die sich aus dem Geburtsjahr des Autors ableiten.

Alles in allem dürfen wir Hoffmann-Riem aber sicher als einen stets aufgeschlossenen Zeitgenossen bezeichnen. Dies zeichnete sich schon durch seine Beteilung an der Einstufigen Juristenausbildung und etwa als Herausgeber der Nr, 4 der JuS-Schriftenreihe (1977) mit dem Titel „Sozialwissenschaften und im Studium des Rechts“ ab sowie zuvor schon durch das eigene Studium von Wirtschaftswissenschaften und Soziologie neben dem Jurastudium. Schließlich kann er als „der“ Rundfunkrechtler aus dem Kreis der Öffentlichrechtler bezeichnet werden, der sich seit Jahrzehnten stets neuen Entwicklungen der elektronischen Medien und ihrer Regulierung gewidmet hat. Insofern erweist sich das Recht der Digitalisierung auch als eine Fortsetzung des Rundfunkrechts, das einst mit einer Zuteilung knapper Frequenzen begonnen hatte. Im Bereich der Digitalisierung gilt es gewissermaßen, Freiheiten der Monopolisten wieder zu verknappen. Hierzu hat der „Affiliate Professor“ W.H.-R. bedeutende Beiträge vorgelegt. Wie keinen zweiten Juristen in Deutschland kann man ihn als die Verkörperung der Interdisziplinarität bezeichnen.

 

Wolfgang Hoffmann-Riem
Innovation und Recht, Recht und Innovation
Mohr Siebeck 2016
862 Seiten; 89 Euro
ISBN 978-3-16-154441-5

Wolfgang Hoffmann-Riem
Recht im Sog der digitalen Transformation
Mohr Siebeck 2022
352 Seiten; 69 Euro
ISBN 978-3-16-161199-5

 

 

 

 

 

Veröffentlicht von on Aug 7th, 2023 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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