Nina kann sich freuen

Aus dem Tagebuch einer Rechtbaldreferendarin

Liebes Tagebuch!

Eigentlich dürfte ich dir gar nicht schreiben, denn eigentlich müsste ich lernen. Und eigentlich müsste ich wahnsinnig froh darüber sein, denn ich lerne für die mündliche Prüfung! Jeder Jurastudent weiß, welche Bedingung beim Staatsexamen nach der Conditio-sine-qua-non-Formel nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass die mündliche Prüfung entfällt… Also habe ich wirklich Grund zur Freude, dass ich die Schriftlichen erfolgreich hinter mir gelassen habe. Wenn da nur nicht noch diese mündliche Prüfung wäre!

In meinem Vortrag habe ich Strafrecht als Rechtsgebiet gewählt und um mich darauf einzustimmen, habe ich bereits einen Krimi von Mary Higgins Clark gelesen. Wenn es in dem Vortrag also um Entführung, Nötigung und Freiheitsberaubung gehen sollte, kann ich auf jeden Fall mitreden. Ich hoffe, die Prüfer haben sich vorsorglich mit dem amerikanischen Rechtssystem vertraut gemacht…

In der Mündlichen soll es ja in erster Linie auch gar nicht um reine Wissensabfrage gehen, habe ich gehört. Es sei vielmehr so etwas wie ein psychologischer Test. Vielleicht sollte ich also wirklich gar nicht mehr lernen, sondern besser ein paar Ausgaben „Psychologie heute“ lesen?! Aber die Psychologie von heute kann morgen ja schon wieder Schnee von gestern sein. Wenn ich aus dem Fenster gucke, dann scheint mir das angesichts des Winteranfangs sogar sicher. Bleibt mir doch nichts anderes übrig, als zu lernen? Liebes Tagebuch, was glaubst du denn, was ich die letzten anderthalb, ach, was sag ich – FÜNF Jahre meines Lebens gemacht habe?!!! Wie kann sich ein Kopf danach nur so leer anfühlen?
Angesichts der mündlichen Prüfung tauchen ja noch ganz andere Fragen auf, die nicht juristischer Natur sind: Was ziehe ich bloß an? Diese Frage macht einem weiblichen Wesen ja noch viel mehr zu schaffen, als der ganze fachliche Kram. Darf ich überhaupt Schmuck tragen? Was ist mit meinen Lieblingsohrringen, die mir schon in der Schriftlichen viel Glück gebracht haben? Darf ich sie tragen, wenn ich mich bereits für eine fette Kette entschieden habe, die das Tattoo auf meinem Oberkörper verbergen soll? Scherz bei Seite – so eine fette Kette gibt es gar nicht. Und um dich wirklich zu beruhigen: es gibt auch kein Tattoo, das es zu verbergen gilt. Aber die Ohrringe müssen sein, ohne sie bin ich einfach aufgeschmissen. Welches Outfit passt denn bloß dazu? Du siehst, liebes Tagebuch, bevor ich überhaupt lernen kann, muss ich mich zunächst um die wesentlichen Dinge kümmern. Wenn ich diese existenziellen Fragen erstmal geklärt habe, dann ist der Rest doch ein Kinderspiel. Und dann kann ich mich auch darüber freuen, dass ich für die mündliche Prüfung lernen darf!

Veröffentlicht von on Sep 6th, 2010 und gespeichert unter LIEBES TAGEBUCH, NINA. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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