Der Liliput-Jurist

Lehrbuch und Fallsammlung zum Recht der Sozialen Arbeit neu aufgelegt

Matthias Wiemers

Sozialarbeiter sind eine immer noch wachsende Berufsgruppe. Wenn man sich einmal mit den Curricula ihrer Studiengänge beschäftigt, muss man sich als Jurist wundern: Was die alles in ein oder zwei Semestern an Rechtsthemen behandeln, dafür brauchen angehende (Voll.)Juristen mehrere Jahre. Wichtig ist hier eine Erkenntnis, die sich noch nicht bei allen Hochschulen und Dozierenden herumgesprochen hat: Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter werden keine Juristen und brauchen deshalb auch den Gutachtenstil nicht zu beherrschen! (Auch wird oftmals zu detailliert Europarecht erläutert; hier muss man im Grunde nur wissen, was eine Richtlinie und was eine Verordnung ist und welche für den Beruf relevanten EU-Rechtsakte konkret existieren.)

Was sie aber tun müssen, ist, ihren Klienten Orientierung geben. Und hierzu müssen sie zunächst einmal selbst orientiert sein. Insofern sind Sozialarbeiter tatsächlich so etwas wie kleine Juristen (Die Überschrift hier wurde nur wegen der höheren Aufmerksamkeit gewählt, die sie hoffentlich hervorruft.)
Vorzustellen ist hier nicht das umfangreichste Werk zum Recht der (oder: in der) Sozialen Arbeit, aber das soweit ersichtlich einzige mit einer eigenen Fallsammlung, das zugleich speziell auf die entsprechenden Fachhochschulstudiengänge zugeschnitten ist.

Der Band startet mit einer Einführung, die mit ganz praktischen Fragen beginnt, aber auch hier wird zunächst ein kleiner Fall geschildert., auf den im Text dann zurückgegriffen wird. Fragen, die hier eingangs beantwortet werden, sind etwa: Wo finde ich ein Gesetz? Wie lese ich ein Gesetz? Wie zitiere ich ein Gesetz? Wie finde und zitiere ich Urteile? Aber dann kommt ein Exkurs über die Frage, ob Soziale Arbeit eine Profession oder nur ein Beruf sei. Diese Fragestellung an dieser Stelle erscheint unverständlich. Selbstverständlich spricht vieles dafür, das professionelle Selbstverständnis eines so vielfach vorkommenden Berufs zu stärken, und gerade gilt es – wie es hier versucht wird – den Beruf in das richtige Verhältnis etwa zu dem des Juristen zu setzen. Dass von einer Deprofessionalisierung, wie es in dem einseitigen Exkurs angedeutet wird, keine Rede sein kann, zeigen doch gerade die vielen Studiengänge an unzähligen Fachhochschulen in allen Teilen der Republik. Bei der nachfolgenden Diskussion der Sozialen Arbeit als Sozialer Dienstleistung wird dann die Gliederung des Bandes fortgesetzt. Im Kapitel B wird überhaupt allgemein „Die Rechtsordnung in ihrer abstrakten Struktur“ gargestellt, während die nachfolgenden Kapitel C bis J den konkreten Tätigkeitsfeldern der Sozialen Arbeit gewidmet sind. Schon in der Einführung A. wird systematisch in das Berufsfeld sowie die Entwicklung von Sozialpädagogik und Sozialer Arbeit eingeführt und die Fokussierung auf die insgesamt acht Tätigkeitsfelder begründet. Dies sind:
– Soziale Arbeit im Kontext finanzieller Problemlagen (TF 1 /Kap. C.)
– Soziale Arbeit mit Paaren, Familien, Kindern und Jugendlichen (TF 2/Kap. D)
– Berufsausübung in der Sozialen Arbeit (TF 3/ Kap. E)
– Soziale Arbeit und Bildung (TF 4/ Kap. F)
– Soziale Arbeit und Behinderungen (TF 5/ Kap. G)
– Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (TF 6/ Kap. H)
– Soziale Arbeit im Kontext von Migration und Flucht (TF 7/ Kap. I)
– Soziale Arbeit im Kontext von Gewalt und Straffälligkeit (TF 8/ Kap. J).

Damit sind in der Tat alle denkbaren Tätigkeitsfelder erfasst. Das erste Kapitel schließt mit der Lösung des Eingangsfalls, der in aller Kürze deutlich macht, worum es bei Sozialer Arbeit geht: Klienten umfassend beraten zu können unter Einschluss der rechtlichen Möglichkeiten, die aber stets nur einen Teil des Handlungsspektrums Sozialer Arbeit ausmachen (Die Autoren wählen hier andere Worte, aber darum geht es). Die Autoren zeigen hier auch gleich auf, welche Themenfelder des Bandes in dem kleinen Eingangsfall angesprochen sind.
Auch Kapitel B beginnt wieder mit einem Fällchen, und dieses beginnt mit dem Menschenbild unserer Rechtsordnung und der Menschenwürde – eine wirklich ausgezeichnete Herleitung. Sodann geht es aber gleich praktisch weiter mit der Rechtsfähigkeit und der Geschäftsfähigkeit. Das Kapitel enthält in kleinem Schriftbild und über ca. 140 Seiten die gesamte Rechtsordnung systematisch erklärt und ist mit mehreren kleinen Fall-Beschreibungen und Lösungen durchzogen. Wer sich auf eine Klausur vorbereiten will, ist hiermit bestens bedient.
Die nachfolgenden Kapitel zeigen dann wie beschrieben einzelne Tätigkeitsfelder auf. Besonders hervorzuheben ist, dass die darin ebenfalls enthaltenen Fälle jeweils unter unterschiedlichen rechtlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Die Nutzer lernen hier auch am praktischen Fall, die Perspektiven der einzelnen Rechtsgebiete zu unterscheiden. Die Fußnotennachweise sind in den weiteren Kapiteln überschaubar und enthalten eher weiterführende praktische Hinweise. Anders ist dies in den Kapiteln A und B, und das Literaturverzeichnis am Ende des Bandes lässt ohnehin keine Wünsche offen.

Man fragt sich dann sogleich, was man sich eigentlich wünschen könnte, das in einem zweiten Band unterzubringen wäre, der hier „Fallsammlung und Arbeitshilfen“ genannt wurde. Und hier wird der Leser geradezu überwältigt vom didaktischen Ansatz des zweiten Bandes. Er folgt nämlich in seinen Kapiteleinteilungen dem ersten Band. In der Einführung (A.) wird zunächst die Fallbearbeitung aus sozialarbeiterischer Perspektive erläutert, dann das juristische Denken und Vorgehen erläutert und schließlich die juristische Fallösungstechnik kurz dargestellt. Hier werden dann in aller Kürze Gutachten- und Urteilstil präsentiert. Dies mag noch vertretbar sein, allerdings hat der Rezensent – wie eingangs erwähnt – Zweifel daran, ob dies von Sozialarbeitern verlangt werden sollte. Es ist allerdings etwas anderes, ob man davon gehört und gelesen hat und ob die Fähigkeit, Gutachten zu schreiben, dann auch in Prüfungen abgefordert wird. Ohnehin erscheint es angebracht, Studierenden ans Herz zu legen, dass man nicht nur für die Klausur lernt, sondern in die Lage versetzt werden muss, in der beruflichen Praxis auch mit unbekannten Problemen umgehen zu können. Hierzu liefert das jetzt aktualisierte Paket aus dem Nomos Verlag die optimalen Voraussetzungen.

Das einzige Problem: Sie müssen die Bücher kaufen und nutzen. Dies ist häufig noch weniger beliebt als bei „richtigen“ Jurastudierenden. Tun Sie es trotzdem!

– Stock / Schermaier-Stöckl / Klomann / Vitr – Soziale Arbeit und Recht: Lehrbuch, Nomos Verlag, 3. Auflage 2024, 589 Seiten, 44 Euro, ISBN 978-3-7489-1486-0

– Stock / Schermaier-Stöckl / Klomann / Vitr – Soziale Arbeit und Recht: Fallsammlung und Arbeitshilfen, Nomos Verlag, 3. Auflage 2024, 246 Seiten, 29 Euro, ISBN 978-3-7560-0070-8

Veröffentlicht von on Jan 22nd, 2024 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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