Standardkommentar zum SGB VII neu aufgelegt
Matthias Wiemers
Die Gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland ist bekanntlich eine besondere Art der Sozialversicherung. Weil zur Zeit ihrer Einführung wirklich viele Arbeiterinnen und Arbeiter schwer verletzt und getötet wurden und die Unternehmer noch richtige Kapitalisten waren, sind Unternehmerinnen und Unternehmer bis heute alleinige Finanzierer dieser zweitältesten Sozialversicherung (1884). Diese Versicherung macht recht selten von sich reden, das Gesetz – inzwischen Teil VII des SGB – wird selten geändert und es scheint auch noch Geld im großen Topf zu sein. Aus all diesen Gründen braucht es nicht so viele Kommentierungen, und vor allem nicht ständig Neuauflagen.
In der bekannten handlichen Reihe der Nomos Handkommentare (grau-rot), ist nun die immerhin schon sechste Auflage erschienen, die von Becker, Franke, Molkentin und Hedermann herausgegeben wird. Das als „Lehr- und Praxiskommentar“ bezeichnete Werk wird von insgesamt 17 Autorinnen und Autoren bearbeitet, die entweder Hochschullehrer in der versicherungseigenen Hochschule oder aktive bzw. ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialverwaltung sind.
Der Kommentar enthält keine Einführung, sondern steigt direkt in die Einzelkommentierungen ein. Dies ist angesichts der Ausflaggung als Lehr- und Praxiskommentar zu kritisieren, aber vermutlich sind die Studierenden an der GUV-Hochschule so gut ausgestattet bzw. erhalten Lehrmaterialien ohnehin gestellt, so dass der Kommentar für sie nicht gleichzeitig Lehrbuchfunktionen erfüllen muss. Die Einzelkommentierungen überzeugen aber durch ihren direkten Zugriff (wo eben eine Einführung zusätzliche Informationen geliefert hätte, ohne die Einzelkommentierungen zu belasten). Sie setzen bereits Grundkenntnisse des GUV-Systems voraus. Wichtige weitere Vorschriften wie die Berufskrankheiten-Verordnung sind in die Kommentierung der Einzelvorschriften integriert (bei der BKV in § 9 SGB VII über die Berufskrankheiten).
Die kritischen Anmerkungen von zuvor müssen aber relativiert werden, wenn man an das Ende des Kommentars gekommen ist. Denn dort findet sich das Vermisste – als „Anhang“ ausgewiesen. Hier versteht es Mitherausgeber Thomas Molkentin, auf wenigen Seiten die rechtlichen Besonderheiten der GUV darzustellen, die nur vorhandenes Wissen im (Allgemeinen) Verwaltungsrecht voraussetzen. Wer sich also mit den Spezifika der GUV und des SGB VII vertraut machen will, beginne seine Lektüre hier!
Alles in allem liegt mit der Neuauflage eine aktuelle Kommentierung der für Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen bedeutsamen Gesetzlichen Unfallversicherung vor. Zugleich handelt es sich um ein Spezifikum der Bundesrepublik Deutschland – im Zusammenspiel mit dem zum Arbeitsrecht gehörenden Arbeitsschutzrecht, das sich inzwischen aus EU-Richtlinien speist, ist es allerdings inzwischen auch eine Quelle überbordender Bürokratie. Dabei, dass es nicht noch schlimmer wird, helfen freilich handliche Kommentierungen wie diese.
Becker/Franke/Molektin/Hedermann (Hrsg.), SGB VII. Gesetzliche Unfallversicherung. Nomos Verlag, 6. Auflage 2024, 1000 Seiten, 139 Euro. ISBN: 978-3-8487-7430-2