Der digitale Staat, ein deutsches Trauerspiel in nunmehr drei Akten

Margrit Seckelmann legt die dritte Auflage eines Handbuchs vor

Matthias Wiemers

Die Hannoveraner Verwaltungsrechtlerin Margrit Seckelmann, vor ihrem Ruf nach Hannover lange Zeit an Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer tätig und hat schon die Vorauflage dieses Werks im Jahre 2019 herausgegeben. Würde man die beiden Auflagen inhaltlich nebeneinanderlegen, wären sicherlich Veränderungen auszumachen. Umfangmäßig enthält der Band nun 120 Seiten mehr, und zu verarbeiten waren natürlich das Scheitern des Online-Zugangsgesetzes (OZG) im ersten Anlauf und die auch an die Verwaltung ganz neue Anforderungen stellende Corona-Pandemie.
Seckelmann geht in ihrem Vorwort auch tatsächlich auf die Pandemie ein, während ein zweites Stichwort, mit dem vor fünf Jahren niemand rechnete – ChatGPT – ebenfalls Erwähnung findet und zeigt, welche zusätzliche Dimension sich bei der Verwaltungsdigitalisierung auftut, wenn man an die so genannte künstliche Intelligenz denkt (Viele, die die Chiffren „KI“ bzw. „AI“ inzwischen ähnlich verwenden wie vor einigen Jahren die „Digitalisierung“ lassen allerdings an ihrer „NI“ zweifeln). Wegen der neuersten Entwicklungen wurde der Band um Kapitel erweitert und hat andererseits auch solche verloren, so dass sich die Gesamtzahl der Kapitel sogar um eins vermindert hat. Das im Jahre 2018 große Thema der EU-Datenschutzgrundverordnung, das möglicherweise zuletzt drei Kapitel nach sich zog, dürfte weitgehend „verdaut“ sein, dass das „Datenschutzrecht“ nunmehr in einem Kapitel (17) abgehandelt wird.
Der wieder in sieben Teile gegliederte Band beginnt mit einer auch historisch angelegten Darstellung „Vom E-Government zur Digitalisierung“, die prinzipiell schon eine Gesamtdarstellung des Themenfelds im Kleinen beinhaltet. Das zweite Kapitel ist dem „Smart Government“ gewidmet, wo zahlreiche mögliche Anwendungsfelder im Rahmen einer Vision der „Verwaltung 4.0“ durchgemustert werden, aber durchaus auch „Sorgen am Horizont“ im Sinne der „Dystopie einer smarten Politik“ durchaus gesehen werden. Im erscheint allerdings der Beitrag als zu optimistisch. Anstelle einer totalen Digitalisierung, die sich mit der Hoffnung zu verbinden scheint, eine oder mehrere KIen könnte(n) Gefahrenlage besser begegnen als der Mensch, wäre sicher schon viel gewonnen, wenn nur die jeweils politisch Verantwortlichen nur ihre Arbeit machten und zudem die föderale Struktur unseres Landes ernsthaft auf den Prüfstand gestellt würde – und zwar nicht nur im Hinblick auf eine zarte Verkleinerung des Deutschen Bundestages. Das dritte Kapitel handelt von „Datenbanken sowie Ordnungs- und Personenkennzeichen“. Kapitel 4 fragt nach dem OZG als Einstieg in eine weitreichende Transformation des öffentlichen Sektors – und gibt eine differenzierte, aber insgesamt positive Antwort. Weitere Themen des unter dem Titel „E-Government, Open und Smart Government und Digitalisierung: Begriffe, Probleme und Chancen“ firmierenden ersten Teils sind „Big Data Analytics und künstliche Intelligenz“ (Kap. 5), „Transparenz und Open Government“ (Kap. 6) sowie „Elektronisch unterstützte Partizipationsverfahren und e-Voting“ (Kap. 7). Der zweite Teil behandelt die „Organisation und E-Government-Gesetze“ und zwar unter den Gesichtspunkten von „Der unionale Rahmen von E-Government“ (Kap. 8), „Der bundesrechtliche Rahmen und die Kooperationstatbestände“ (Kap. 9), „Der landesrechtliche Rahmen von E-Government“ (Kap. 10) und schließlich kommunal mit „Die digitale Stadt und Gemeinde – Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für die lokale Gemeinschaft“ (Kap. 11). Teil III ist „Kommunikation und Verfahren“ gewidmet und zwar mit den Einzelkapiteln „Rechtssichere elektronische Kommunikation“ (12), „Vollautomatisierte Verwaltungsverfahren, vollautomatisiert erlassene Verwaltungsakte und elektronische Aktenführung“ (13), „E-Vergabe“ (14), „Barrierefreiheit“ (15) und „Elektronische Kommunikation mit den Verwaltungsgerichten“ (16). Teil IV handelt von „Datenschutz und Datensicherheit“ mit den Kapitel zum „Datenschutzrecht“ (17) und „Sichere Informationstechnik“ (18). Einzelne „Einsatzfelder“ von digitalen Anwendungen werden in Teil V behandelt, und zwar Cloud Computing (19), Soziale Medien (20), Einsatzmöglichkeiten bei der Polizei (21), „Sicherheitsbehördliche Vernetzung und Datenschutz“ (22), „Geodaten – Anwendungsfeld und Pionier des E-Government“ (23) und „Smart Grids“ (24).
Teil VI ist dem „Personal“ gewidmet und behandelt die „Elektronische Personalaktenführung“ (25), das Thema „Führung in der Netzwerkverwaltung“ (26) sowie „Digitale Kompetenzen“ (27).
Sind in den vorherigen Kapitel die Visionen mehr oder weniger ubiquitär vorhanden, so werden sie im letzten Teil VII gewissermaßen offiziell ausgeflaggt: „Akzeptanz und Visionen“. Dabei ist die „Bürgerseitige Akzeptanz des E-Government“ Thema des vorletzten (28.) Kapitels, während „Die Blockchain in der öffentlichen Verwaltung“ (29) offenbar unter die Rubrik Visionen“ gebucht werden soll. Dabei wird man gerade von der Blockchain sagen müssen, dass sie zwar anspruchsvoll, aber sicher ist. Das Problem der Praxis besteht hier darin, so viel Akzeptanz zu gewinnen, dass sich Nutzerinnen und Nutzer sowohl in der Verwaltung wie auch in deren Publikum gemeinschaftlich darauf einlassen müssen, sichere Wege der Kommunikation nutzen zu wollen. Und beim Personal, um noch eine andere wichtige Ressource anzusprechen, träumen praktisch die öffentlichen Verwaltungen aller Ebenen davon, dass künftig mit hinsichtlich digitaler Anwendungen besser ausgebildetes Personal das schrumpfende Angebot an ausbildungsfähigen jungen Leuten kompensieren vermag. Hierzu müssten dann allerdings die Entscheiderinnen und Entscheider selbst heute bereits so kompetent in der Sache sein, dass sie die je „ihre“ Verwaltung in ausreichendem Maß mit den richtigen Ressourcen auszustatten bereit wären. Und diese Entscheidungen kann ihnen keine „KI“ abnehmen…
Alles in allem aber dürfte es sich bei dem Werk um „das“ Standardwerk zur Thematik der Verwaltungsdigitalisierung handeln, so dass es von Praktikern wie auch in der akademischen Lehre nicht entbehrt werden kann. Allen Autorinnen und Autoren ist für ihren Mut, auch solche Ideen und Vorschläge vorzutragen und zu diskutieren, die Praktiker und juristische Bedenkenträger wie der Rezensent nicht sogleich verstehen und für realistisch halten mögen.
Wir befinden uns in einem laufenden Prozess, der alle Bürgerinnen und Bürger etwa angeht.

Margrit Seckelmann (Hrsg.)
Digitale Verwaltung, vernetztes E-Government
Erich Schmidt Verlag, 3. Auflage 2024
878 Seiten; 118,00 Euro
ISBN: 3503237623

Veröffentlicht von on Aug 19th, 2024 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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