„Eine weltoffene Grundhaltung“

Justament-Autorin Martina Weber zu Besuch beim Frankfurter Rechtsanwalt und Migrationsrechts-Experten Dr. Stephan Hocks

RA Dr. Hocks

RA Dr. Hocks

Dr. Stephan Hocks studierte Jura in München, Freiburg im Breisgau und Frankfurt am Main. Nach dem Studium war er am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte und dann in einer deutsch-britischen Rechtsanwaltskanzlei tätig. Seit dem Jahr 2004 arbeitet er als selbständiger Rechtsanwalt in Frankfurt am Main. Sein Tätigkeitsschwerpunkt ist das Migrationsrecht (Ausländer- und Asylrecht).

Justament: Zu meiner Studienzeit galt Ausländerrecht als Randfach für sozial Engagierte, die sich nicht für Geld interessieren. Gibt es so etwas wie den typischen oder klassischen Ausländerrechtler?

Dr. Stephan Hocks: Ja sicher, vor allem unter den älteren Kollegen finden sich noch einige, die das Ausländerrecht nicht nur sozial, sondern auch politisch verstehen, die in der Auseinandersetzung mit Bundesamt und Ausländerbehörde, aber auch mit Gericht und Polizei, eine antietatistische Betätigung finden. Aber das zählt heute weniger, das Ausländerrecht wird heute von vielen – vor allem jungen Juristen – betrieben, die alle ihre eigenen Gründe haben, so dass es den klassischen Ausländeranwalt nicht mehr so gibt. Für die meisten aber ist das verbunden mit einer weltoffenen und auf Integration ausgerichteten Grundhaltung. Und ich denke auch, dass hier das persönliche Interesse mehr den Ausschlag gibt, als etwa bei einer Entscheidung für das Bank- und Kapitalmarktrecht. Nicht verschweigen darf man aber auch, dass es hier und da Anwälte gibt, die das Ausländerrecht als Feld ausersehen haben, hohe Vorschüsse zu nehmen, um dann dem unwissenden und wirklich nach dem letzten Strohhalm greifenden Mandanten unhaltbare Versprechungen zu machen. Gegen dieses Image des Winkeladvokaten mit seinen mitleidheischenden Schriftsätzen, das interessanterweise auch gerne von Richtern kolportiert wird, muss man durch solide juristische Arbeit entgegentreten.

Justament: Wann und wie haben Sie Ihren Zugang zum Ausländerrecht gefunden? Wo und wie haben Sie sich Ihre Kenntnisse angeeignet?

Dr. Stephan Hocks: Das war erst sehr spät, während des Referendariats im Wahlfach Verwaltungsrecht bei einem Rechtsanwalt, der auf Asylrecht spezialisiert war. Das Ausländerrecht habe ich durch eigene Lektüre, viele Gespräche mit Kollegen und durch Erfahrung näher kennengelernt. Es gibt für Anwälte auch gute Fortbildungsveranstaltungen. Leider ist die Materie recht kompliziert und fast uferlos, das macht aber auch den Reiz aus. Wo sonst kann man in der alltäglichen Arbeit völker-  oder verfassungsrechtlich argumentieren, das Europarecht anwenden und zugleich mit der Kenntnis von Verwaltungsvorschriften oder ministeriellen Erlassen aus den einzelnen Bundesländern überzeugen wollen? Berufserfahrung, ob als Strafverteidiger oder Zivilrechtsanwalt, ist auch nicht schlecht, so sehr unterscheidet sich der Verwaltungsprozess auch nicht. Es hilft auch bei der Organisation der Kanzlei und dem Umgang mit Mandanten, wenn man allgemein anwaltliche Erfahrung hat.

Justament: Wie werden ausländische Ratsuchende, die vielleicht gerade erst nach Deutschland eingereist sind, auf Sie als Rechtsanwalt aufmerksam?

Dr. Stephan Hocks: Die allermeisten Mandate kommen über die private Empfehlung von Familienmitgliedern oder Freunden. Das führt dann auch oft dazu, dass man als Anwalt bestimmte ethnische Gruppen als Mandanten hat. Es kommt auch vor, dass andere Anwälte, die im Ausländerrecht selbst nicht beraten, oder auch soziale Einrichtungen einem den einen oder anderen Mandanten schicken. Im Übrigen ist die Nachfrage nach aufenthaltsrechtlicher Beratung immer noch immens, so dass man sich über fehlende Kundschaft nicht beschweren kann.

Justament: Wie funktioniert die Verständigung, wenn beispielsweise eine eben eingereiste Familie aus Eritrea den Weg in Ihre Kanzlei findet?

Dr. Stephan Hocks: Da sind es die Verwandten oder Freunde, die als Übersetzer mit zum Termin kommen. Das ist natürlich keine glückliche Lösung, weil diese Personen oft nicht genau übersetzen, sondern eher erklären und begründen, warum jemand zum Beispiel Asyl bekommen muss. Dann leidet auch die Qualität der Beratung. Heikel wird es auch bei sehr persönlichen Themen. Aber es ist die kostengünstigste Lösung, einen  professionellen Dolmetscher mit ca. 40-55 Euro pro Stunde kann sich der Mandant meistens nicht zusätzlich leisten, und einen Zuschuss hierfür – etwa im Wege der Beratungs- oder Prozesskostenhilfe – gibt es nicht.

Justament: Sie vertreten vor allem Mandanten aus den Ländern Ostafrikas und aus den Ländern Iran und Afghanistan. Wie hat sich dieser Schwerpunkt ergeben?

Dr. Stephan Hocks: Der Schwerpunkt hat sich durch besagte Empfehlungen und wiederkehrende Fälle aus diesem Bereich ergeben. Hinzu kommt aber auch, dass diese Länder asylrechtlich bedeutsam sind. Bei Iran oder Afghanistan liegt das auf der Hand, da muss man ja nur einmal die Auslandsnachrichten verfolgen. Ähnlich ist das auch mit Somalia, Eritrea oder Äthiopien.

Justament: Ist es notwendig, sich als Migrationsrechtsanwalt auf eine Herkunftsregion zu spezialisieren?

Dr. Stephan Hocks: Im Asylrecht ist eine Länderspezialisierung unumgänglich, wie sonst kann man Aussagen über eine politische Verfolgung oder anderweitige Gefährdung einschätzen. Auch das Bundesamt, das den Asylantrag prüft, hat nach Ländern spezialisierte Außenstellen, ebenso ist es bei den verschiedenen Kammern bei den Verwaltungsgerichten. Wenn der Mandant berichtet, bei einer bestimmten Oppositionspartei Mitglied gewesen zu sein, ist es gut, wenn man darüber etwas weiß, etwa, wie die Gerichte die Gefährdung sehen, was andere Quellen hierzu berichten oder einfach nur, dass man den Parteiausweis schon einmal gesehen hat. Es ist ja auch sehr bedeutsam, die Glaubhaftigkeit einer Aussage des eigenen Mandanten zu beurteilen. Der Anwalt darf dem Mandanten keine „gute Geschichte“ vorgeben (auch wenn manche das wollen), aber er kann den Mandanten darauf hinweisen, mit welchen Einwänden und Rückfragen er bei seiner Anhörung konfrontiert wird. Aber ganz wichtig: Das mit der Spezialisierung gilt nur für den Asylbereich, das normale Ausländerrecht, wenn es um die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis geht, den Familiennachzug oder das Visum zum Studieren oder Arbeiten, das alles erfordert keine Länderspezialisierung, weil es da ja egal ist, wo jemand herkommt.

Justament: Wie ist denn das Verhältnis zum Gericht, haben Sie den Eindruck, dass das Ausländerrecht und der auf Ausländerrecht spezialisierte Anwalt dort den angemessenen Stellenwert haben?

Dr. Stephan Hocks: Das Ausländer- und Asylrechtrecht ist bei den Verwaltungsrichtern nicht wirklich beliebt, nach dem Geschäftsverteilungsplan wird es oft gleichmäßig auf alle Kammern des Verwaltungsgerichts verteilt, so dass irgendwie jeder Richter damit befasst ist. Richtig spezialisiert darauf sind nur die Wenigsten. Das Verhältnis zu den Richtern ist durch eine gewisse Distanz geprägt, die mündlichen Verhandlungen sind oft beklemmend, weil die Richter mit ihrer Mimik und Körpersprache dem Ausländer Verständnis signalisieren zu müssen glauben, was der Anwalt nicht für bare Münze nehmen darf. Der Mandant glaubt nach einer solchen Verhandlung dann immer, dass er gewonnen hat, was leider vielfach nicht stimmt. Die offene Kommunikation in der Verhandlung muss dann der Anwalt suchen, der Richter hat dafür ja seine schriftliche Urteilsbegründung.

Justament: Sie arbeiten auch in der Rechtsberatung am Frankfurter Flughafen. Inwiefern unterscheidet sich Ihre Arbeit am Flughafen von der in Ihrer Kanzlei?

Dr. Stephan Hocks: Damit meinen Sie die asylrechtskundige Beratung für abgelehnte Asylbewerber im Flughafenverfahren. Ja, diesen vom Steuerzahler finanzierten Beratungsnotdienst verdanken wir dem Bundesverfassungsgericht, das das Verfahren am Flughafen, wo die Asylbewerber im Transitbereich festgehalten werden und eine Rechtsmittelfrist von nur drei Tagen gegen ihren Ablehnungsbescheid haben, nur unter dieser Einschränkung für verfassungsgemäß erklärt hat: Der Asylbewerber muss Zugang zu einer kostenfreien asylrechtskundigen Beratung haben. Und dafür gibt es einen Notdienst, der vom Anwaltsverein organisiert ist und vom Bundesamt bezahlt wird. Die Beratung erfolgt notgedrungen vor Ort im Flughafen-Transit und leidet unter der dort herrschenden sterilen und haftähnlichen Atmosphäre. Ich versuche dann immer, den Menschen zu erklären, dass sie einen unabhängigen Anwalt vor sich haben und keinen Vertreter des Staates. Das sind keine guten Voraussetzungen für ein Mandat, immerhin bekommt man von der Bundespolizei einen Tag vorher die Akte gefaxt. Insgesamt sind die Bedingungen schlecht, drei Tage Rechtsmittelfrist sind auch für einen Anwalt kurz, das Flughafenverfahren sollte man abschaffen, wie es auch von Kirchen und Flüchtlingsorganisationen gefordert wird. Auch der Umstand rückläufiger Flüchtlingszahlen spricht in diese Richtung.

Justament: Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind das Aufenthaltsrecht, das beinhaltet auch Abschiebung und Asyl. Da geht es um die Existenz und es fällt vermutlich manchmal schwer, die fachliche Einschätzung von der persönlichen zu trennen.

Dr. Stephan Hocks: Ja, es ist nicht immer leicht, den Abstand zu wahren. Aber wie überall, es gibt unlösbare Fälle, bei denen man nichts mehr machen kann, da lässt sich manches leichter verarbeiten. Schlimm sind die Grenzfälle, in denen man davon überzeugt ist, dass einem Menschen im Heimatland wirklich existenzielle Gefahren drohen, aber die Behörde oder das Gericht das nicht teilen. Da hilft nur, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.

Justament: Sie beschäftigen sich seit dem Jahr 2004 mit Ausländerrecht. Welche Entwicklungslinien und Tendenzen haben Sie beobachtet?

Dr. Stephan Hocks: Das Thema ist sehr präsent, alle reden von Integration und von Einwanderung, wenn es zum Beispiel um Fachkräfte geht.  Ausländerbehörden wurden in manchen Bundesländern schon in Integrationsämter umbenannt. Das ist die öffentliche Seite, in vielen Einzelfällen kann man aber auch viel Widerstand erfahren. Auch die Bundesgesetzgebung ist sehr restriktiv und groß angekündigte Reformen fallen halbherzig aus. Wenn man mit älteren Kollegen spricht, hört man von einer Verschlechterung der Verhältnisse. Im Asylrecht hat sich eine gravierende Verschlechterung durch das so genannte „Dublin-Verfahren“ ergeben, damit ist die EU-Zuständigkeitsverordnung gemeint. Das mittlerweile europaweit funktionierende System der Speicherung von Fingerabdrücken (EURODAC) ermöglicht es dem Bundesamt, die Asylbewerber unter Anwendung des EU-Rechts in die Einreiseländer zurückzuschieben. Dass die wenigsten Asylbewerber direkt in die Bundesrepublik Deutschland kommen, ohne vorher ein anderes EU-Land illegal durchreist zu haben, muss man nicht erklären. Und dass diese Länder in den Randlagen damit hoffnungslos überfordert sind, auch nicht. Nehmen wir mal Griechenland als Beispiel, der Zugang zum Asyl ist dort nahezu unmöglich, ich meine damit die Möglichkeit, überhaupt erst einen Asylantrag zu stellen, vernünftig angehört zu werden und dabei einen Dolmetscher zu haben. Auch die soziale Situation ist dort verheerend. Aus diesem Grund haben viele Verwaltungsgerichte – und seit dem Jahr 2009 auch das Bundesverfassungsgericht –  angefangen, Überstellungen von Asylbewerbern nach Griechenland vorläufig auszusetzen. Spannend wird das, wie das mit den anderen Mittelmeerstaaten weitergeht. Für den Anwalt und den Mandanten jedenfalls ist das alles belastend, weil dem Asylbewerber nicht mehr nur die Abschiebung in den Heimatstaat droht, sondern auch die Überstellung in einen anderen EU-Staat. Letzteres übrigens ohne vorherige Androhung und – nach dem Willen des Gesetzgebers – auch ohne richtigen Eilrechtsbehelf. Das kann man sich nicht vorstellen, aber es ist so, da muss man nur mal in den § 34a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz gucken. Ähnlich wie bei dem Flughafenverfahren, das ich eben erwähnte, kann hier Besserung wohl nur noch vom Bundesverfassungsgericht kommen.

Justament: Um doch noch einmal auf das leider existentiell notwendige Thema „Geld“ zu sprechen zu kommen: Wovon bezahlen Asylbewerberinnen und Asylbewerber Ihre anwaltliche Tätigkeit?

Dr. Stephan Hocks: Sie zahlen selbst, dafür gibt es Ratenzahlung. Das stimmt natürlich nicht für alle Fälle, auch der familiäre Zusammenhalt wirkt sich hier positiv aus, in Deutschland lebende Angehörige unterstützen den Mandanten häufig. Schwierig ist es, wenn ein Mandant über keine familiären Beziehungen verfügt. Manchmal helfen auch die Kirchen oder Flüchtlingsorganisationen. Ja, und wenn man bei Gericht gewinnt, dann erstattet der Staat die Auslagen. So hat man als Anwalt spätestens hier sein persönliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits (lacht). Aber im Ernst, das Geld ist Thema, aber das wirtschaftliche Auskommen ist niemals in Gefahr.

Justament: Als Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main haben Sie Kontakt zu Studierenden. Wie unterscheidet sich die heutige Generation der Jura Studierenden von Ihrer eigenen?

Dr. Stephan Hocks: Eine schwierige Frage, ich habe den Eindruck, dass die Fragen der Berufswahl und der Zwang zur Qualifizierung hier sehr viel früher eine wichtigere Rolle spielen. Aber sonst sehe ich keine Unterschiede.

Justament: Was gefällt Ihnen bei Ihrer Arbeit auf dem Bereich des Migrationsrechts am besten?

Dr. Stephan Hocks: Die Arbeit ist abwechslungsreich, international und menschlich interessant. Man erlebt viele Momente, die so gar nichts mit dem Alltag zu tun haben und begleitet Menschen in Phasen weitreichender Entscheidungen. Außerdem hat man mit anderen Anwälten auf diesem Gebiet ein tolles kollegiales Verhältnis, es gibt eigentlich keine Konkurrenz um die Mandate, man arbeitet an einem gemeinsamen Ziel. Auch die Zusammenarbeit mit Flüchtlingsorganisationen macht Freude.

Justament: Welchen Rat können Sie einem Referendar geben, der sich auf Ausländerrecht spezialisieren möchte? Welche Fähigkeiten sind außer den üblichen fundierten justischen Kenntnissen wünschenswert oder erforderlich?

Dr. Stephan Hocks: Eine gute, aber auch schon sehr ausführliche Einführung bietet das Buch Huber / Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht aus der NJW-Praxis-Reihe. Ansonsten lernt man mit Erfahrung, die sich im Ausländerrecht auch gut im Verbund mit ehrenamtlichen Beratungsstellen machen lässt, die einem schon sehr frühzeitig die Mitarbeit – wenigstens aber die Gelegenheit der Hospitation – bieten. Zu den anderen Fähigkeiten: wichtig sind Englischkenntnisse, weil das die Zweitsprache für den Kontakt mit den Mandanten ist, viele Urkunden – etwa aus Afrika – werden einem in dieser Sprache vorgelegt. Außerdem sind Lageberichte und Literatur Menschenrechts-Themen häufig in englischer Sprache verfasst.

Justament: Und welche Empfehlung haben Sie für eine Berufsanfängerinnen oder Berufsanfänger im Anwaltsberuf, die im Ausländer- und Asylrecht tätig werden möchten?

Dr. Stephan Hocks: Mut haben, anfangen, sich einlassen.

Justament: Vielen Dank für das Gespräch.

Kontakt:
Dr. Stephan Hocks, Eschenheimer Anlage 15, 60318 Frankfurt am Main.
Homepage: www.ra-hocks.de

Veröffentlicht von on Nov 1st, 2010 und gespeichert unter DRUM HERUM, KANZLEIREPORT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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