Die Taxifahrt. Eine Urlaubsgeschichte

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

niemals würde ich hierzulande auf die Idee kommen, in ein Taxi zu steigen, höchstens in absoluten Notfällen. Ist doch viel zu teuer: Nur ein kleines Stück fahren, da kommt man schnell auf 30 Euro oder sogar mehr. Wozu hat man schließlich ein Deutschlandticket und wohnt nahe am S- und U-Bahnhof? Aber im Urlaub in Südkorea, da ist es etwas anderes, denn dort ist das Taxifahren weitaus billiger. Ich schätze mal, es kostet ungefähr halb so viel wie hier, obwohl der Lebensstandard sowie das Einkommens- und Preisniveau ansonsten nicht weit unter dem hierzulande liegt. Nur die Dienstleistungen sind dort generell viel günstiger, was natürlich auch heißt: deutlich schlechter bezahlt. Was wohl vor allem auch daran liegt, dass der Sozialstaat in Südkorea weitaus weniger großzügig ist als hier, sodass es einen Niedriglohnsektor aus weniger qualifizierten Tätigkeiten gibt, die einem an jeder Ecke regelrecht spottbillig angeboten werden: vor allem erstklassige Gastronomie (obwohl die Lebensmittelpreise beim Einkaufen kaum günstiger sind als hier), Friseure und eben Taxifahrten. Das Preisniveau regelt dann der Markt, weshalb es sich für die Angehörigen der Mittelklasse in Südkorea ziemlich bequem leben lässt, für die unteren Einkommensschichten hingegen muss es wohl recht mühsam sein.

Wir steigen also in Pusan aus dem Zug und treffen dort die Freundin meiner Frau, die früher mal wie wir in Berlin gewohnt hat. Was wir uns denn in Pusan am liebsten ansehen wollen, fragt sie uns? Da sage ich gleich: Den Strand natürlich und das Meer! Da kommt man aber leider mit den öffentlichen  Verkehrsmitteln nicht so gut und schnell hin, weshalb die Freundin meiner Frau uns vorschlägt, ein Taxi zu nehmen. Eine halbe Stunde soll die Fahrt dauern und für drei Personen gar nicht so viel teurer sein als drei Bahn- und Bustickets, obwohl die auch deutlich günstiger sind als hier, mal abgesehen vom Deutschlandticket, versteht sich.

Also rein ins Taxi und los geht die Fahrt durch dichten Verkehr. Der Fahrer ist ziemlich gesprächig. Woher ich denn komme, will er gleich auf Englisch wissen. Aus Deutschland? Da war er ganz in der Nähe. In Strasbourg hat er früher studiert. Und er redet immer weiter, bis es irgendwann langsam nervt. Zumal er auch immer mehr rechtslastiges Zeug erzählt. Was für gute Gene die Deutschen doch hätten, das sei noch von den Wikingern. Und die Geburtenrate in Deutschland sei doch auch noch ganz in Ordnung, jedenfalls verglichen mit den 0,67 Kindern pro Frau in Südkorea. Und dann erzählt er, dass er Pastor sei und eine eigene Kirchgemeinde habe. In Südkorea, wo die Religionen keine staatliche Förderung erhalten, sind Pastoren quasi freie Unternehmer und leben von den Zuwendungen, die sie aus ihrer Kirchgemeinde bekommen. Wer damit zu wenig verdient, der fährt z.B. nebenbei noch Taxi.  Er drückt mir seine Visitenkarte in die Hand. Die schmeiße ich aber draußen in den nächsten Papierkorb, denke ich mir.

Das Problem ist nur, dass es in Südkorea – ähnlich wie in Japan – nur sehr wenige öffentliche Papierkörbe gibt. Trotzdem ist dort alles viel sauberer als hier (und insbesondere viel sauberer als in Berlin). Es liegt kaum Müll in den Straßen und Parks. Die Leute packen ihre Abfälle ganz selbstverständlich ein und nehmen sie mit nach Hause zur korrekten Entsorgung. Auch die öffentlichen Toiletten, die im übrigen alle kostenlos sind, sind weitaus sauberer, als man es hierzulande kennt. Vandalismus im öffentlichen Raum – wie er vor allem in Berlin das Stadtbild prägt – gibt es dort offenbar auch nicht. Graffiti an Häusern habe ich in Korea ebenfalls nicht gesehen.

Wir steigen also aus dem Taxi, und ich stecke mir die Visitenkarte des Fahrers, die ich noch in der Hand halte, notgedrungen in die Tasche. Wo soll ich auch sonst hin damit? Wir sehen uns um: Welch ein herrlicher Anblick, dieser Strand von Pusan! Und das bei strahlend blauem Himmel und mehr als 20 Grad mitten im Oktober. So schön kann das Leben sein! Aber dann sagt meine Frau: „Moment mal, wo ist denn mein Handy?“ Sie kramt in ihrer Tasche, packt alles aus, was sie mit sich führt. Vergeblich, das Handy ist verschwunden. Oh mein Gott. Darauf sind unsere Zugtickets zurück nach Daegu, die Zugtickets für unsere Fahrt nach Seoul in einigen Tagen und unsere Flugtickets zurück nach Deutschland! Und was sonst noch alles…  Das sollte auf keinen Fall alles verloren gehen, das wäre die absolute Katastrophe! Aber das Handy ist nicht mehr da. Meine Frau ist überall bekannt dafür, dass sie so zerstreut ist und ständig irgendwas verliert. Aber bisher hat sie fast alles, was sie verloren hat, durch glückliche Umstände am Ende wieder zurückbekommen. Zuletzt ihren Rucksack, den sie in der S-Bahn vergessen hatte, und mehrmals ihr Portemonnaie mit allen wichtigen Karten. Im Fundbüro der BVG kennt man sie wahrscheinlich schon. Aber würde es auch diesmal ein Happy End geben?!

Der schöne Strand vor unseren Augen spielt schon längst keine Rolle mehr. Ich überschütte meine Frau mit Vorwürfen. Wann sie ihr Handy denn zuletzt benutzt habe? Im Bahnhof, meint sie. Hatte sie es denn im Taxi noch? Das könne sie nicht sagen. Da kommt mir der rettende EInfall: die Visitenkarte des Taxifahrers! Die habe ich noch in der Tasche, und die könnte jetzt unsere Rettung sein. Unsere Freundin wählt auf ihrem Handy die Nummer auf der Karte. Niemand geht ran. SIe schreibt eine Nachricht. Es kommt nichts zurück. Nach einer quälend langen halben Stunde, in der wir ziellos am Strand herumlaufen und nicht wissen, was wir machen sollen, kommt doch noch der ersehnte Rückruf des Taxifahrers. Ja, er habe da ein Handy im Taxi gefunden. Wir können aufatmen. Welch ein Riesenglück im Unglück!! Er komme so in 45 Minuten zurück zum Strand gefahren und bringe es uns vorbei. Die Zeit reicht gerade noch für ein exzellentes (und noch recht moderat bepreistes) Mittagessen in einem Fischrestaurant mit Meeresblick. Dann steigen wir wieder bei unserem Taxifahrer ein und nehmen überglücklich das Handy meiner Frau in Empfang, die ihm dafür ein dickes Geldbündel überreicht. „Mit Gottes Hilfe“, sagt der Taxifahrer, habe meine Frau ihr Handy wiedergefunden. Wir fahren dann auch gleich wieder mit ihm zurück zum Bahnhof, denn wir müssen ja rechtzeitig unseren Zug zurück nach Daegu erreichen. Die ganze Fahrt lang erzählt er uns dann wieder irgendwelche komischen Sachen, aber das stört uns jetzt nicht mehr sonderlich. Ich schärfe meiner Frau ein, in Zukunft immer höllisch aufzupassen, damit sie nie wieder ihr Handy verliert.

Zwei Tage später sind wir in einer von der Schwester meiner Frau für die ganze Familie gemieteten Ferienwohnung direkt am Meer. Da fragt meine Frau plötzlich: „Wo ist eigentlich mein Handy?“ Sie kann es nirgendwo finden. Die ganze Familie sucht nun das Handy meiner Frau, überall, in jedem Raum, in allen Schränken, in allen Taschen und Koffern. Es ist wie vom Erdboden verschluckt. Ich schlage mir die Hände vors Gesicht. Nach gut 15 Minuten hat dann endlich jemand das Handy meiner Frau entdeckt: neben der Toilette.

Dein Johannes

P.S.: Vorgestern Abend haben wir uns etwas Leckeres gekocht, und nach dem Essen muss meine Frau ihre Videokonferenz vorbereiten. Ich habe mir schon Musik angemacht, um in aller Ruhe die Küche aufzuräumen. Da stürmt meine Frau in heller Aufregung herein und ruft: „Wo ist mein Handy??“ Fieberhaft durchsuchen wir die ganze Wohnung, denn ihre Online-Sitzung fängt bald an, und da braucht sie ihr Handy. Gründlich und systematisch durchkämmen wir Zimmer für Zimmer, auch das Bad. Es ist zum Verzweifeln. Nach längerem Suchen geben wir es auf, und ich gehe wieder zurück in die Küche, um dort weiter aufzuräumen. Unter dem Schneidebrett entdecke ich schließlich das gesuchte Handy.

Veröffentlicht von on Nov. 24th, 2025 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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