Satirischer Erlebnisbericht vom Praktikum in Brüssel
Arnd Wiebusch
Die Plastiktüte mit den Pommes in der Hand, schnell von Antoine ins Chez Bernard, fünf Tische zusammengestellt und bevor die Pommes gegessen waren, kamen auch schon die 10-40 weiteren Praktikanten, mit denen man sich verabredet hatte.
Ich will aber mal von vorne anfangen. Als ich am ersten Morgen aufwachte, dachte ich: „Ach du meine Güte, was ist denn mit deiner Wohnung passiert, das ist ja das letzte Loch.“ Ich stand auf, rieb mir noch mal die Augen und blickte aus dem Fenster … direkt auf eine Flagge der Europäischen Union. Die Erinnerung kam zurück: „Du bist jetzt in Brüssel, Junge.“
Den Krawattenknoten gebunden, ging es aus der Tür. Brüssel Ende Januar, zwei Grad über Null, Regen. Die Frisur sitzt. Der erste Schritt aus dem Haus stellte sich als ein Fehler heraus. Ich traf direkt eine der vielen lockeren Bürgersteigplatten. Das bedeutete zurück ins Haus und rein in einen neuen, sauberen Anzug. Aus der Erfahrung schlau geworden, richtete ich meinen Blick von nun an immer auf den nächsten Meter Bürgersteig. Das einen Meter tiefe und 2 x 2 Meter große, nicht gesicherte Baustellenloch direkt vor meinem Bürogebäude erblickte ich dadurch erst sehr spät, allerdings noch früh genug.
Mit dem Fahrstuhl ging es in den fünften Stock. Eine der Managerinnen des Büros, welche für die nächsten acht Wochen meine Chefin sein sollte – nennen wir sie mal Frau L. – empfing mich bereits an der Eingangstür. Es folgte ein „kurzes“ Einführungsgespräch, bei dem ich nach der zweiten Stunde nicht mehr sitzen konnte und zum Ende der dritten Stunde hin, das Lid meines rechten Auges zu zucken begann. „Ach ja, ich hatte vergessen zu Frühstücken. Zuckermangel!“
Zum Abschluss des Gesprächs klärte mich Frau L. darüber auf, dass sich die Mitarbeiter des Büros duzen würden. Bevor ich ihr die Hand reichen konnte und sagen „Freut mich Helga, ich bin Arnd“, kam auch schon der Wink bzw. Schlag mit dem Zaunpfahl: „Wir werden uns allerdings weiterhin siezen, Herr Wiebusch.“
Als das Gespräch dann endlich beendet war, sollte ich die anderen Mitarbeiter der Repräsentanz kennen lernen. Es wurde mir ein elegant gekleideter Mann vorgestellt, den ich für den „Oberboss“ hielt. Der Name – Orlando Fernandez – verriet mir allerdings, dass ich falsch lag. Wie ich zuvor in einem Organisationsdiagramm des Büros gesehen hatte, war Orlando nicht der Chef, sondern der Chauffeur des Chefs und des Weiteren für allgemeine Dienste, wie kopieren und das Auffüllen des Kühlschranks, zuständig.
Die Arbeit begann…
Nachmittags hatte ich dann schon die Hoffnung, Frau L. würde etwas auftauen. Sie fragte nämlich, ob ich heute Abend Zeit hätte. Natürlich hatte ich. Anstatt mich zum Essen einzuladen, drückte Frau L. mir jedoch eine Einladung in die Hand: „Neujahrsempfang des Freistaat Sachsen im Concert Noble.“
Um 19 Uhr machte ich mich direkt aus dem Büro dorthin auf. In dem Eingangsbereich aus Marmor gab ich meinen Mantel ab und erhielt das erste Glas Champagner. Ich folgte der Masse und traf im vorderen Saal zu meiner Überraschung auf ein mir aus Bielefeld bekanntes Gesicht. „Susan!“ Susan, stellte mir die beiden wichtigsten der 600 anwesenden Personen vor: Peggy und Matthias. Letzterer drückte mir während der Begrüßung gleich eine Visitenkarte in die Hand. Wie ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, ein Lottoschein, auf dem die 6 Richtigen schon angekreuzt waren.
Es blieb allerdings keine Zeit für ein längeres Gespräch, weil es auch schon weiter in den nächsten Saal ging, wo alle Gäste Platz nahmen. Kaum waren die großen Schiebetüren hinter uns geschlossen worden, begann die Chursächsische Philharmonie auch schon mit ihrem Konzert. Vor dem Tanzauftritt der sächsischen Spitzenprinzessinnen wurden noch einige Reden geschwungen.
Im Anschluss an die Aufführungen war endlich Zeit zum Essen und Reden. Damit auch zurück zu Peggy und Matthias. Wie der Name schon erahnen lässt, kommt Peggy aus dem Osten unserer Republik. Eine ihrer größten Qualitäten war es, Essen zu organisieren. Sie hatte die Gabe, die Kellner mit den Silbertabletts schon vor den anderen Gästen zu erblicken und brachte mir immer eine Kleinigkeit mit. Mal ein gebratenes Wachtelei, mal eine Mini-Pizza, mal einen kleinen Spieß oder auch mal ein Süppchen. Ich war deshalb so glücklich darüber, weil ich zuvor am Buffet an einer kleinen dicken Frau, die mich einfach weggerammt hatte, gescheitert war.
Matthias klärte mich währenddessen über das Programm an den nächsten Tagen und Abenden auf. Darin lag seine Stärke: Matthias hätte selbst den Bundesnachrichtendienst blass aussehen lassen. Matthias wusste einfach über alle Empfänge, Tagungs- und Diskussionsrundentermine Bescheid; das bedeutete: „Häppchen und Drinks satt.“
Nach dem Empfang ging es mit ein paar Jungs, die ich dort kennen gelernt hatte, in einen der unzähligen Irish Pubs. In der Kneipe traf ich Michael. Okay, ihr fragt euch wahrscheinlich, wer Michael ist. Michael ist fast genauso wichtig wie Peggy und Matthias. Michael war nämlich Praktikant eines Europaparlamentariers. Die MEP’s wiederum haben Assistenten und – jetzt kommt der Clou – Assistenten können einem einen Wochenausweis für das Parlament besorgen.
Na toll, kann man sich jetzt denken, Ausschuss- und Konventssitzungen. Aber nein, das ist nicht alles, das Parlament hat eine Kantine. Diese Kantine bewahrt einem den Körperumfang und frisst zudem kein Loch in die Geldbörse. Außerdem kann man sich nach dem Essen immer noch mit den anderen Praktikanten ganz relaxed im dritten Stock des Parlaments in der so genannten Mickey Mouse Bar niederlassen.
Tja, so ungefähr sah ein normaler Arbeitstag aus. Aber nun zu den angenehmen Seiten des Aufenthalts in Brüssel: Kommissionsparties und Wochenendausflüge…