Das Mysterium von Kampehl
Recht historisch Spezial: Justament-Autor Thomas Claer über den ominösen Ritter Kahlbutz
Thomas Claer
Knapp 100 km nordwestlich von Berlin liegt der kleine Ort Kampehl, der heute ein Ortsteil von Neustadt/Dosse im Landkreis Ostprignitz/Ruppin ist, das an der Bahnstrecke von Berlin nach Wittenberge liegt. In meiner Kindheit sind meine Eltern mit mir ab und zu im Auto von Wismar aus zu einer Freundin meiner Mutter nach (Ost-) Berlin gefahren, und dabei haben wir auch mal in Kampehl Halt gemacht, wo meine Eltern mir die berühmte Gruft des Ritters Kahlbutz zeigten, dessen Leichnahm dort seit 1702 lagert, ohne jemals verwest zu sein. Der Anblick dieser dort ausgestellten Mumie und natürlich auch die dazu erzählte Geschichte haben mich als Kind tief beeindruck. Mein Vater hatte es mir damals so erklärt, dass dieser Ritter Kahlbutz mutmaßlich einen Schäfer erschlagen und dann vor dem Gericht, das ihn schließlich freisprach, erklärt habe: „Wenn ich ein Mörder bin gewesen, dann soll mein Leichnam nie verwesen.“ Woraufhin dieser dann tatsächlich nie verwest sei.
Erst heute, ein halbes Jahrhundert später, bin ich wieder auf diese alte Geschichte gekommen, die in ihrer vollständigen Version noch viel ungeheuerlicher ist, als man sie mir damals kindgerecht erzählt hat. Sie geht gemäß Wikipedia nämlich so: Der märkische Landadelige Christian Friedrich von Kahlbutz (1651-1702), der auch als Fähnrich in der preußischen Armee gedient hatte, soll ein aufbrausendes Temperament gehabt und zeitlebens elf eheliche sowie ca. 30 weitere Kinder gezeugt haben. Insbesondere habe er auf seinem Landgut in zahlreichen Fällen vor Eheschließungen seiner Untertanen das „Recht der ersten Nacht“ für sich beansprucht und auch wahrgenommen haben. Der Sage nach wurde Kahlbutz im Jahre 1690 von seiner Dienstmagd Maria Leppin des Mordes an ihrem Verlobten, dem Schäfer Pickert aus dem Nachbarort Bückwitz, bezichtigt. Die Tat geschah am Bückwitzer See. Die Begründung lautete, er habe den Schäfer aus Rache erschlagen, weil die Magd dem Ritter das „Recht der ersten Nacht“ verweigert hätte. Auch habe er sich mit Pickert um die Größe des Weideplatzes gestritten. Im folgenden Strafprozess in Dreetz bei Neustadt wurde Kahlbutz jedoch aufgrund seiner eigenen eidlichen Aussage freigesprochen, da die Zeugen fehlten (und wohl auch, weil seinerzeit der Eid eines Edelmannes als nicht anzweifelbar galt).
Ritter Kahlbutz starb im Alter von 51 Jahren und wurde in einem Doppelsarg in der Patronatsgruft beigesetzt. 1784 starb der letzte von Kahlbutz, deshalb wechselte das Gut im Folgenden mehrfach den Eigentümer. 1794 wurde die Kirche von Kampehl renoviert, und man wollte wie üblich die Särge im Gruftanbau beisetzen. Beim Öffnen der Särge stellte sich heraus, dass nur die eine Leiche des Ritters Kahlbutz nicht verwest war. Der Volksmund fand eine Erklärung für die Mumifizierung des Ritters Kahlbutz und sah darin Gottes gerechte Strafe für einen Mord. Zahlreiche Untersuchungen über die Jahre hinweg (bis in unsere Tage mit modernsten technischen Methoden!) brachten keine andere Ursache der Mumifizierung zutage als – laut Süddeutscher Zeitung – die eventuell besondere Trockenheit der Gruft und die eigentümlichen, vielleicht schwach radioaktiven Ausdünstungen des Bodens.
Als ich nun nach so langer Zeit wieder nach Kampehl kam, konnte ich feststellen, dass die Mumie des Ritters Kahlbutz noch genauso daliegt und aussieht wie in meiner Kindheit. Noch immer ist der Ritter Kahlbutz im Glassarg in der Patronatsgruft neben der Wehrkirche Kampehl eine Touristenattraktion und ganz unbedingt eine Reise, zumindest aber einen Tagesausflug von Berlin aus, wert.