Mohamed Nasheed, Staatspräsident der Malediven, macht sich zum Anwalt für seine vom Untergang bedrohte Inselrepublik. Umweltschutz und Religionsfreiheit lassen in seiner Heimat derweil zu wünschen übrig.
Benedikt Vallendar
„Der hat bestimmt mal Jura studiert“, zischt eine Studentin ihrer Kommilitonin zu. „Nee, wohl eher BWL“, antwortet diese prompt. Ort des Geschehens ist der Hörsaal B im Henry-Ford-Bau der Freien Universität (FU) Berlin. Mit kleinem Gefolge und halbstündiger Verspätung hat soeben Mohamed Nasheed, seines Zeichens amtierender Staatspräsident der Malediven, das Auditorium betreten. Insgesamt sechs Jahre seines Lebens hat der nur 1,58 Meter große Präsident als politischer Häftling hinter Gittern verbracht, davon sieben Monate in verschärfter Einzelhaft, weil er in den Neunzigerjahren zusammen mit Gesinnungsgenossen öffentlich die politischen Zustände in seinem Land angeprangert hatte. Die Gäste, in der Mehrzahl wissenschaftliches Personal und Studenten aus allen Fachbereichen der FU, erheben sich und applaudieren höflich. Hätten die beiden Studentinnen nur einen Blick in das am Hörsaaleingang verteilte Infoblatt geworfen, wüssten sie, dass Nasheed weder Jurist noch Betriebswirt, sondern studierter Ozeanograph mit Bachelorabschluss der Universität Liverpool ist.
Doch ganz so falsch war der Eindruck nun auch wieder nicht. Denn auch ohne Jurastudium hat sich der 43-Jährige Politiker Nasheed längst zum Anwalt für die Belange seiner Inselrepublik gemacht. Mit Leidenschaft und geschicktem PR-Tamtam versteht es der 2009 vom US-amerikanischen Time Magazin zum „Umwelthelden des Jahres“ gekürte Politiker im Ausland von jeher auf seine vom Klimawandelt bedrohte Heimat aufmerksam zu machen. In der Tat, ein sympathischer Sunnyboy mit Brille, Schlips und Kragen, der Menschen rasch für sich einzunehmen vermag. Vor wenigen Monaten landete der Polityoungster seinen bislang größten PR-Coup. Da tauchte der maledivische Präsident mit seinen Ministern ab, um an der weltweit ersten Kabinettssitzung auf dem Meeresgrund teilzunehmen. Fernsehanstalten aus der ganzen Welt übertrugen die Bilder in ihren nationalen Programmen. Am höchsten Punkt ragt die aus 1196 Inseln bestehende Präsidialrepublik der Malediven gerade einmal zweieinhalb Meter aua dem Indischen Ozean. In Taucheranzügen unterzeichneten die Regierungsmitglieder einen Aufruf an die internationale Gemeinschaft, den CO2-Ausstoß weiter zu reduzieren. Denn die im Indischen Ozean beheimateten Malediven sind das am niedrigsten gelegene Land der Welt und wegen des stetig steigenden Meeresspiegels vom buchstäblichen Untergang bedroht. Schreitet der Klimawandel weiter so voran, wie bisher, dann werden die Malediven, nach Expertenmeinung, spätestens in 30 Jahren im Meer versunken sein. Schon heute sind die Vorboten des Klimawandels vielerorts sichtbar. An manchen Stellen reicht das Meer bis kurz vor die Haustüren der Inselbewohner, da, wo es früher einige Hundert Meter entfernt war. Den Malediven droht ein Untergangsszenario, glaubt man den Experten. Doch sie haben auch einen Präsidenten, der sich seit seiner Amtseinführung leidenschaftlich und mit rhetorischem Geschick für die Belange seiner Bürger einsetzt.
Nasheed hat in seinem noch relativ jungen Leben schon viel durchgemacht. „Im Gefängnis war das Wasser manchmal mit Kerosin gemischt, und unters Essen wurden Glassplitter gemengt“, erzählt er. Um seine Taille trägt er heute einen stabilisierenden Gürtel, weil der Rücken kaputt ist, von der Folter durch die Schergen des früheren Präsidenten Maumoon Abdul Gayoom.
Religionsfreiheit ein Fremdwort
Auf mehr als 400 Jahre Kolonialgeschichte blicken die Malediven zurück. 1558 besetzten die Portugiesen die Inseln, wurden aber in einem acht Jahre andauernden Guerillakrieg durch Muhammad Thakurufaan 1573 wieder vertrieben. Erst im 17. Jahrhundert schafften es die Niederlande, aus dem maledivischen Sultanat ein Protektorat zu machen, nachdem sie zuvor auch Ceylon als Militär- und Handelsbasis besetzt hatten. Als die Niederlande Ceylon 1796 an die Briten verloren, gerieten auch die Malediven unter britischen Einfluss, die die Inselgruppe erst 1965 in die Unabhängigkeit entließen und 1982 in den Commonwealth of Nations aufnahmen.
Dieses Land, 500 Kilometer südwestlich von Sri Lanka, besteht fast ausschließlich aus Wasser und Schönheit. 99,9 Prozent des Staatsgebietes von 90 000 Quadratkilometern, was etwa der Größe Portugals entspricht, sind Indischer Ozean. Nur 300 Quadratkilometer ragen heraus, eine Fläche kleiner als Andorra. Die Hauptstadt Male ist zugleich der Ort, wo Nasheed 1967 geboren wird, als zweitältester Sohn eines Geschäftsmanns, der mit dem Betrieb von kleinen Insel-Hotels zu Geld kam und es in die Ausbildung seiner vier Kinder steckte. Male ist die Rückseite des Inselparadieses, sozusagen der Versorgungstrakt des Garten Eden, von dem in einschlägigen Urlaubsprospekten immer die Rede ist. Laut, stinkend, schnell, eng und irgendwie trotz allem gut gelaunt. 105. 000 Menschen, ein Drittel der Malediver, leben auf dieser Insel auf weniger als drei Quadratkilometern. Eine der am dichtesten besiedelten Kapitalen der Welt, eine Megacity im Taschenformat, ein zusammengeknülltes Manhattan. Touristen, von denen jährlich rund 600.000 ins Land kommen, sind selten zu sehen, sie landen auf der nahe gelegenen Flughafeninsel Hulhule und werden direkt weitergeflogen in ihre Hotels, jedes eine Insel für sich.
Während der 30-jährigen Gayoom-Diktatur musste Nasheed schließlich nach Europa fliehen, wo er studierte und die westlichen Demokratien kennen lernte. Doch er kehrte in sein Heimatland zurück, um 2008 überraschend der erste, demokratisch gewählte Präsident seines Landes zu werden. Für seinen gewaltlosen Widerstand hatte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Nasheed bereits 1991 zum „prisoner of conscience“ erklärt. Für sein politisches Engagement sowie seinen Einsatz im Kampf gegen den Klimawandel wurde Nasheed mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. 2009 erhielt er den Anna-Lindh-Preis für seinen herausragenden Einsatz für Menschenrechte, Demokratie und Umweltschutz. Die Malediven haben heute das höchste Pro-Kopf-Bruttosozialprodukt Südasiens, wenn auch radikal ungerecht verteilt.
Indes, das Thema Religionsfreiheit dürfte bei der Jury im vergangenen Jahr eine eher untergeordnete Rolle gespielt habe. Denn bis heute ist Religionsfreiheit auf den Malediven ein Fremdwort. Der Islam ist Staatsreligion, und wer die maledivische Staatsbürgerschaft anstrebt, muss sich schriftlich zu „muslimischen Glaubensgrundsätzen“ bekennen. Auf dem Verfolgungsindex des christlich- überkonfessionellen Missions- und Hilfswerk „Open Doors“ mit Sitz in Kelkheim bei Frankfurt am Main standen die Malediven 2009 weltweit an sechster Stelle.
Der größte und wichtigste Kampf steht Nasheeds indes noch bevor. Immer wieder geht es um die Klimaveränderung. „Wir haben keine Zeit mehr. Es geht um unsere Existenz, denn der Klimawandel ist real“, sagt der maledivische Präsident mit leidenschaftlichem Appell an seine Zuhörer gerichtet. Es gäbe keinen Grund, daran zu zweifeln. Zurzeit machten sich die Verantwortlichen größere Sorgen um den Prozess der Klimaverhandlungen als über die Klimaveränderung selbst, kritisiert Nasheed. „Aber wir müssen eine Lösung finden, statt endlos darüber zu debattieren“, sagt er. Mit “Mutter Natur“ ließen sich schließlich “keine Verhandlungen” führen. Und dann wird Nasheed pathetisch. Der kleinste gemeinsame Nenner werde nicht ausreichen, die Malediven und letztendlich die gesamte Welt zu retten, sagt er. Die Politik reagiere erst, wenn das Thema Klimawandel ein Wahlkampfthema sei und Menschen auf die Straße gingen. Gleichzeitig appelliert das Staatsoberhaupt an die Weltgemeinschaft, „die größte industrielle Revolution aller Zeiten anzustoßen“. Vollmundig bis visionär klingen seine Ankündigungen in Sachen Klimaschutz auf den Malediven. Bis 2019, so Nasheed, werde sein Land kein Öl mehr importieren, die Diesel-Kraftwerke würden den Betrieb einstellen, 150 Windturbinen und ein halber Quadratkilometer Solarzellen sollen die Malediver bis dahin mit grüner Energie versorgen.
Halbherziger Umweltschutz
Seit Beginn der Siebzigerjahre haben sich die Malediven für den Tourismus geöffnet. Die Insel gilt als Urlaubsparadies für Leute mit dicker Brieftasche. Hotelzimmer für 1200 Euro die Nacht sind auf den Malediven keine Seltenheit. Am 26. Dezember 2004 wurden zahlreiche Siedlungen und Hotels durch eine Flutwelle in Folge eines Seebebens im Indischen Ozean stark beschädigt oder zerstört. Anders als die an flachen Meeresbereichen gelegenen Küsten Sri Lankas oder Indiens, wo Tsunamis ihre volle Kraft entwickeln können, blieben die Atolle der Malediven von größeren Zerstörungen verschont. Dennoch ist die Gefahr nicht gebannt. Viel Zeit bleibe nicht mehr zum Handeln, warnt Nasheed. „Wir haben noch zehn bis zwölf Jahre, um unser Land zu retten“, so seine pessimistische Prognose. Der Präsident denkt an eine künstliche Erweiterung einzelner Inseln oder die Errichtung neuer Riffe aus Stahl und Beton. Für viele Malediver seien die Inseln seit Generationen ihre Heimat. Aus diesem Grund werde er alles dafür tun, um sein Land zu retten, sagte Nasheed: „Meine Kinder sollen nicht im Flüchtlingslager aufwachsen“, sagt er. Auf die Frage einer Studentin, wie sich der Konflikt zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Tourismus und klimaschädigenden Langstreckenflügen ausräumen lasse, antwortet der Präsident diplomatisch. „Wir sind auf die Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen“, sagt er. Ohne dieses Geld könne seine Regierung nicht in moderne Umwelttechnik, etwa bei der Abwasserentsorgung investieren.
Unwiderruflich bedroht der steigende Meeresspiegel indes die 320.000 Einwohner des weltweit am niedrigsten gelegenen Staates der Welt. Geradezu apokalyptisch sind die Zukunftsszenarien, die Nasheed zeichnet. Hunderttausende Malediver bräuchten eine neue Heimat, wenn der Anstieg des Meeresspiegels die Inseln des Archipels im Indischen Ozean eines Tages unbewohnbar macht. Angeblich verhandelt die Regierung schon mit Indien und anderen Staaten über eine Aufnahme seiner Klimaflüchtlinge.
Überdimensionierte Ferienparks
Doch scheint es, als wolle der Präsident mithilfe rhetorischer Klimmzüge vor ausländischen Pressevertretern zuvörderst von den wahren Problemen seines Landes ablenken. Denn Umweltschutz existiert auf den Malediven bislang nur auf dem Papier. Umweltschutzgesetze sind zwar vorhanden, aber deren Einhaltung wird nicht überwacht, und Verstöße nur selten geahndet. So darf etwa die bebaute Fläche eines Ferienparks auf den Malediven offiziell nicht 20 Prozent der Inselfläche übersteigen. Die Praxis sieht ganz anders aus, was der Besucher zumeist schon beim An- oder Abflug sieht. An vielen Stellen haben die Urlaubsparks ganze Inseln in Beschlag genommen, von der Ursprünglichkeit ist viel verloren gegangen. Hinzu kommt ein anderes großes Übel, an das sich kaum jemand heranwagt, denn für die Inselbürokraten stünde dafür zu viel auf dem Spiel. Sie würden bei wirksamer Bekämpfung viele Pfründe verlieren. Die Behörden überprüfen nicht die Einhaltung von Bauplänen, und sonstige Kontrollen scheitern an der allerorts grassierenden Korruption. Das Hauptinteresse der Regierung zielt auf möglichst viele Touristenbetten ab, um die Staatskasse zu füllen. Zahlreiche neue Hotelinseln sind durch so genanntes „Landscaping“ in die gewünschte Form gebracht worden. Der Einsatz von Baggern und PS-starken Sandpumpen hat zu irreparablen Schäden an den Riffen geführt. Auch Privatflughäfen für einzelne Hotelketten, wie etwa Maamingili im Süd-Ari-Atoll, wurden durch Aufschütten der Riffdächer gewonnen.
Auf diese Missstände angesprochen, reagiert Nasheed einsilbig und verweist erneut auf die „Bemühungen“ seiner Regierung in Sachen Klimaschutz. „In rund zehn Jahren werden die Malediven CO2-neutral sein“, kündigt der Politiker an. Das habe zwar einen verschwindend geringen Einfluss auf die weltweite CO2-Bilanz, könne aber ein Beispiel für andere Länder sein. „Denn das, was uns heute passiert, wird morgen dem Rest der Welt zustoßen“, sagt er. Und in gewissem Sinne seien „alle Menschen Malediver“. Politisches Kalkül oder Ausdruck eines theatralisch aufbereiteten Politszenarios, bei dem die Malediven auf internationaler Ebene in der ersten Reihe mitspielen wollen? Die Intention der präsidialen Botschaft bleibt an dieser Stelle, wie so häufig, im Verborgenen.