Die katholische Kirche Kubas sucht ihren Weg zwischen Solidarität mit den Opfern der kommunistischen Diktatur und vorsichtiger Annäherung an das Regime – Benediktiner gründen Kloster in La Havanna
Benedikt Vallendar
La Havanna – Es ist schwül heiß und bewölkt. Vom Meer weht eine kühle Brise herüber. Hinter einem verrosteten Gitter öffnet Bruder Jacques Missihoun OSB (37) die Tür zum provisorischen Konvent der Benediktiner in La Havanna, der Hauptstadt Kubas. Die Innenräume des Konvents sind wenig einladend. Das Erdgeschoss wirkt steril und unpersönlich, einzig der obere Wohnbereich mit der dazugehörigen Gemeinschaftsküche strahlt wohnliche Wärme aus. Das Haus gehört zur Pfarrei „El Carmelo“, unweit der deutschen Botschaft im Zentrum von La Havanna. Bruder Jacques, der aus Togo stammt, ist hier Hausoberer. Er trägt seinen weißen Habit und ein Stundenbuch unter dem Arm. „Wir haben gleich Anbetung“, sagt er und bittet die Besucher in die dem Haus angeschlossene Kirche. Knapp ein Dutzend Gläubige sitzt dort, Mütter mit Kindern und ein paar höher Betagte. Sie lauschen den Gesängen und Gebeten der Mönche. Manche suchen in den Abendstunden Zuflucht vor der Polizei. Denn wer als Kubaner nicht offiziell in La Havanna gemeldet ist, riskiert Festnahme und ein paar Monate Gefängnis.
Zwei neue Postulanten
Die Ordensmänner stammen aus Afrika, von den Philippinen und aus Deutschland. Bruder Robert Sandrock OSB, Gymnasiallehrer für Physik und Geschichte, ist seit 2009 in Kuba. Der 46-Jährige pendelt häufig zwischen seinem Heimatkloster im nordrhein-westfälischen Meschede und dem neuen Konvent in La Havanna. Zurzeit erteilt der gelernte Pädagoge kostenlosen Deutschunterricht an Interessierte aus der Gemeinde. Vor wenigen Wochen sind zwei Kubaner, Delvis González Neyra (36) und Yurek Peres Hernández (39) als Postulanten hinzugekommen. „Wir wohnen hier nur übergangsweise“, sagt Bruder Jacques. Ursprünglich sollten die Benediktiner ihr neues Kloster in Jaruco, rund 40 Kilometer östlich von La Havanna errichten. Doch das Gelände erwies sich als ungeeignet. „Nun haben wir von der Regierung ein neues Grundstück in San José, in einem Vorort von La Havanna zugewiesen bekommen“, sagt Bruder Jacques. Die Schwierigkeiten sind geblieben. Denn Baustoffe sind auf Kuba rar, und allein schon die tagtägliche Nahrungsmittelbeschaffung ist ein Problem. Trotz vorsichtiger, wirtschaftlicher Öffnung herrscht im kubanischen Alltag Mangel. „Selbst für Grundnahrungsmittel müssen wir oft weit laufen und lange anstehen“ sagt Bruder Jacques. Neben den, zumeist leeren, staatlichen Läden gibt es auch kleinere, dezentrale Privatmärkte, wo in geringen Mengen Kartoffeln, Mais, Hirse und etwas Obst angeboten werden. Wer in Devisen bezahlt, bekommt sein Wechselgeld zumeist in der fast wertlosen Landeswährung Moneda Nacional (MN) zurück. Rund 250 MN, also knapp sieben Euro verdient ein kubanischer Lehrer im Schnitt. Auf Nebentätigkeiten ist er zwingend angewiesen, worunter naturgemäß der Unterricht leidet. Privatschulen gibt es in Kuba nicht, was die Regierung als gesellschaftliche „Errungenschaft“ preist. Doch damit konterkariert sie zugleich den im Ausland gehegten Glauben, Kuba sei in Sachen Bildung „führend“ in ganz Lateinamerika. Von freiem Internetzugang und gut ausgestatteten Bibliotheken können kubanische Schüler nur träumen. Gelesen werden darf nur, was die Zensur erlaubt. Dazu zählt die Selbstverherrlichungsliteratur des Regimes, deren Titel die Auslagen der wenigen Buchhandlungen im Zentrum La Havannas zieren.
Religiöse Gruppen werden geduldet
Kuba wird seit mehr als einem halben Jahrhundert atheistisch regiert, und dennoch spielt Religion im Alltag noch immer eine wichtige Rolle. Neben der katholischen Kirche gibt es auf der Zuckerinsel heute zahlreiche kleinere, zumeist protestantische Gruppen, die vom Staat geduldet werden, solange sie sich nicht politisch betätigen. Auch Muslime und Juden haben in Kuba ihren Platz.
Bruder Jacques spricht leise und bedächtig, wägt seine Worte genau ab. Noch immer stehen religiöse Einrichtungen in Kuba unter staatlicher Beobachtung. Die alles beherrschende, marxistisch-leninistisch ausgerichtete Staatspartei PCC (partido comunista de Cuba) ist allgegenwärtig. Im Stadtbild und an zahlreichen Straßenkreuzungen prangen kommunistische Parolen. Werbung fehlt gänzlich, wozu auch, es gibt ja eh kaum etwas zu kaufen.
Obwohl Bruder Jacques aus seiner Heimat einiges gewohnt ist, war die Umstellung auf die kubanischen Verhältnisse auch für ihn eine Herausforderung. „Nur wer Devisen hat, kann hier einigermaßen über die Runden kommen“, sagt er. Eine Dose Bier etwa oder etwas Gehacktes zum Abendessen gilt für die meisten Kubaner als unerschwinglich. Ganz zu schweigen von Luxusgütern wie einer Flasche Wein, Käse oder Salzgebäck. Ohne die Hilfe aus Übersee wäre die Klostergründung zum Scheitern verurteilt. Ein weltweit verzweigter Freundeskreis hält die kleine Gemeinschaft der Benediktiner in La Havanna zurzeit noch künstlich am Leben. Denn an Eigenbewirtschaftung nach herkömmlicher, benediktinischer Klostertradition ist im Moment nicht zu denken.
Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. Die Gründung des Klosters geht auf eine Initiative von Jaime Kardinal Ortega, Erzbischof von La Havanna, zurück. Auf der Suche nach Benediktinern, die bereit wären, das erste Benediktinerkloster Kubas zu aufzubauen, wurde er schließlich im oberbayerischen Sankt Ottilien fündig. Die Kongregation von Sankt Ottilien, ein internationaler Verband von Benediktinerklöstern, die sich besonders der Mission verpflichtet fühlen, beschloss die Entsendung von sechs Mönchen. Am 25. September 2008 wurde das Kloster mit einer kleinen Feier in Rom kirchenrechtlich auf eigene Beine gestellt.
Missachtung der Menschenrechte
„Zu den Behörden haben wir ein gutes Verhältnis“, bemüht sich Bruder Jacques zu sagen. Sie unterstützen die Benediktiner bei ihrem Vorhaben, da offenbar auch der Staat erkannt hat, dass die katholische Kirche durch ihre vielfältige Sozialarbeit viel Gutes für die kubanische Gesellschaft leistet.
Neben den Benediktinern sind weitere katholische Gemeinschaften in Kuba tätig. In Rincón etwa, rund eine halbe Autostunde von La Havanna entfernt, betreibt die Kirche ein Zentrum für Leprakranke, das von Ordensschwestern aus Frankreich geleitet wird. Die Schwestern verwalten das Zentrum in Eigenregie und beziehen vom kubanischen Staat ein kleines Gehalt. „Zurzeit haben wir kein fließendes Wasser“, klagt Schwester Martha, die Leiterin des Leprazentrums. Das erschwert die Arbeit. Sie und ihre sechs Mitschwestern kümmern sich liebevoll um die von Alter und Krankheit gezeichneten Männer, waschen und pflegen sie und helfen ihnen beim Anziehen. Das Wasser holen sie von auswärts und sammeln es in Plastiktonnen und Eimern, die vor den Krankenbaracken stehen. Auf dem Gelände stehen auch ein paar wild wachsende Obstbäume und zwei Bananenstauden. Sie helfen den Schwestern bei der Eigenversorgung, denn auch die kollektivierte Landwirtschaft liegt in Kuba brach. Dabei verfügt die Insel über fruchtbare Böden, auf denen so gut wie alles wachsen könnte, würde der Staat nicht jede Form wirtschaftlicher Eigeninitiative im Keim ersticken. Ideologie und Machterhalt zählen in Kuba mehr als ökonomischer Sachverstand.
Kommunistische Propaganda
Indes mehren sich die Zeichen für eine Entspannung zwischen Kirche und Staat. Im Stadtzentrum von La Havanna etwa weisen offizielle Hinweisschilder auf Kirchen und Klöster hin, die im historischen Stadtzentrum, unweit des berühmten Malecón ihren Sitz haben. „Das mag als zaghafte Annäherung zwischen Klerus und Staat gedeutet werden“, sagt der Soziologe Sergio Costa von der FU Berlin. Doch von einer Normalisierung könne noch lange keine Rede sein, so der Experte. Denn noch immer verweigere die kubanische Regierung der Bevölkerung elementare Menschenrechte wie Versammlungs- und Pressefreiheit, das Recht auf Eigentum, eine unabhängige Justiz und freie Wahlen. Die kubanische KP rechtfertigt sich gerne mit dem zynischen Hinweis, dass derartige Freiheiten ein „Instrument der Bourgeoisie“ zur „Unterdrückung der Massen“ seien.
Ortswechsel. Die Urlauberhalbinsel Varadero, rund 130 Kilometer südöstlich von La Havanna. Im Volksmund wird Varadero auch als das „Miami von Kuba“ bezeichnet. Zwischen Golfplätzen und schmucken vier- bid fünf-Sterne Hotels steht die katholische Kirche Santa Elvira. Das Gotteshaus wurde im Jahr 1938 errichtet und gehört zu den wenigen kirchlichen Gebäuden, die nach der kommunistischen Machtübernahme 1959 nicht konfisziert und zweckentfremdet wurden. Pfarrer Jesus Mazcoleti (47) ist seit Januar 2011 im Amt. Sein Vorgänger war ein kanadischer Priester, der wieder in seine Heimat zurückgekehrt ist. „Wir haben rund 100 Gemeindemitglieder“, sagt Mazcoleti. Unter den Gläubigen sind auch zahlreiche Katholiken aus Europa, Urlauber, vor allem aus Polen, die es gewohnt sind, sonntags zur Messe zu gehen. Die Pfarrei Santa Elvira gehört zum Bistum Matanzas. „An Priesternachwuchs mangelt es nicht“, sagt Mazcoleti. In den Theologenkonvikten von Santiago de Cuba und La Havanna bereiten sich zurzeit 47 Kandidaten auf die Weihe vor. „Varadero ist das schöne Schaufenster von Kuba“, sagt Pfarrer Mazcoleti. Ein kleines, für den Devisen bringenden Tourismus aufgehübschtes Eiland, das Außenstehenden, die sich nur auf ihren Hotelanlagen aufhalten, leicht ein falsches Bild von Kuba vermittelt. „Wer den wahren kubanischen Alltag kennen lernen wolle, der ist hier fehl am Platz“, sagt Mazcoleti. Die meisten Kubaner leben unterhalb der Armutsgrenze, sagt er, schlagen sich irgendwie halblegal mit kleinen Jobs durch und begehren nicht auf, aus Angst vor Repressalien durch Polizei und Geheimdienst. Die meisten kubanischen Staatsbetriebe liegen darnieder, sind ineffizient organisiert und produzieren kaum etwas, was die Regierung gerne auf das seit 1962 bestehende Embargo der USA zurückführen. Dass in Wirklichkeit die kommunistische Planwirtschaft Schuld an der Misere ist, wagen nur wenige zu sagen. „Die Menschen sind es überdrüssig, die Propagandalügen der Partei zu hören“, sagt eine alte Frau, die in Varadero regelmäßig zum Gottesdienst kommt. 50 Jahre Unterdrückung durch die Kommunisten, die sich gerne als „Vertreter des Volkes“ gerieren, haben tiefe Wunden geschlagen, sagt sie. Kubaner haben es gelernt, sich verklausuliert auszudrücken. Und so offen, wie die alte Dame in der Kirche von Varadero sagt sonst kaum jemand auf Kuba seine Meinung – noch nicht.
Fotos: Benedikt Vallendar