Scheiben vor Gericht Spezial
Thomas Claer
Vor zehn Jahren hatten wir „9/11“, vor 20 Jahren erschien „Nevermind“ von Nirvana, aber vor 30 Jahren gab es ein Erdbeben in der deutschen Musiklandschaft, das die Welt noch nicht gesehen hatte – ausgelöst von einer bis dahin völlig unbekannten Formation aus dem niedersächsischen Großenkneten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie damals plötzlich überall Trio-Herzen auf die Schulwände und –bänke geritzt und gezeichnet waren, das linke immer durchgestrichen. An jeder Ecke ertönte „Da Da Da – Ichliebdichnichtduliebstmichnicht“ und später dann auch „Anna – Lassmichreinlassmichraus“. Ja, auch wir in der damaligen DDR waren vom Trio-Fieber befallen. Was der breiten Masse aber entging (und damit auch mir, der ich noch zu klein und zu dumm dafür war), waren die noch aus der prä-kommerziellen Phase der Band stammenden kolossalen Songs des ersten Trio-Albums, auf dem der spätere Welthit „Da Da Da“ ursprünglich noch gar nicht enthalten war. Dieser einzigartige „Kuhstall-Sound“, eine wilde Mischung aus Punk und Dada, galt zu jener Zeit nur als etwas für die richtig harten Jungs. Es gab an unserer Schule so eine Clique aus Neunt- oder Zehntklässlern, die immer in einer Garage abhingen. Es wurde erzählt, sie hätten billigstes Hafenbräu-Bier gesoffen und Karo-Zigaretten ohne Filter gequarzt und dabei die Trio-Platte rauf und runter gehört, natürlich die irgendwie ins Land geschmuggelte und vom hundertfachen Kopieren arg lädierte Version auf einem Mono-Kassettenrekorder. In unserer Spießer-Diktatur war so etwas natürlich als absolut anrüchig verschrien, aber den Jungs war es egal. (Heutzutage sind Garagen-Gangs ja generell rehabilitiert. Auch Facebook wurde schließlich in einer Garage gegründet.) Erst ein Jahrzehnt später, nach der Wiedervereinigung, als Kurt Cobain auf MTV alles niederbrüllte, kaufte ich mir die Trio-Platte auf einem Flohmarkt in Bremen und wurde auf der Stelle zum Fan. Heute dokumentiert der Wikipedia-Eintrag „Trio (Album)“ ausführlich die Entstehungsgeschichte jedes einzelnen Songs von „Ja ja ja“ bis zu „Los Paul – du musst ihm voll in die Eier hau’n“. Von Musikjournalisten wurde „Trio“ mal zum besten deutschsprachigen Album aller Zeiten gewählt. Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Urteil lautet: sehr gut (16 Punkte).
Trio
Trio
Mercury (Universal) 1981
Ca. € 17,- (gebraucht)
ASIN: B000005S09