Göttin Polly

PJ Harvey übertrifft sich selbst auf „Let England Shake“

Thomas Claer

scheiben-tc-pj-harvey-let-england-coverWenn Popsänger ein „politisches Album“ aufnehmen, dann ist höchste Vorsicht geboten. Man darf getrost davon ausgehen, dass ihnen künstlerisch nichts mehr einfällt und sie den Fans stattdessen nur ihre tadellose Gesinnung verkaufen wollen. Nein, der Hinweis auf diese so vielfach erlebte Gesetzmäßigkeit der Branche soll keine Entschuldigung sein, aber kann doch immerhin erklären, weshalb „Let England Shake“ von PJ Harvey so lange der Besprechung bei uns harren musste. Und schließlich hatten wir PJ ja auch schon zweimal in dieser Rubrik, und außerdem ist ihr inzwischen mit Anna Calvi gewissermaßen eine kleine Schwester herangewachsen, deren Debüt-CD ihrerseits noch zu besprechen wäre. Allein, „Let England Shake“ beweist, wie gründlich man sich doch täuschen kann! Reumütig muss der Rezensent bekennen, nicht nur dieses Album, sondern auch die Musikerin PJ Harvey bislang völlig unterschätzt zu haben. Wer sie bisher für eine ziemlich gute Sängerin und Komponistin mit vielen exzellenten Produktionen gehalten hat, sieht sich jetzt eher mit einer, ja, Pop-Göttin konfrontiert. Nein, darunter machen wir es auf keinen Fall, denn nach jedem erneuten Hören wächst die Gewissheit, seit Jahren nichts Vergleichbares im CD-Player gehabt zu haben. Da erscheint es dann auch ganz passend, dass das Werk in einer Kirche aus dem neunzehnten Jahrhundert in Dorset im Südwesten Englands aufgenommen wurde. Religiöse Konnotationen sind hier ohne weiteres angebracht. Doch auch wenn man versucht, dieses erlesene Meisterwerk ganz nüchtern zu betrachten, kommt man nicht umhin festzustellen, dass PJ Harvey auf ihren letzten Platten immer, immer besser geworden ist und sich nun, mit 42 Jahren, das ist der einzige Wermutstropfen, wohl nicht mehr weiter steigern kann. Eine solche Stimmigkeit, Eindringlichkeit und Leidenschaft zugleich, ein solch vollendetes Songwriting… Da tritt die inhaltliche Dimension der Lieder eher in den Hintergrund, doch kann auch sie überzeugen, denn es hat sich ja inzwischen längst bewahrheitet: Wer wollte England nach seinem alleinigen Ausscheren beim Euro-Rettungsgipfel nicht mal so richtig durchschütteln? Um es ganz schlicht mit der Moderatorin einer inzwischen abgesetzten Fernseh-Literatursendung zu sagen: Hören! Das Urteil lautet: sehr gut (16 Punkte).

PJ Harvey
Let England Shake
Island (Universal) 2011
Ca. € 17,-
ASIN: B004IXJEWK

Veröffentlicht von on Jan 16th, 2012 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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