Jammern auf hohem Niveau

Eine ehemalige DDR-Journalistin entrüstet sich über „soziale Ungleichheit“ in der Bundesrepublik

Benedikt Vallendar

lit-vallendar-adelheit-wedel-armut-hier-und-heuteLeipzig / Berlin – Das Buch versteht sich als Armutsreport, doch in Wirklichkeit ist es eine Kampfschrift gegen die „schlimmen sozialen Zustände“ in unserem Land. Doch sind diese wirklich so schlimm? Das Buch wirft Fragen auf. In Interviewform schildern mehrere Betroffene, wie es ihnen nach der Wende 1989 beruflich und sozial im wiedervereinigten Deutschland ergangen ist und welchen Preis sie dafür aus ihrer Sicht zahlen mussten. Fast allen Personen ist gleich, dass sie heute von staatlicher Unterstützung leben und zu DDR-Zeiten gute Jobs hatten. Ob als Lehrer, Buchhändler oder Anlagenmonteurin in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) – die Nähe zum SED-Staat war gegeben und damit zu einer Diktatur, die ihren Bürgern bekanntlich elementare Menschenrechte verweigert hat. Doch darüber schweigt die Autorin, ebenso über die Tatsache, dass vor allem Lehrer und leitende Angestellte in den volkseigenen Betrieben die Stützen der SED-Diktatur waren. Sie waren es bekanntlich, die durch ihr Wirken politische Willkür, Unrecht und wirtschaftlichen Niedergang seit 1949 massiv befördert und damit den langwierigen ökonomischen Anpassungsprozess in den neuen Bundesländern zu verantworten haben. Leider lässt die Autorin auch offen, woher das viele Geld kommen soll, das sie zur Behebung der „sozialen Ungleichheit“ im 21. Jahrhundert verteilen möchte. Stattdessen werden Manager, Politiker und die gehobene Mittelschicht ins Visier genommen, denen die Autorin „mangelnde Solidarität“ unterstellt. Dass Hartz IV – Empfänger schon heute Kostgänger des Steuerzahlers sind und über das deutsche Sozialversicherungssystem bereits heute Jahr für Jahr Milliarden Euros von oben und aus der Mittelschicht nach ganz unten umverteilt werden, verschweigt die Autorin, die einst in Diensten der DDR-Nachrichtenagentur ADN stand, geflissentlich. Bezeichnenderweise kommt in ihrem Buch auch der bekannte, evangelische Pfarrer Friedrich Schorlemmer zu Wort, der sich bereits 1984 in einem ZDF-Interview keine kapitalistische, sondern eine „andere“ DDR gewünscht hatte.

Adelheid Wedel
Armut hier und heute. Ein Deutschlandreport
Militzke Verlag Leipzig 2012
208 Seiten
ISBN: 978-3-86189-851-1

Veröffentlicht von on Sep 10th, 2012 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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