Ein besonderer Genuss für jugendliche Straftäter?

Der Eisenberg-Jugendgerichtskommentar in 16. Auflage

Jens Jenau

eisenbergViele Verteidiger sehen sich zu Beginn ihrer Anwaltstätigkeit erstmalig mit dem Jugendgerichtsgesetz konfrontiert, etwa wenn das Gericht sie zum Pflichtverteidiger bestellt hat. Auch in der universitären Ausbildung läuft einem das Jugendgerichtsgesetz eher selten über den Weg, es sei denn man wählt den strafrechtlichen Schwerpunkt. Sieht man sich mit dieser Rechtsmaterie konfrontiert, so ist guter Rat teuer. Man sucht nach prägnanten Handbüchern oder zuverlässigen Kommentaren, die einen schnellen Überblick über das Wesentliche im Jugendgerichtsgesetz/Jugendstrafrecht vermitteln. So ein zuverlässiger Begleiter ist der Beck´sche Kurzkommentar „Jugendgerichtsgesetz“ von Dr. Ulrich Eisenberg, ordentlicher Professor an der Freien Universität zu Berlin. Seit Jahren gehört der Autor – nicht nur im Bereich des Jugendstrafrechts – zu den renommiertesten Juristen und Autoren in Deutschland. Erneut vermittelt Eisenberg neben dem strafrechtlichen Fachwissen auch die für eine sinnvolle und effektive Verteidigung im Jugendstrafverfahren zwingend notwendigen jugendkriminologischen, sozialwissenschaftlichen und psychologischen Grundlagen zur Persönlichkeitsentwicklung Jugendlicher und Heranwachsender.

Dem Juristen ist schon aus der bloßen Existenz des Jugendgerichtsgesetzes, welches den eigenen rechtlichen Rahmen für jugendliches strafwürdiges Fehlverhalten bildet, klar, dass hier in Abweichung zum Erwachsenenstrafrecht andere Reaktionen auf strafwürdiges Verhalten zu erfolgen haben. Während sich das Erwachsenenstrafrecht am Schuldausgleich für die begangene Tat orientiert, ist im § 2 Abs. 1 JGG die Maxime des Erziehungsgedankens kodifiziert. Zunächst das Jugendstrafverfahren und ihm folgend die Reaktion auf die Tat sollen den jugendlichen Delinquenten einerseits zu einem künftig straffreien Leben anhalten, andererseits ihm aber auch das Rüstzeug dafür zur Verfügung stellen.

Diesem Spannungsfeld mit dem Focus auf die Unterschiede zum Erwachsenenstrafrecht, den Fragen der Rechtsanwendung, dem Erziehungsgedanken und den daraus resultierenden Folgen und Schwierigkeiten bei der Gestaltung angemessener jugendstrafrechtlicher Reaktionen stellt sich der neue JGG-Kommentar in besonderem Maße.

In praxisgerechter und gleichermaßen wissenschaftlicher Tiefe ist das Jugendgerichtsgesetz erläutert. Dazu erhielt der Autor ausweislich des Vorworts förderliche Anregungen von verschiedenen Jugendrichtern, Jugendstaatsanwälten und BGH-Richtern. Die neueste Rechtsprechung (inklusive der Entscheidungen des BGH), Praxisberichte und wissenschaftliche Abhandlungen hat der Autor ausgewertet. Hochaktuell verarbeitet die Neuauflage bereits das Gesetz zur Erweiterung der jugendrechtlichen Handlungsmöglichkeiten vom 4.9.2012 – auch bekannt als so genanntes „Warnschussgesetz“. In der Vergangenheit monierte man häufig die bisher vom Gesetz ausgeschlossene Möglichkeit zur Verhängung eines Jugendarrests neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe. Nunmehr ist aber die gesetzliche Grundlage geschaffen. In dem Gesetz befinden sich unter anderem Neuerungen zur Möglichkeit neben der Verhängung einer Jugendstrafe oder der Aussetzung ihrer Verhängung auch Jugendarrest anzuordnen (§ 16a JGG). Es soll damit das jugendgerichtliche Handlungsspektrum erweitert werden, ohne erzieherische Gesichtspunkte und eine möglichst erfolgreiche Bewältigung der Bewährungszeit aus dem Auge zu verlieren. Auch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 6.12.2011 ist berücksichtigt. Außerdem ist der Regierungs-Entwurf nebst Stellungnahme eines Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung eingearbeitet. Ferner sind die nach Erscheinen der Vorauflage verabschiedeten Landesgesetze zum Untersuchungshaftvollzug einbezogen.

Schwerpunkte im materiellen Recht sind die jugendstrafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 3 JGG) und die Beurteilung des Entwicklungsstandes Heranwachsender sowie das Rechtsfolgensystem unter der Berücksichtigung der Prognosestellungen. Weiteres Gewicht legt der Autor auf den Täter-Opfer-Ausgleich und die Schadenswiedergutmachung. Ebenso eingängig wie aufschlussreich sind die Kommentierungen zu den Zuchtmitteln (§§ 13-16a JGG), zur Jugendstrafe (§§ 17-19 JGG) oder zur Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung (§§ 20-26a JGG). In den Vorschriften zum Jugendstrafverfahren, insbesondere zum Vorverfahren und zum Hauptverfahren, gelingt es Eisenberg, dem Leser unter besonderer Hervorhebung des Sinns und Zwecks der einzelnen Normen für das Jugendstrafverfahren einen guten Überblick zu vermitteln. Gerade aus anwaltlicher Sicht sei noch auf die Ausführungen zu § 68 JGG (Notwendige Verteidigung) hingewiesen. Darin arbeitet Eisenberg die Aufgaben der Verteidigung unter besonderer Würdigung des Verhältnisses zum Erziehungsgedanken und zu den Kriterien bei der Verteidigerbestellung heraus.

Neben den JGG-Vorschriften sind im Anhang ein Auszug des SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe), die Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz, auszugsweise die Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen und die Strafvollstreckungsanordnung sowie die Jugendarrest- und Bundeswehrvollzugsordnung abgedruckt. Ein umfangreiches Entscheidungsregister und das Sachverzeichnis runden den Kommentar ab. Was den Aufbau der Kommentierungen angeht, so hat Eisenberg die Erläuterungen teils formal mit strenger Systematik, differenzierten Untergliederungen und klarer Darstellungsweise gestaltet. Regelmäßig wenden sich die Kommentierungen zuerst dem Anwendungsbereich der Vorschrift zu, um im Folgenden Begrifflichkeiten, gesetzliche Voraussetzungen, Tatbestandsmerkmale oder Verhältnisse zu anderen Vorschriften zu erläutern. Wo erforderlich, enden die Kommentierungen mit Ausführungen zum Verfahrensrecht oder Rechtsmitteln. Insofern ist der Kommentar als Nachschlagewerk auch gut zu lesen.

Fazit: Inhaltlich gibt es wohl kaum ein rechtliches Problem, das nicht im „Eisenberg“ erläutert ist oder unter seiner Hinzuziehung zu lösen ist. Kein Wunder bei diesem reichen Informationsfundus verbunden mit einer tiefgehenden – sprachlich recht klaren  – Kommentierung dieses sensiblen Spezialbereichs des Strafrechts. Somit trägt der Kommentar „Jugendgerichtsgesetz“ von Ulrich Eisenberg zu Recht das Prädikat „Standardwerk im Jugendstrafrecht“. Klar zu empfehlen ist er sämtlichen Beteiligten des Jugendstrafverfahrens und darüber hinaus den Mitarbeitern des Jugendstrafvollzugs, der Jugendämter sowie Psychologen und Psychiater.

Jugendgerichtsgesetz
Ulrich Eisenberg,
16. Aufl. 2013, 1.403 S., 99,00 €
Verlag C.H. Beck
ISBN: 978-3-406-64284-5

Veröffentlicht von on Aug 28th, 2013 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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