Ein Tagungsband über „Hans Kelsen und die deutsche Staatsrechtslehre
Matthias Wiemers
Der gebürtige Österreicher Hans Kelsen, der als Jude während des Dritten Reiches letztlich in die USA fliehen musste, wird zu den vier großen Staatsrechtslehrern der Weimarer Republik gezählt – neben Carl Schmitt, Rudolf Smend und Hermann Heller.
Er hat die Wiener rechtspositivistische Schule wesentlich geprägt, und insbesondere die drei übrigen der Großen Vier haben sich in der Zeit um 1930 inhaltlich an seiner Lehre gerieben. Hans Kelsen, 1881 in Prag geboren, starb im Jahre 1973 in der Nähe von Berkeley, Kalifornien, wo er „nur“ der politikwissenshaftlichen Fakultät angehört hatte. Seine „Reine Rechtslehre“, eine besonders extreme Form des Rechtspositivismus, wurde vor allem durch die zwei Auflagen eines gleichnamigen Lehrbuchs (1934, geschrieben im Schweizer „Zwischen-Exil“ und 2. Auflage 1960) repräsentiert. In den letzten Jahren fanden gleich mehrere Fachtagungen zu Leben und Werk Hans Kelsens statt, darunter an zwei Tagen im Oktober 2011 in der Carl-Friedrich von Siemens-Stiftung in München. Der jetzt vorgelegte Band dokumentiert diese Tagung, die unter der wesentlichen Leitung des Herausgebers Matthias Jestaedt stattfand.
Nach einer Einführung des Herausgebers folgen Beiträge im Rahmen einer Einteilung in fünf Teile: „Die Weimarer Jahre“ (I.), „die Staatsrechtslehre der ersten Nachkriegsjahrzehnte“ (II.), „Kelsen im Urteil der Nachkriegsgeneration“ (III.), „posthume Wiederentdeckung Kelsens“ (IV.) und „Kelsen und die gegenwärtige Staatsrechtslehre“. Die einzelnen Teile werden jeweils abgeschlossen durch dokumentierte Diskussionen der Tagungsteilnehmer. Ein besonderer „Leckerbissen“ für historisch, namentlich an der Entwicklung der Lehre des Öffentlichen Rechts in Deutschland Interessierte findet sich am Schluss des Bandes: ein Gruppenfoto der Teilnehmer an der berühmten Staatsrechtslehrertagung 1926 in Münster, auf der sich der so genannte Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtslehre entzündete. Nicht nur der Herausgeber wird dankbar sein für Hinweise auf die wenigen der abgebildeten Personen, die noch nicht namentlich identifiziert werden konnten.
Ohne an dieser Stelle auf einzelne Inhalte und auf der Tagung vorgetragene Thesen einzugehen, will ich nur auf folgendes hinweisen:
Wer sich, besonders als junger Jurist, der Person Kelsens erstmalig nähern will, schrecke vor der Lektüre dieses ausgezeichneten Sammelbandes nicht zurück. Denn er wird – neben den Hinweisen zu Leben und Werk Hans Kelsens – zahlreiche Anknüpfungspunkte auch zu älteren und jüngeren Vertretern des öffentlichen Rechts finden, die durch eigene Beiträge an der Tagung teilgenommen haben und deren eigenes Werk er sich nun indirekt ebenfalls erschließen kann. Es ist sicher spannend, sich über die mit dem Tagungsband präsentierte Auseinandersetzung mit Kelsen die deutsche Staatsrechtslehre zu erschließen.
Matthias Jestaedt (Hrsg.)
Hans Kelsen und die deutsche Staatsrechtslehre. Stationen eines wechselvollen Verhältnisses
Mohr Siebeck, Tübingen 2013,
280 S., 59 Euro
ISBN 978-3-16-152396-0