Mit Band XI findet die dritte Auflage des „Isensee/Kirchhof“ nahezu ihren Abschluß
Matthias Wiemers
Seit 1987 erlangte die alte Bundesrepublik ein Kompendium des in ihr geltenden Verfassungsrechts , das dem für die Weimarer Republik erstellten „Anschütz/Thoma“ an Bedeutung gleichkam. Wie der Anschütz/Thoma, in zwei Bänden 1930 und 1932, also am Ende der ersten Republik auf deutschem Boden, erschien, so begann das auf acht Bände angelegte neue Handbuch am Ende der alten Bundesrepublik zu erscheinen. Bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten waren fünf Bände fertiggestellt, und die Herausgeber sahen sich schließlich gezwungen, für die großen Herausforderungen, die mit der Deutschen Einheit verbunden waren, zwei weitere Bände zu konzipieren, so dass – einschließlich eines Registerbandes X – am Ende zehn Bände vorlagen, die bezüglich der ersten sechs Bände in der Folgezeit praktisch in zweiter Auflage nachgedruckt wurden.
Die vollständige Neubearbeitung wird durchgängig als dritte Auflage bezeichnet, die nun mit Band XI fast ihren inhaltlichen Abschluß gefunden hat. Wir müssen nur noch auf einen Resuméband und ein Register warten.Waren die „internationalen Beziehungen“ in der ersten Auflage nur Teil des recht dünnen Bandes VII gewesen, so widmete sich nun Band X bereits „Deutschland in der Staatengemeinschaft“ und stellt der im vergangenen Herbst vorgelegte Band XI weitere „internationale Bezüge“ her. Konnte eigentlich das Gesamtwerk schon mit dem letzten Band als abgeschlossen gelten, so bringt der abschließende Band in allen denkbaren Facetten zum Ausdruck, was der Berliner Altmeister des Völkerrechts Christian Tomuschat im Eingangskapitel bereits anreißt: die „staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit“ – ein Kapitel, das bereits im alten Band VII enthalten war.
Hatte ein Kritiker bereits für den Stand des vergangenen Frühjahrs, also nach Erscheinen von Band X, konstatiert, dass mit der Neuauflage eine Abwendung des Handbuchs vom „staatszentrierten Verfassungsdenken“ verbunden sei, so mag man diese These mit Band XI bestätigt finden. Schon die Herausgeber selbst skizzieren in ihrem ausführlichen Vorwort den Wandel: „So klar sich die staatsrechtliche Lage des Anfangs darstellt, so unübersichtlich, ungesichert und schwierig zeigt sie sich heute. Zunächst war die Stellung Deutschlands in der Völkergemeinschaft nur ein marginales Thema der Staatsrechtslehre. Heute rückt die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung den völker- und europarechtlichen Status Deutschlands in das Zentrum verfassungsrechtlicher Aufmerksamkeit.“
Die einzelnen Kapitel sind ganz überwiegend vollständig neu, jedoch gibt es auch in diesem Band ein Thema, dessen Ausführung offenbar als zeitlos angesehen wurde: die Behandlung des „Selbstbestimmungsrechts des Volkes als Grundlage der deutschen Einheit“ durch den vor einigen Jahren verstorbenen Helmut Quaritsch. Einige weitere Kapitel seien – dem begrenzten Raum einer solchen Besprechung geschuldet – nur stichwortartig genannt: Friedensgebot des Grundgesetzes (Alexander Proelß), Selbstbestimmungsrecht des Volkes in der Weltgemeinschaft (Ulrich Vosgerau), Gebiets- und Personalhoheit des Staates (Florian Becker), Cyberspace (Stephan Hobe), Wettbewerb der Rechtsordnungen? (Jens Kersten), Globalisierung (Adelheid Puttler), Anwendung deutschen Rechts im Ausland und fremden Rechts in Deutschland (Christian Walter), Ordre public (Christoph Ohler), Mitwirkung des Verfassungsstaates an Rechtsakten anderer Staaten (Christian von Coelln), grenzüberschreitende Reichweite deutscher Grundrechte (Florian Becker), militärische Einsätze der Bundeswehr (Bardo Fassbender), Weltstrafrecht (Klaus Ferdinand Gärditz), multinationale und globale Unternehmen im Wettbewerb der Systeme (Karl Mathias Meesen), Entwicklungszusammenarbeit (Philipp Dann), Internationales Finanzrecht (Ekkehart Reimer), Geldwirtschaft im Weltfinanzsystem (Reiner Schmidt).
Wendet sich diese Seite auch vornehmlich an den juristischen Nachwuchs und wird sich dieser nicht unbedingt das gesamte Handbuch anschaffen wollen, so mag aber doch etwa das besondere Interesse an eben den „internationalen Bezügen“ der deutschen Verfassungsordnung den ein oder anderen besonders zum Erwerb dieses Bandes bewegen. Seine Versuche, die Herausforderungen des noch jungen 21. Jahrhunderts auf den verfassungsrechtlichen Begriff zu bringen, werden jedenfalls noch für einige Jahre Maßstäbe geben. Der Abschlußband ist für September vorgesehen, der Registerband für 2015.
Isensee, Josef/ Kirchhof, Paul (Hrsg.)
Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland
Bd. XI, internationale Bezüge,
3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, 1335 S.
ISBN 978-3-8114-4511-6