Die gesammelten Anlageweisheiten von Börsenguru Prof. Dr. Max Otte in „Sehr geehrte Privatanleger!“
Daniel Koinegg
Im besprochenen Werk wird dem Leser eine gut gemischte Sammlung von Kolumnen präsentiert, die Prof. Otte im Rahmen seines Börsebriefes „DER PRIVATINVESTOR“ veröffentlicht hat und die durch seine umfassende Publikationstätigkeit über diverse Medien distribuiert wurden und werden.
Das Buch umfasst acht Kapitel. Zunächst findet sich eine Einführung „in eigener Sache“, in der Otte die Arbeit des von ihm gegründeten „Institutes für Vermögensentwicklung (IFVE)“ und die Motive seiner Tätigkeit darlegt. Zurecht beklagt er einen allgemeinen, teilweise eklatanten Mangel an Basiswissen in Finanzangelegenheiten und hebt eines der Grundprinzipien der Geldanlage hervor, nämlich keine dauerhaften Kapitalverluste zu riskieren („Don`t lose!“).
Das zweite Kapitel stellt aus meiner Sicht einen zentralen Pfeiler des Werkes dar, nämlich einen Rückblick auf das Börsenjahrzehnt 2003 bis 2013, einen Zeitraum, der die Nachwehen der „dotcom“-Blase ebenso miteinschließt wie eine der schwersten Finanzkrisen überhaupt und schließlich massive Unsicherheiten um die vom Autor in ihrer Struktur immer wieder fundiert und nachvollziehbar kritisierte europäische Gemeinschaftswährung mit sich brachte.
Der dritte Teil streicht die mitunter haarsträubend anmutenden Praktiken und Partizipanten der Finanzindustrie hervor, angefangen bei intransparenten und gefährlichen „Produkten“ wie Zertifikaten in allen möglichen Ausprägungen oder Aktienanleihen, bis hin zur Rolle von Hedgefonds auf dem internationalen Finanzparkett.
Im vierten Kapitel wird grundlegendes Wissen rund um das Eingehen von Wertpapierengagements vermittelt. Otte behandelt die Technik des Value Investings, dessen unterschiedliche stilistischen Ausprägungen (Buffett versus Graham), spricht Bewertungsmethoden an, die sein Mentor Prof. Bruce Greenwald an der Columbia University verwendet und lehrt und weist darauf hin, dass Wachstum in den allermeisten Fällen – durchaus entgegen dem „common sense“ – in der Bewertung eines Unternehmens keinen Preisaufschlag rechtfertigt. Außerdem finden sich hier hartnäckige und durchaus berechtigte Warnungen vor den vielfach beworbenen „Mittelstandsanleihen“, die de facto „junkbonds“ mit schönerem Etikett darstellen.
Der fünfte Teil liefert Einblicke in die Investitionspraxis des Autors anhand ausgewählter Beispiele. So bespricht er seine Engagements bei Warren Buffetts Berkshire Hathaway, dem deutschen Webdienstleister United Internet oder dem Schweizer Nahrungsmittelgiganten Nestle.
Im sechsten Kapitel reflektiert der Autor über „alternative“ Anlageformen wie Gold, welches er als Versicherung gegen den Ernstfall zur Beimischung empfiehlt, über Immobilien und liefert einige Anmerkungen zu Anleihen.
Das siebente Kapitel stellt dem Leser etwas zur Verfügung, das in der Finanzberichterstattung leider schon zur Seltenheit mutiert ist, nämlich verschiedene Mittel zur Nachprüfbarkeit. Insbesondere seit Lancierung zweier Fonds (die aber meiner Meinung nach leider im Buch etwas zu sehr beworben werden) ist es möglich, das definitiv vorhandene Anlagegeschick von Prof. Otte auch in der Praxis mitzuverfolgen.
Im achten und letzten Teil findet sich durchaus Kritisches zur politisch-wirtschaftlichen Situation auf deutscher und europäischer Ebene. Es werden Schwachstellen und Unzulänglichkeiten im „Krisenmanagement“ im Rahmen der gemeinsamen Währungspolitik herausgearbeitet, die Unterwanderung des kontinentaleuropäischen kredit(vergabe-)basierten Wirtschafts- und Finanzsystems durch angloamerikanische, sehr stark kapitalmarktgeprägte Tendenzen beklagt und die Abhängigkeit von Ratingagenturen angeprangert, die offensichtlich mit zweierlei Maß messen (bzw. dies zumindest in der Vergangenheit taten).
Der Autor beweist in vielen seiner Ausführungen Mut, eigenständiges Denken, Aufrichtigkeit und Konsequenz: Mut, weil teilweise schonungslose und harte Worte für fragwürdige Praktiken gefunden werden, wie beispielsweise die gigantische Wertvernichtung, die Daimler zeitweise betrieben hat. Eigenständiges Denken exemplarisch in Anmerkungen zur heuchlerischen, willkürlichen und reaktionären Verurteilung von BP im Rahmen des Gedankens einer „corporate social responsibility“, die wenige(s) anprangert und viele(s) vergisst. Aufrichtigkeit im Umgang mit eigenen Fehleinschätzungen wie zum Beispiel nach der Insolvenz der von ihm empfohlenen Praktiker AG. Und schließlich Konsequenz, weil in der Sammlung von Kolumnen kaum Widersprüchlichkeiten bzw. Abschweifungen von einer ursprünglich kundgetanen Meinung aufzufinden sind. Prof. Otte besitzt jedenfalls eine Gabe, die nur wenigen Menschen zuteil geworden ist, nämlich komplexe Dinge leichter verständlich zu machen. Genau an diesem Punkt möchte ich allerdings auch ein wenig Kritik anbringen: Punktuell führt die eigentlich wünschenswerte Vereinfachung mitunter dazu, dass eine Aussage eine irreführende Note erhält. Wird beispielsweise behauptet, dass eine Marktkapitalisierung in Höhe des halben Buchwertes bedeute, dass die realen Vermögenswerte eines Unternehmens doppelt so viel wert seien, so simplifiziert das zu sehr und suggeriert dem Leser möglicherweise eine Leichtigkeit der Investitionstätigkeit, die in der Praxis so definitiv nicht vorzufinden ist.
Meine eigenen Ausführungen möchte ich mit einem Zitat aus dem Buch schließen, das mich als Value Investor sehr angesprochen hat und das durchaus dem mittlerweile von kurzfristigem Denken, Zockermentalität und Diskontinuität geprägten Kapitalmarktpublikum ins Stammbuch geschrieben werden könnte: „Wenn es billig ist: kaufen. Halten – auch wenn die Aktien noch billiger werden und es schwerfällt. Und dann zurücklehnen und irgendwann die Renditen kassieren. Einen anderen Weg kenne ich nicht.“
Max Otte
Sehr geehrte Privatanleger!
1. Aufl. 2013, 352 S., 24,99 €
Verlag FBV – Finanzbuchverlag
ISBN: 978-3-89879-816-7
Daniel Koinegg betreibt die Internet-Plattform www.bargain-magazine.com, auf der er regelmäßig seine Unternehmensbewertungen und eigene Gedanken zum Value Investing publiziert.