Der italienische Rechtsphilosoph Cesare Beccaria und sein Kampf gegen die Todesstrafe
Jochen Barte
Wer regelmäßig Zeitung liest oder sonstige Medien zur Information nutzt, dem bot sich in den vergangen Monaten eine ideale Möglichkeit zur strafrechtlichen Weiterbildung: Steuerhinterziehende Wurstfabrikanten, Bundestagsabgeordnete mit pädophilen Neigungen, ein schnorrender Ex-Bundespräsident und studentische Sexspiele mit tödlichem Ausgang. Insgesamt ein buntes Potpouri der Delinquenz, bei dem immer auch, implizit oder konkret, eines mit im Raum stand bzw. steht: die Forderung nach einer angemessenen Strafe.
Wie diese aber konkret aussehen sollte, da gehen die Meinungen naturgemäß auseinander. Mit einer Ausnahme: Die Diskussion über die Ahndung eines Kapitalverbrechens mit der Todesstrafe findet sich in unserer Medienlandschaft so gut wie gar nicht mehr. Dass die Todesstrafe aus Europa verschwunden ist, ist zum Großteil einem einzigen Mann zu verdanken, der 1764 ein kleines Büchlein verfasste, das ihn über Nacht berühmt machen sollte. Der Autor war ein Aristokrat aus Mailand, sein Name Cesare Beccaria und das Werk hieß „Von den Verbrechen und von den Strafen.“
Beccarias Argumentation gegen die Todesstrafe ist einfach und klar – und sie hat bis heute Gültigkeit. In seiner Staatstheorie schließt er an die Konzeptionen vom Gesellschaftsvertrag an, wie sie von Hobbes und später von Rousseau entwickelt wurden. Die Notwendigkeit von Strafen resultiere aus der egoistischen Natur des Menschen, die Befugnis zu strafen erwachse aus dem Gesellschaftsvertrag und sei auf das für den Erhalt der Gemeinschaft erforderliche Maß zu beschränken. Als wichtigster Strafzweck ergebe sich daraus die Funktion der Abschreckung. Aus diesen Prämissen leitet Beccaria zwei Kernargumente gegen die Todesstrafe ab. Im Rekurs auf den Gesellschaftsvertrag schreibt Beccaria: „Worauf gründet sich denn das Recht, welches sich die Menschen anmaßen, ihresgleichen zu würgen? Gewiss nicht auf das Recht, woraus die oberste Gewalt und die Gesetze entspringen. Die Gesetze sind der Betrag der kleinsten Anteile von Freiheit, so jeder einzelne Mensch den anderen aufopfert. Sie stellen den allgemeinen Willen vor und sind der Mittelpunkt der gesammelten besonderen Willen aller einzelnen Mitglieder. Ist aber wohl ein einziger Mensch zu denken, der anderen Menschen das Recht einräumen werde, ihm das Leben zu nehmen?“ Das ist ganz im aufklärerischen Sinne gedacht. Menschen treten einander als freie vernunftbestimmte Partner gegenüber, die verfassungsgebend zur Beförderung des allgemeinen Wohls Rechte an den Staat abtreten. Da der Staat aber letztlich nur abstraktes Substrat seiner Mitglieder ist, kann er kein Recht gegen diese in Anspruch nehmen, das diese nicht bereit gewesen wären vorher willentlich zu entäußern.
Eine Abschreckung könne von der Todesstrafe schließlich auch nicht erwartet werden, da die Strafe nicht durch ihre Heftigkeit, sondern durch ihre Dauer den stärksten Eindruck auf den Menschen mache. Beccaria schlägt deshalb bei Mord lebenslange Zwangsarbeit vor: „Der stärkste Zaum, den man also dem Verbrechen anlegen kann, ist […] die lebenslange Beraubung der Freiheit eines Menschen, welcher gleichsam in ein Lasttier verwandelt, durch seine ermüdende Arbeit die von ihm verletzte Gesellschaft entschädigt […]“.
Damit war das Ende der Todesstrafe in Europa quasi besiegelt, auch wenn es in der Folgezeit noch ein langes, zähes Ringen zwischen Hardlinern und Abolitionisten geben sollte. Zu den Hardlinern zählten u.a. auch Kant und Hegel, wobei Kant vehement forderte, dass ein Mörder sterben müsse, da es kein zur Befriedigung der Gerechtigkeit geeignetes Surrogat gebe. Hier fand sich der Meisterdenker aus Königsberg aber ausnahmsweise auf der falschen Seite des philosophischen Diskurses wieder. Art. 102 GG postuliert lapidar: Die Todesstrafe ist abgeschafft.