Licht und Schatten

Phillip Boa & the Voodooclub auf „Bleach House“

Thomas Claer

boa-coverFrüher war alles besser. So falsch dieser Satz zumeist ist, bei diesem Musiker hat er eine gewisse Berechtigung. Denn einem fulminanten Frühwerk, das seinen frühen Ruhm in den Achtzigerjahren begründete, ließ Phillip Boa, der über die Jahre immer wieder andere Instrumentalisten um sich scharte, die dann als Voodooclub firmierten, ein recht durchwachsenes Anschlusswerk folgen. Als Besitzer aller bislang 18 Boa-Studioalben fühle ich mich schon fast wie der Sesamstraßen-Mann, der mit sich selbst hadert, weil er unablässig ein bestimmtes Restaurant aufsucht, nur um sich dort immer wieder aufs Neue über den unfähigen Kellner Grobi aufzuregen, der ihm stets die falschen Gerichte bringt. Nun war zwar auch nicht alles schlecht an den Voodooclub-Veröffentlichungen der letzten 20 Jahre. Nur musste man sich als leidgeprüfter Fan zumeist mit ein bis zwei guten Songs pro Album bescheiden, während auf den ersten sieben Platten noch jeder einzelne Track eine Offenbarung war. Zuletzt war es aber gerade wieder etwas aufwärts gegangen bei Phillip Boa. Auf dem Vorgängeralbum „Loyalty“ von 2012, das mit Platz 13 in der Verkaufscharts auch einen überraschenden kommerziellen Erfolg erzielte, waren mit „Sunny When It Rains“ und „Til the Day We Are Both Forgotten“ zwei wirklich große Popsongs – und darüber hinaus sogar noch ein paar weitere brauchbare Lieder.
Nun also „Bleach House“, die erste Platte nach dem sehr bedauerlichen (und diesmal wohl endgültigen) Ausscheiden der bezaubernden Co-Lead-Sängerin Pia Lund. An ihre Stelle tritt eine junge Sängerin namens Pris, die sich ganz wacker schlägt, wenn auch ihrer Stimme in den meisten Songs eher weniger Präsenz eingeräumt wird. Insgesamt ist der Boa-Sound jetzt wieder rockiger und weniger elektronisch. Das anarchische Getrommel, besonders im Titelsong „Kill the Future“, erinnert sogar angenehm an die ganz frühen Jahre. Doch immer dann, wenn Phillip Boa den wilden Mann spielen zu müssen glaubt und mit betont wuchtigen Refrains aufwartet, ist er wenig überzeugend – und genau hier liegt das Problem schon seit zwei Jahrzehnten! Vielmehr waren es in jenen Jahren die leisen, melancholischen, manchmal auch verspielten Songs wie „Punch & Judy Club“, „Faking to Blend in“, „Emma“ oder „Jane Wyman“, die oftmals am Ende noch alles rausgerissen haben. Auf „Bleach House“ findet sich Vergleichbares nur in Ansätzen. „Standing Blinded on the Rooftops“ hat noch am ehesten Popsong-Qualität, doch ist ausgerechnet hier die Produktion um einiges zu glatt geraten. Gleich mehrere Stücke werden nach durchaus ansprechendem Strophen-Teil von den bombastischen Refrains regelrecht zerstört. Unter den lauteren Songs geht noch am ehesten „Ueberblendung“ in Ordnung, das den bemerkenswert selbstkritischen Text “I sold my soul in the nineties“ enthält. Vermutlich würde es die Qualität der Boa-Veröffentlichungen erheblich steigern, wenn der Meister nur noch höchstens alle fünf Jahre ein neues Album rausbrächte.
Klar, der wahre Boa-Fan braucht auch diese Platte, alle anderen sollten aber besser zu den frühen Scheiben aus den Achtzigern oder zu späteren Lichtblicken wie C90 (2003) oder Loyalty (2012) greifen. Oder  die Voodooclub-Konzerte besuchen, die heute übrigens besser sind als jemals zuvor; es hat sich mit der Zeit eben doch eine große Menge exzellenter Songs angesammelt. Was „Bleach House“ angeht, so lautet das Urteil: befriedigend (8 Punkte).

Phillip Boa & the Voodooclub
Bleach House
Cargo Records 2014
Ca. € 17,-
CARCD 141

Veröffentlicht von on Sep 1st, 2014 und gespeichert unter SCHEIBEN VOR GERICHT. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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