Element Of Crimes Vinyl-Maxi „Lieblingsfarben und Tiere“ macht schon mal Appetit auf das Album
Thomas Claer
Einen besseren Appetitanreger aufs gleichnamige Album, das in wenigen Tagen erscheinen wird, hätten sich Element Of Crime gar nicht ausdenken können: Als 10 Inch-45 RPM-Vinylmaxi (und wunderbarerweise nur als solche! Nehmt das, all ihr Verächter der Schallplattenkultur!) gibt es neben dem Titelsong „Lieblingsfarben und Tiere“ noch drei Cover-Versionen recht betagter britischer und amerikanischer Popsongs, die nicht jedem geläufig sein dürften, als da wären: Medicine Man (die Originalversion stammt von John Mayall), If (eigentlich von Pink Floyd) und We Have All The Time In The World (ursprünglich gesungen von Louis Armstrong). Geschrieben wurden diese drei Lieder zwischen 1968 und 1970, also zu einer Zeit, als selbst so alte Säcke wie der Justament-Musikrezensent noch nicht auf der Welt waren, jedenfalls noch nicht ganz.
Aber der Reihe nach: Auf der A-Seite der Platte geht es los mit „Lieblingsfarben und Tiere“, bei dem ganz eindeutig die textliche Aussage im Vordergrund steht. Musikalisch ist dieses Lied schon hart an der Grenze zur Selbstgefälligkeit. Es geht um die selbstgewählte Unerreichbarkeit in medialer und technischer Hinsicht. Das lyrische Ich sagt zu jenem Zeitgenossen, der es so dringend auf allen nur denkbaren Wegen erreichen möchte, sinngemäß: „Du kannst mich mal!“ Ob das nun als kritischer Beitrag zur Debatte über die ständige Erreichbarkeit von Arbeitnehmern nach Feierabend zu verstehen ist oder schlicht als Der-Welt-den-Stinkefinger-Zeigen eines arroganten, weil etablierten, Popstars, das möge jeder Hörer selbst beurteilen. Interessanter sind die restlichen Songs.
„Medicine Man“ von John Mayall also. John Mayall – wer war denn das noch gleich? Ach ja, der „Vater des weißen Blues“. Sehr guter Mann, ist jetzt schon über achtzig. Und sein „Medicine Man“ ist ein Geniestreich ersten Ranges. Mit einfachsten Mitteln wird eine unerhörte Spannung erzeugt. Und die Umsetzung der Elements? Kongenial. Wie schon bei früheren anderen Cover-Versionen schaffen es Sven Regener und Co. auch bei diesem Song, ihn nicht nur stimmungsvoll zu adaptieren, sondern sogar mit eigenen Mitteln noch eins draufzusetzen. Sie haben bei der Darbietung fremder Stücke ein so gutes Händchen, dass man ihnen fast raten möchte, ihrem exzellenten Cover-Album „Fremde Federn“ (2010) irgendwann noch ein weiteres dieser Art folgen zu lassen; spätestens, wenn ihnen die Ideen für neue eigene Songs einmal ausgehen sollten. Aber so weit ist es, so viel lässt sich im Hinblick auf das neue Album schon vorwegnehmen, noch lange nicht.
Die B-Seite beginnt mit „If“ von Pink Floyd. Hm, von welcher Platte kann denn das gewesen sein? Beim Hören kommt es einem schon seltsam bekannt vor… Und wie heißt es so schön in einem bekannten deutschen Popsong: „…aber so hab ich‘s noch nie gehört“. Nein, das gibt es doch gar nicht: Es ist tatsächlich von „Atom Heart Mother“, der legendären Platte mit der Kuh auf dem Cover. Die hab ich seit mindestens zehn Jahren nicht mehr angehört und hole es auf der Stelle nach. Ein orchestrales Meisterwerk. Anfang der Neunziger lief sie bei mir ständig rauf und runter. Mein Mathe-Lehrer hatte sie mir ausdrücklich ans Herz gelegt. Und wie recht er damit hatte! Er nannte damals übrigens seine Lieblingsband liebevoll „Pink Flink“. Die Google-Recherche beweist: Kein Mensch sagt heute noch „Pink Flink“ zu „Pink Floyd“. (Sofern das überhaupt irgendjemand außer meinem Mathe-Lehrer jemals getan hat.) Wenn aber dieser Artikel online gestellt ist, wird es endlich einen Google-Treffer für „Pink Flink“ geben! Aber zurück zu „Atom Heart Mother“. Besonders hatte mich damals die übereinstimmende Metaphorik von Albumtitel, Plattencover und der Musik des Titelstücks tief beeindruckt. „Atom Heart Mother“ – was da alles drinsteckt und mitschwingt, so dachte ich zumindest damals. Nun lese ich auf Wikipedia über die Entstehungsgeschichte des Album-Titels: Die Platte sollte eigentlich „The Amazing Pudding“ heißen. Das fanden die Musiker aber irgendwie doof, und so schlug Roger Waters vor, man solle doch einfach aus einer im Aufnahmestudio herumliegenden Zeitung irgendeine der Überschriften nehmen. Mein Gott, wie banal! Das Internet kann einem aber auch die schönsten Illusionen rauben! „Die Titelgeschichte der Ausgabe handelte von einer schwangeren Frau, der ein neuartiger Herzschrittmacher mit Atombatterie implantiert werden sollte. Die Überschrift des Zeitungsartikels lautete „Atom Heart Mother“ (Atomherz-Mutter). Danach entschied sich die Band, den Titel auch für das komplette in Produktion befindliche Album zu verwenden“, weiß Wikipedia. Und das Cover mit der Kuh? Das hatte sich die Band schon vorher ausgesucht, weil sie sich nicht mehr länger auf ihr Spacerock-Image festlegen lassen wollte. Einfach mal so als Kontrapunkt ein Stück Natur also. Manchmal ist es vielleicht doch besser, nicht ganz so genau zu wissen, wie alles wirklich war… Jetzt aber zu „If“. Dieser kleine feine Gitarrensong geht auf „Atom Heart Mother“ neben dem monumentalen Titelstück etwas unter. Element Of Crime haben das jetzt mit ihrer Version dieses Stücks wieder gerade gerückt.
Und zu guter Letzt „We Have All The Time In The World“, eigentlich gesungen von Louis Armstrong. Bei ihm muss ich immer an die 70er-Jahre-Parodie von Otto Waalkes denken, der alle möglichen Leute das deutsche Volkslied „Im Frühtau zu Berge“ singen ließ. Als Louis Armstrong klang das dann mit belegter und zugleich seltsam gepresster Stimme so: Wöwöwöwöwö – im- Fuih-tau zu Beg-ge-we go – falleraaaaaaaaah“ Sven Regener hingegen versucht erst gar nicht, den großen „Satchmo“ zu parodieren und singt „We Have All The Time In The World“, das einst in einem James-Bond-Film erklang, wie einen eigenen Song. Auch nicht schlecht. Das Gesamturteil lautet: voll befriedigend (12 Punkte).
Element Of Crime
Lieblingsfarben und Tiere
Vinyl
Vertigo Berlin (Universal Music) 2014
7,95 EUR
ASIN: B00LXLQMAW