Wir sind Charlie, wir sind Muslime, wir sind Houellebecq

Anmerkungen zur Presse-, Religions- und Kunstfreiheit

Thomas Claer

So unvorstellbar dumm die Attentäter auch gewesen sein mochten, die am vergangenen Mittwoch ein Blutbad in den Redaktionsräumen des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo anrichteten, um den Propheten Mohammed wegen ein paar blasphemischer Karikaturen zu rächen, eines hatten sie schon ganz richtig erkannt: Ihre Hauptfeinde waren nicht irgendwelche Hooligans oder der „Front National“, sondern, und hier konnten sie mit allen Fundamentalisten jeder Couleur einig sein, der Humor, die Ironie, das Recht zum Spotten. Denn diese Werte und Grundsätze sind, um es mit dem hier ausnahmsweise gebotenen Pathos zu sagen, womöglich das Heiligste überhaupt in einer freien Gesellschaft. Es gibt schlichtweg keinen besseren Maßstab für den Grad an Liberalität, der in einem Lande herrscht, als die Frage, was dort Satire darf und was nicht. Überflüssig zu erwähnen, wie allein die Antwort darauf in einem wirklich freien Land nur lauten kann. Natürlich darf Satire, um es mit den Worten eines unserer Propheten, des Hl. Kurt Tucholsky, zu sagen: ALLES. Ja, genau: ALLES, ALLES, ALLES.

Gleich danach muss aber auch schon die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses kommen. Vermutlich ist es ja ein Gebot der politischen Klugheit, auf die „besorgten Bürger“ zuzugehen, die in Dresden und anderswo gegen eine angeblich drohende „Islamisierung“ des „christlichen Abendlandes“ auf die Straße gehen, ihre Sorgen und Ängste (auch die vor der angeblichen „Lügenpresse“) ernst zu nehmen, wie es immer so schön heißt. Sonst werden sie sich womöglich noch dauerhaft in ihrer vermeintlichen Opferrolle („Die da oben machen ja doch, was sie wollen.“) einrichten. Es muss aber klar sein, dass hier auf aggressive Weise an den existentiellen Prinzipien einer freien Gesellschaft gesägt wird. Die große Bewährungsprobe für unsere Zivilgesellschaft wird es daher sein, die überwältigende Mehrheit der rechts- und verfassungstreuen Muslime unter uns vor dem sich leider wieder ausbreitenden Generalverdacht gegen sie zu schützen.

Soweit ist alles klar. Etwas schwieriger liegt der Fall bei „Unterwerfung“, dem neuen Roman des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq. Darin entwirft dieser das Zukunftsszenario einer „Machtergreifung“ streng religiöser Muslime in Frankreich, welche die Scharia zum obersten Verfassungsprinzip machen, die Polygamie legalisieren u.s.w. Wird hier nicht die Freiheit der Kunst missbraucht, um politisch-religiöse Hetze gegen eine Minderheit zu betreiben? Ist das nicht gewissermaßen PEGIDA mit den Mitteln der Kunst? Nun, eine solche Deutung ist durchaus möglich. Manche werden solche Intentionen des Verfassers sogar für wahrscheinlich halten, zumal sich der Roman auch als durchsichtiger Versuch des Autors ansehen lässt, mit der größtmöglichen Provokation maximal Kasse zu machen. Und doch darf sich eine differenzierte Betrachtung niemals der Logik des Verdachts beugen. Schon eine flüchtige Durchsicht der ersten Rezensionen des Romans lässt dessen Vieldeutigkeit und Komplexität erkennen. Wahrscheinlich haben wir es sogar mit einer groß angelegten französischen Gesellschaftssatire zu tun. Es genügt aber bereits, dass es sich hier eindeutig um Kunst und nicht um Propaganda handelt, um Houellebecq, ähnlich wie sein Romanheld Kettenraucher und meistens schon um zwölf Uhr mittags betrunken, gegen seine Kritiker zu verteidigen. Kurz, die Freiheit der Kunst verdient einen ebenso unbedingten Schutz wie die der Presse und die der Religion.

Veröffentlicht von on Jan 12th, 2015 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

3 Antworten for “Wir sind Charlie, wir sind Muslime, wir sind Houellebecq”

  1. Johannes Kraut sagt:

    Zusammenfassend zur Debatte Andreas Zielcke (Süddeutsche Zeitung vom 23.1.15): Die einhellig und nahezu allerorts erfolgende Anführung des Tucholsky-Zitats von 1919 sei naiv und geschichtsvergessen, da sie insbesondere die späteren Exzesse in den Karikaturen der antisemitischen Wochenzeitschrift „Der Stürmer“ (1923 ff.) ausblende. Daher könne allenfalls eine Satire, die eindeutig eine Kritik der Mächtigen darstelle, „alles dürfen“. Doch liege genau hier das Problem, da der Islam zwar eine mächtige Weltreligion sei, zugleich in Frankreich aber auch die Religion einer angefeindeten Minderheit. Was würden z.B. die ägyptischen Kopten von antichristlichen Karikaturen in Ägypten halten? Wäre das auch noch Satire?

  2. Rüdiger R. sagt:

    Peter Sloterdijk über Pegida: „Die große Krise erkennt man daran, dass eine Gesellschaft freiwillig monothematisch wird. Es entsteht ein ungeheurer Sog, dem sich praktisch niemand entziehen kann. Plötzlich fühlen sich unzählige Menschen von etwas bedroht, was sie nicht bedroht. … In Wahrheit haben diese Leute keine Angst, sondern sie haben das Bedürfnis nach einem Feind. Es gibt ein Verlangen nach Konflikt, es gibt auch ein narzisstisches Streben nach der Bedrohung. Und das ist ein kostbarer Zustand: Man fühlt sich als eine bedrohte, als eine aussterbende Spezies. Man erhöht das eigene Leben. … Ich meine, Menschen dürfen überhaupt keine Freiheiten aufgeben, und schon gar nicht in vorauseilender Kooperation mit dem großen Bruder…“

    https://www.youtube.com/watch?x-yt-cl=85114404&v=PvtKIc-CK5A&x-yt-ts=1422579428

  3. Johannes K. sagt:

    Aus Leserbriefen an die Süddeutsche Zeitung, veröffentlicht am 5.2.2015:
    Gisela M. aus E. führt aus, unter Satire könne und dürfe man nicht nur eine spottende Kritik der Mächtigen verstehen, sondern auch eine spottende Kritik „des Anspruchs, wenn dieser sich zu weit von der Realität entfernt“. „Ist Satire nicht besonders notwendig, wo Werte hoch-, aber nicht eingehalten werden, wie das nicht nur, aber auch, bei Religionen der Fall sein kann? Dann käme es auch nicht darauf an, ob es sich dabei um religiöse Minder- oder Mehrheiten handelt.“ Dr. Erdmann W. aus T. schreibt: „Charlie Hebdo hat mit den Mitteln der Karikatur despotische Weltanschauungen, Verletzungen der Menschenrechte und der demokratischen Ordnungen angeprangert. … Aber es war die generationenlange Vorarbeit der Aufklärung zur Konstitution menschlicher Vernunft, welche die Menschen überhaupt erst empfänglich für die Botschaften der Karikaturisten gemacht hat. Diese Vorarbeit ist im islamischen Raum höchst unvollkommenm geleistet. Die Konstitution von Vernunft im Sinne von Erkenntnis der Realität, ihrer sinnvollen Bewertung und von Motivation zu verantwortlichem Verhalten ist auch in der westlichen Welt gefährdet, aber im Raum des Islam ist erschreckend wenig davon zu erkennen. Die Voraussetzungen, dass diese Konstitution überhaupt möglich ist und gelingen kann, werden viel zu wenig bedacht – schon gar nicht von den Karikaturisten. Wenn bei den Lesern aber Vernunft nicht vorausgesetzt werden kann, wirken die Karikaturen kontraproduktiv. Sie erzeugen mindestens Ablehnung, weithin aber Hass und Aggressivität. Halbwegs gebildete Zeitgenossen betrachten sie mit Vergnügen, aber bei Menschen, die keinen Zugang zu Bildung und keinen Platz in unserer Gesellschaft finden, produzieren sie „Boko haram“ – übersetzt: westliche Bildung ist Sünde; denn sie untergräbt noch das bisschen Halt, das eine antiquierte Religion zu geben behauptet.“

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