Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
in seinem berühmten Essay „Über die Müdigkeit“ schreibt der abgebrochene Jurist und spätere Großautor Peter Handke über seine „Müdigkeiten der Studienzeit“: „Es war in der Regel weniger die schlechte Luft und das Zusammengezwängtsein der Studentenhunderte als die Nichtteilnahme der Vortragenden an dem Stoff, der doch der ihre sein sollte. Nie wieder habe ich von einer Sache so unbeseelte Menschen erlebt wie jene Professoren und Dozenten der Universität; jeder, ja jeder Bankangestellte beim Hinblättern der, gar nicht seiner, Scheine, alle Straßenteerer in den Hitzeräumen zwischen Sonne oben und Teerkoch unten wirkten beseelter. Wie mit Sägemehl ausgestopfte Würdenträger, deren Stimmen keinmal von dem, was sie besprachen, in ein Schwingen des Staunens (des guten Lehrers selber über seinen Gegenstand), der Begeisterung, der Zuneigung, des Sich-Fragens, der Verehrung, des Zorns, der Empörung, des Selber-nicht-Wissens gebracht wurden, vielmehr unablässig nur leierten, abhakten, skandierten – freilich nicht im Brustton eines Homer, sondern dem der vorweggenommenen Prüfung -, höchstens zwischendurch mit dem Unterton eines Witzelns oder einer hämischen Anspielung für Eingeweihte, während es draußen vor den Fenstern grünte und blaute und dann schon dunkel wurde: bis die Müdigkeit des Hörers in Unwillen, der Unwille in Übelwollen umschlug.“
Ja, das werden wohl viele in ihrer Juristenausbildung so erlebt haben. Eine meiner Vorgängerinnen im Amt des Justament-Tagebuchschreibers kommentierte vor einigen Jahren ihren Einführungslehrgang zur Anwaltsstation mit den Worten: „Mein Gott ist das langweilig.“ Für diesen Satz hätte ich sie auf der Stelle umarmen können! Auch ich erinnere mich noch sehr genau an die Zeit, die nicht vergehen wollte, an die unendlich langen Stunden in den Hörsälen und AG-Räumen. Immer wieder versuchte ich mitzudenken, aber spätestens nach ein paar Minuten war ich wieder draußen (wenn auch leider nur gedanklich). Es war einfach völlig unmöglich, diesem monotonen Geleiere länger als ein paar Augenblicke zu folgen. Und dabei musste man in diesen langweiligen Veranstaltungen noch froh sein, dass man nicht, wie es bei manchen anderen Professoren üblich war, von einem permanenten Frage-Stakkato zunächst bedroht, später gegrillt und schließlich ausgequetscht und vor versammeltem Auditorium runtergemacht wurde.
Gab es denn niemanden, der einfach mal seinen Stoff auf eine interessante und lebendige Weise präsentieren konnte? Doch, solche Hochschullehrer und Dozenten gab es auch, aber es war nur eine kleine Minderheit. Nie werde ich vergessen, wie ich von Prof. S. anhand lustiger Fallbeispiele die Grundlagen des Zivilrechts gelernt habe. Der A kauft sich zur Fußball-WM einen Fernseher, aber „unsere Jungs“ fliegen schon in der ersten Runde raus. Nein, der A kann den Fernseher nicht zurückgeben, denn es war ein UNBEACHTLICHER MOTIVIRRTUM. Und „der kleine Hugo kratzt mit einem Nagel vom teuren Auto des A den Lack ab“. Muss Hugo haften? Nein, denn Kinder unter sieben Jahren sind GESCHÄFTS- und DELIKTSUNFÄHIG. Prof. S. hat sich in seinen Vorlesungen immer sehr verausgabt. Schon vor längeren Jahren habe ich gehört, dass er bereits kurz nach seiner Emeritierung mit Mitte 60 gestorben ist.
Oder der Strafrechts-AG-Leiter O. Der war wirklich ein Naturtalent. Jäger A erschießt Jäger B, weil er ihn versehentlich für einen Wilddieb hält. Abwandlung: Jäger A erschießt Jäger B, weil er ihn für ein Wildschwein hält. Immer waren die AGs bei Herrn O. sehr lustig und lehrreich zugleich. Ist er denn später wenigstens Professor geworden? Nein, Top-Anwalt in einer Großkanzlei, da macht er langweiliges Vergaberecht, aber damit kann er mehr Geld verdienen.
Zugegeben, auch in anderen Fächern und Wissenschaften gibt es langweilige Vorlesungen und Dozenten, aber so krass wie in Jura ist es wohl nirgendwo sonst. Es muss wohl doch am Fach liegen. Jura-Prof. werden normalerweise nur knochentrockene Gestalten. Wer interessanter unterrichten könnte, ist abschlussnotenmäßig meist nicht gut genug, und wenn doch, dann geht er lieber nicht an die Uni. Aber wer gute Noten hat und eine Universitätskarriere anstrebt, der muss schon ein sehr, sehr langweiliger Typ sein. Da kann man wohl nichts machen.
Dein Johannes
(Wird fortgesetzt.)
Yup! So ist es und so wird es wohl auch bleiben. Positiv kann ich mich nur an meinen ehemaligen Strafrechtsprofessor erinneren, der verdiente das Prädikat „besonders wertvoll“, – fachlich ein Koryphäe, und menschlich beeindruckend. Über den kläglichen Rest will ich lieber nicht nachdenken.