Die jüngste Tagebuch-Veröffentlichung Carl Schmitts betrifft seine ersten Jahre an der Universität Bonn – 1921 bis 1924
Matthias Wiemers
Carl Schmitt hat in seinem langen Leben (1888 bis 1985) die meiste Zeit hindurch Tagebücher geführt, die er in der inzwischen praktisch „ausgestorbenen“ Gabelsberger Kurzschrift stenografiert hat. Schmitt-Biograph Reinhard Mehring hat für seine 2009 erschienenen umfassenden Lebensbeschreibung des Staatsrechtslehrer bereits auf die im Landesarchiv in Düsseldorf lagernden Archivalien zurückgreifen können und dabei Blicke in das Innerste Schmitts geworfen. Seit mehreren Jahren erscheint in unregelmäßigen Abständen ein Band, in denen versucht wird, jeweils mehrere aufeinander folgende Jahre aus dem Tagebuchbestand zu rekonstruieren. Bislang im Berliner Akademie-Verlag erschienen, hat nunmehr der langjährige „Hauptverlag“ Schmitt´scher Schriften, Duncker & Humblot, die Fortsetzung dieses publizistischen Projekts übernommen.
Die Herausgeber haben das von ihnen gesichtete Material grob in drei Teile gegliedert: Nach einer Einleitung durch Giesler und Spindler haben Giesler und Hüsmert im ersten Teil die Jahre 1921 und 1922 bearbeitet, dem die Jahre 1923 und 1924 (Spindler) folgen. Der dritte Teil, für den alle drei Autoren gemeinsam verantwortlich zeichnen, ist unter den Titel „Der Schatten Gottes“ gestellt, der von Schmitt selbst für ein entsprechendes Notizbuch verwendet wurde. In diesem Teil werden Selbstreflexionen, Ideen sowie Abschriften und Entwürfe zu Briefen wiedergegeben.
Herausgeber sind diesmal der langjährige (jugendliche) sauerländer Freund Schmitts, Ernst Hüsmert, und Gerd Giesler, die bereits an zwei der früheren drei Bände beteiligt gewesen waren, und erstmals Wolfgang H. Spindler. Ein noch nicht fünzigjähriger Jurist und Theologe.
Die Herausgeber haben dort, wo sie nicht von vorneherein gegeben war, eine Ordnung in die Notate Schmitts gebracht. Von dem, was eingeordnet werden konnte, konnte offenbar nur wenig nicht entziffert werden – etwa weil die Bleistiftaufzeichnungen schlicht nicht mehr lesbar waren. Auftauchende Personen wurden nur selten nicht ermittelt, was in der Regel dann der Fall war, wenn es sich um in der Folgezeit „namenlos“ gebliebene Studenten oder Bürger handelte. Ansonsten wurden die Personen, zu denen Schmitt in Kontakt stand und zu denen er sich in seinen Tagebüchern äußerte, durchgehend in Fußnoten beschrieben, wobei der jeweils erste Eintrag zunächst jeweils einen Überblick über die betreffende Person gibt.
Was können wir nun inhaltlich zu den Tagebüchern sagen? Zunächst einmal fällt auf, dass Schmitt die Tagebücher offenbar immer einmal wieder zur Hand nahm und dies auch notierte. Sie dienten ihm offenbar immer wieder zur Selbstvergewisserung.
Dann fällt auf, dass Schmitt offenbar eine Person ist, die sich oft treiben lässt, die spontan ist und sich den Launen des Tages hingibt. Auch wenn er seine akademischen Lehrveranstaltungen nur sehr selten ausfallen lässt, findet Vorbereitung nicht unbedingt immer gründlich statt. In den betreffenden Zeiträumen wird nur wenig über entstehende Schriften berichtet, es sind dies vor allem das kleine Bändchen „Römischer Katholizismus und politische Form“ und „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ – obwohl Schmitt in dieser Zeit auch noch weitere Schriften veröffentlicht.
Eine große Rolle spielen in den Notaten die Frauen. Da ist zunächst die zu Beginn des berichteten Zeitraums nach Australien zurückkehrende Geliebte Kathleen Murray, an deren bei Ernst Robert Curtius in Marburg abgelegten Dissertation Schmitt offenbar massiv mitschreibt, und sodann ab 1923 die spätere (zweite) Ehefrau Schmitts, die Serbin Duschka Todorovic. Daneben tauchen Geliebte und Prostituierte auf, und Schmitt beschäftigt sich durchgehend mit der Auseinandersetzung zur Scheidung und Annullierung seiner ersten Ehe mit der angeblich adeligen Cari (von) Dorotic.
Schmitts Antisemitismus ist kein Produkt des Umbruchs von 1933, sondern durchzieht auch die Tagebuchaufzeichnungen zehn Jahre zuvor. Der jüdische Bonner Fakultätsassistent und nachmalige Kollege Albert Hensel wird dabei beispielsweise ganz überwiegend negativ kommentiert.
Die hier beschriebene Zeit umfasst auch die französische Rheinlandbesetzung und die Hyperinflation. Schmitt beteiligt sich dabei an Währungsspekulationen, die allerdings der Not geschuldet sind und investiert auch in Aktien. Friseurbesuche und Besuche bei Schneidern werden durchgehend erwähnt, auch die aufgesuchten Lokale des selbst in dieser Zeit „möbliert“ in einer Pension lebenden Schmitt.
Wir lernen auch, dass Schmitt bereits in dieser Zeit – als Vertreter des häufig für die Reichsregierung in Berlin und den Haag tätigen Erich Kaufmann – Völkerrecht liest und bereits in dieser Zeit einen nationalsozialistischen Doktoranden hat.
Wie zum Teil bereits bei zuvor erschienenen Bänden, enthält auch dieser Band der Tagebücher im inneren Teil des Einbands einen (diesmal Bonner) Stadtplan, auf dem der Leser den täglichen Wanderungen Schmitts durch die Stadt folgen kann. Wir lernen seine Freunde kennen, lernen, dass er gelegentlich in Plettenberg bei seiner Familie ist und häufig mit seinem in Köln lebenden jüngeren Bruder „Jup“, einem Mediziner, in Bonn oder Köln unterwegs ist.
Wir dürfen gespannt sein auf den Rest der Bonner Jahre Schmitts, die bis 1928 währten.
Carl Schmitt
Der Schatten Gottes. Introspektionen, Tagebücher und Briefe 1921 bis 1924
Herausgegeben von Gerd Giesler, Ernst Hüsmert und Wolfgang H. Spindler
Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2014,
601 S., 69, 90 Euro
ISBN 978-3-428-14308-5