Recht cineastisch, Teil 24: „Gefühlt Mitte zwanzig“ von Noah Baumbach
Thomas Claer
Ein Film über das mittlere Alter und die Jugend, über das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Generationen, das ist „Gefühlt Mitte zwanzig“ (Originaltitel: While We’re Young), der neue Film des amerikanischen Regisseurs und Drehbuchautors Noah Baumbach. So war es zumindest überall zu hören und zu lesen – doch ist damit lediglich ein Teilaspekt dieses Films beschrieben.
Der vierundvierzigjährige Dokumentarfilmer Josh (Ben Stiller) und seine als Produzentin ebenfalls in der Filmbranche tätige dreiundvierzigjährige Frau Cornelia (Naomi Watts) führen ein unaufgeregtes Leben in Brooklyn. Wie viele andere New Yorker „Kreative“ ächzen sie unter den dortigen hohen Lebenshaltungskosten, doch dank zwar notorisch unzuverlässiger, vorläufig aber immerhin noch fließender Fördergelder können sie sich halbwegs über Wasser halten. Nicht ganz unwichtig ist der Umstand, dass Cornelias Vater ein – im Gegensatz zu seinem Schwiegersohn Josh – wirtschaftlich sehr erfolgreicher Filmemacher ist, der standesgemäß in einer großen Villa lebt – eine für Josh denkbar unangenehme Konstellation. Sein Verhältnis zu Cornelias Vater gilt als zerrüttet. Nur ungern lässt sich Josh, der auf seine kommerziell wenig einträglichen, aber dafür anspruchsvollen Filme sehr stolz ist, von seinem Schwiegervater, der über ausgezeichnete Kontakte in die Finanzbranche verfügt, finanziell unter die Arme greifen. Ein weiteres ernstes Problem in der Beziehung zwischen Josh und Cornelia ist es, dass alle ihre Freunde inzwischen Kinder bekommen haben und sich, was ja häufig zu beobachten ist, seitdem für nichts anderes mehr als für ihren Nachwuchs interessieren. So kommt es Josh und Cornelia schließlich so vor, als ob das Problem in ihrer eigenen – unfreiwilligen – Kinderlosigkeit liege. (Und man darf es diesem Film durchaus verübeln, dass er diese optische Täuschung seiner Protagonisten nicht einmal hinterfragt. Was, bitte, soll denn an Kinderlosigkeit so schlimm sein?) Ihre seit zwei Jahrzehnten bestehende Partnerschaft scheint jedenfalls trotz der genannten Widrigkeiten noch recht gut zu funktionieren, abgesehen von den üblichen kleineren Nörgeleien von der weiblichen Seite. (Cornelia vorwurfsvoll: „Früher hast du mich mit romantischen E-Mails umworben!“ Darauf Josh: „Warum sollte ich dir E-Mails schreiben, wo wir doch sowieso jeden Tag zusammen sind?“)
Das ist der Ausgangspunkt, als plötzlich ein junges Paar in Joshs und Cornelias Leben tritt: der junge Dokumentarfilmer Jamie und seine Frau Darby, die als Startup-Unternehmerin in Bio-Eis macht. Jamie hat sich als Fan von Joshs Filmen zu erkennen gegeben und ihn nach einer von Joshs gelegentlich gehaltenen Vorlesungen in der Filmakademie einfach so angequatscht. Josh ist in seiner Eitelkeit ungemein geschmeichelt von Jamies demonstrativer Bewunderung und findet zunächst auch gar nichts dabei, dass sich Jamie schon bald auch sehr für seinen Schwiegervater, den erfolgreichen Filmemacher mit den guten Kontakten in die Fimanzbranche, interessiert. Die beiden Paare unternehmen fortan eine Menge miteinander, was in Joshs und Cornelias Leben ausgesprochen frischen Wind bringt. Plötzlich fühlen sie sich, indem sie die hippen Aktivitäten von Jamie und Darby teilen, auch noch einmal wie Mitte zwanzig.
Doch das dicke Ende lässt nicht lange auf sich warten. Der junge Jamie erweist sich als skrupelloser Intrigant, der die Nähe von Josh in Wahrheit nur gesucht hat, um an dessen Schwiegervater heranzukommen und über diesen Geldgeber für seine eigenen Filmprojekte zu akquirieren. Darüber hinaus verstößt er mit seinem neuen Film, der sich auf eine gefakte Geschichte stützt, gegen den Ehrenkodex der Dokumentarfilmer, was aber außer Josh niemand wirklich schlimm findet. Dessen Schwiegervater bemerkt sogar irgendwann gegenüber seiner Tochter, dass man, um in der Filmbranche voranzukommen, manchmal einfach „ein egoistisches Arschloch“ sein müsse, was aber sein Schwiegersohn noch immer nicht verstanden habe…Hier hat der Film seine stärksten Momente: Er entlarvt ein Stück weit die Verlogenheit im Kreativkunstbetrieb, dessen erfolgreiche Vertreter nicht selten hohe moralische Ambitionen vor sich hertragen, aber tatsächlich mindestens so rücksichtslos und karrierebesessenen sind wie, sagen wir, die Anzugtypen aus der Finanzwelt. Josh ist hier natürlich der positive Gegentypus und avanciert als solcher zum großen Sympathieträger im Film.
Enttäuschend ist dann aber vor allem dessen Ende: In einer sentimentalen Versöhnungsszene finden die zwischenzeitlich zerstrittenen Josh und Cornelia wieder zueinander, und Josh vergibt dem hinterhältigen Jamie mit den Worten: „Jamie ist nicht böse, sondern einfach nur jung.“ Na so ein Unsinn, als ob das eine Frage des Alters wäre! Hätte er so etwas gesagt wie: „Man kann ihn aber auch nicht völlig verurteilen. Jeder macht es eben so, wie er es am besten kann…“, dann wäre das ja noch in Ordnung gegangen. Aber es kommt noch schlimmer. Am Ende sitzen Josh und Cornelia in einem Flugzeug in ein fernes Land, um dort ein exotisches Kind zu adoptieren. Das kann natürlich jeder machen, wie er will, aber im Kontext des Films soll es wohl bedeuten: Die beiden sind endlich auf einem ihrem Alter entsprechenden Level angekommen. Die Episode mit den jungen Leuten war eine Verirrung, und jetzt werden sie Eltern, so wie es sich mit Mitte vierzig nun einmal gehört. Ein schlimmer Film!
Gefühlt Mitte zwanzig
USA 2014
Regie: Noah Baumbach
Drehbuch: Noah Baumbach
98 min, FSK: —
Darsteller: Ben Stiller, Naomi Watts, Adam Driver u.a.