Deutsche Juristenbiographien, Teil 1: Georg von Siemens (1839-1901)
Matthias Wiemers
Die Familie Siemens stammt aus Niedersachsen, aus der ehemals Freien Reichsstadt Goslar. Der Vater Johann Georg, versehen mit starken landwirtschaftlichen Neigungen, hatte seine juristische Ausbildung schließlich dennoch abgeschlossen und ist, als das einzige Kind Georg am 21. Oktober 1839 geboren wird, als Assessor in Torgau tätig. 1845 wird Georg in die öffentliche Schule in Zeitz eingeschult, wohin die Familie inzwischen verzogen ist. Das Gymnasium besucht Georg in Berlin. Der Vater hatte seine Stelle als Landgerichtsrat in Zeitz gegen eine Tätigkeit als Notar und Anwalt am Preußischen Obertribunal in Berlin eingetauscht. Man wohnt zeitweise mit dem Vetter des Vaters, Werner Siemens, und dessen acht Brüdern zusammen, und der wohlhabend werdende Justizrat (Anwalt) kann die ersten unternehmerischen Tätigkeiten seiner Vettern finanzieren helfen. Auch wird der Vater Mitglied in der Nationalliberalen Partei und zweimal Mitglied des pr. Landtags.
Noch nicht achtzehnjährig, nimmt Georg 1857 das Rechtsstudium in Heidelberg auf und schließt sich der freien Vereinigung der „Oldenburger“ an. Bereits im Oktober 1858 tritt Siemens als Einjährig-Freiwilliger in den preußischen Militärdienst in Berlin ein und nutzt die Zeit, um sich in die Kanzlei des Vaters einzuarbeiten. Bald nach Ablauf der Militärzeit legt Georg sein erstes Staatsexamen ab und wird Referendar am Kreisgericht Jüterbog. Immer wieder zweifelt er an der Richtigkeit seiner Studienwahl und orientiert sich spätestens im Referendariat um: Er gründet in Zossen eine Darlehenskasse. 1864 ist er während des preußisch-dänischen Kriegs wieder beim Militär.
Das zweite Staatexamen besteht Siemens am 16. September 1865 mit gutem Erfolg und wechselt zur Fortsetzung der Ausbildung Anfang 1866 an das Landgericht Aachen. Auch am preußisch-österreichischen Krieg 1866 nimmt Siemens teil. 1867 nimmt er seine Tätigkeit beim Landgericht Aachen wieder auf, besteht am 21. Dezember das mündliche Assessorexamen und bereitet sich in Berlin auf den schriftlichen Teil seiner Prüfung vor. In der Folgezeit wird die Fortsetzung der Ausbildung mehrfach unterbrochen, weil Georg für Werner Siemens zu Verhandlungen der „Indo-Europäischen Telegraphen-Gesellschaft“ nach London reist, wo er sich zugleich seinem schriftlichen Examen widmet und es im März 1868 abschließt. Als Assessor vertritt Georg zunächst seinen Vater in dessen Kanzlei und gerät nun mehr und mehr in den Bann der Entwicklung des Siemensschen Industrieunternehmens, für das er mehrfach zu Verhandlungen in den Nahen Osten reist. Sodann folgt der Krieg gegen Frankreich, an dem Siemens wiederum vollständig teilnimmt.
Hatte das deutsche Bankenwesen – parallel zur allmählichen Entwicklung der Industrie und vor allem des Eisenbahnbaus – seit Mitte der 1850er Jahre eine allmähliche überregionale Entwicklung genommen, so bestand schon unmittelbar vor der Reichsgründung die Überzeugung, dass es an einer gesamtdeutschen Bank für die Auslandsaktivitäten deutscher Industrieunternehmen fehle. Bereits im März 1870 wird deshalb namentlich von kleineren Bankiers und von Industriellen in Berlin die Deutsche Bank gegründet, zu deren ersten beiden Direktoren bereits der junge Georg Siemens zählt. Dieser muss hierfür den Staatsdienst als Assessor kündigen. Im Jahre 1875 reist Siemens, der drei Jahre zuvor geheiratet hat, nochmals an die Universität Heidelberg, wo er sein Dokotorexamen nachholt.
Der Aufstieg der Deutschen Bank zum führenden Finanzinstitut des Reiches vollzieht sich parallel zur Entwicklung der deutschen Industrie – nicht zuletzt des Konzerns Siemens und Halske, wie die Firma der Vettern jahrzehntelang heißt. Der Konzern und die Deutsche Bank sind an der Gründung der AEG beteiligt, die nach einigen Jahren zum Konkurrenten von Siemens und Halske wird. Das Reich wird – nicht zuletzt aufgrund der Erfindungen von Werner Siemens – elektrifiziert. Aber auch etwa an der Finanzierung von Eisenbahnen in Nordamerika und dem Orient („Bagdadbahn“) ist die Deusche Bank beteiligt, was Siemens wiederholt zu Reisen in diese Gebiete führt.
Im Jahre 1873 wird Siemens für die Nationalliberale Partei in das Preußische Abgeordnetenhaus gewählt, legt das Mandat jedoch 1875 nieder, weil er im Jahr zuvor auch in den Reichstag gewählt worden ist. Eine Neuwahl im Jahre 1877 scheitert, jedoch wird er 1884 und 1887 und 1890 wiedergewählt (seither für die Deutsche Freisinnige Partei). Nachdem eine Neuaufstellung 1893 scheitert, ist Siemens von 1898 bis zu seinem Tode nochmals Reichstagsabgeordneter. Namentlich in seiner letzten Zeit als Parlamentarier setzt sich Siemens in der Handelsvertragspolitik, also im Bereich der Förderung des Außenhandels ein.
Siemens wird im Jahre 1899 geadelt, hat mit seiner Frau fünf erwachsene und verheiratete Töchter und erfreut sich an seinen Enkeln, als er am 23. Oktober 1901 nach kurzer schwerer Krankheit stirbt.
Quelle: Karl Helfferich, Georg von Siemens. Ein Lebensbild aus Deutschlands großer Zeit, 3 Bde, 1921-23
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