Homophobie

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

zur Homosexualität hatte ich wohl schon immer ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits war ich bereits als Jugendlicher ein unbedingter Befürworter ihrer vollen rechtlichen Gleichstellung mit heterosexuellen Lebensformen (was damals in den Achtzigern noch keine Selbstverständlichkeit war.) Andererseits ist mir aber auch schon sehr früh klar geworden, dass ich selbst keinesfalls zu den angeblich bis zu 40 Prozent der männlichen Wesen gehöre, die zumindest Anflüge homosexueller Neigungen in sich tragen sollen. Mein Interesse galt und gilt einzig und allein dem weiblichen Geschlecht. Das Problem war nur, dass von mir offenbar eine nicht unerhebliche Anziehungskraft auf schwule Männer ausging, was mir oft peinlich gewesen ist, mit zunehmendem Alter aber zum Glück etwas nachgelassen hat. Eigentlich sollte es ja nichts Schlimmes und vielleicht sogar ganz schön sein, von anderen angehimmelt zu werden. Doch führten mir die gelegentlichen Annäherungsversuche jener „warmen Brüder“ immer wieder schmerzhaft vor Augen, wie vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit mir leider jahrelang von weiblicher Seite entgegengebracht wurde…

Schon in den unteren Semestern des Jurastudiums bekam ich mehrere schmachtende Briefe von einem einige Jahre älteren Verehrer, der mir offensichtlich nachspioniert und meine Adresse herausgefunden hatte. Damals fehlte mir wohl auch einfach die Souveränität im Umgang mit dieser Situation. Jedenfalls suchte ich mir Rat bei meinen vier Studienfreunden, was möglicherweise nicht die allerbeste Idee war… Sofort wurde die Angelegenheit zu einem Riesen-Gesprächsthema am WG-Küchentisch meiner Freunde S und G und sorgte natürlich in erster Linie für ausgelassene Heiterkeit. Damals in den Neunzigern (und erst recht an einer deutschen Provinz-Uni!) gehörte Homosexualität nämlich noch keineswegs zum gewöhnlichen Alltag. Selbst ein Guido Westerwelle war seinerzeit noch nicht geoutet. Doch war es auffällig, dass mein Freund G, der eigentlich als rheinische Frohnatur bekannt und der Lustigste von uns allen war, bei diesem Thema seltsam ernst wurde. Voller Empörung rief er aus (was heute wohl so nur noch Osteuropäer oder Araber bringen würden): „Das ist ja widerlich! Du kriegst Briefe von einer Schwuchtel?! Igitt!“

Mit ebenjenem G ging ich damals immer in die Sauna. Wir unterhielten uns stundenlang – fast ausschließlich über Mädchen und unsere immer wieder gescheiterten Versuche, uns ihnen zu nähern. Mit einem weiteren meiner vier Studienfreunde namens E ging ich damals übrigens immer ins Schwimmbad. Auch mit ihm konnte ich ausufernde Diskussionen führen, bei denen es ebenfalls bevorzugt um Mädchen ging. Einmal bemerkte ich nach einem Schwimmbadbesuch unter der Dusche eine markante körperliche Veränderung bei meinem Freund E. Angestrengt fragte ich mich, was er denn im Schwimmbad wohl gesehen habe, das ihn so in Fahrt bringen konnte. Mir waren doch gar keine irgendwie bemerkenswerten Mädchen im Schwimmbecken aufgefallen. Ich musste wieder einmal das Beste verpasst haben…

Erst einige Jahre nach dem Examen, als ich schon längst nach Berlin abgewandert war, informierte mich mein Freund S in einem Telefonat darüber, dass sich sowohl G als auch E mittlerweile als Schwule geoutet hätten und fortan nur noch an Männern interessiert seien. Allerdings sollten beide, G und E, trotz ihrer engen Freundschaft während unseres Jurastudiums niemals etwas miteinander gehabt haben… Besonders im Falle von G, der sich damals so abfällig gegenüber Schwulen geäußert hatte, konnte ich es kaum glauben; doch auch von E’s Bekehrung zum eigenen Geschlecht war ich völlig überrascht. Ich rechnete nach: also zwei von uns fünf Freunden – das waren genau 40 Prozent!

Aristoteles hatte zwischen drei Arten der Freundschaft unterschieden: der Tugendfreundschaft (die er als die edelste einschätzte), der Nutzfreundschaft und der Lustfreundschaft. Tatsächlich sind wohl Mischformen dieser drei Varianten besonders häufig zu beobachten. Als junger Mensch neigt man vielleicht noch dazu, enttäuscht zu sein, wenn sich Elemente der beiden Letztgenannten in die Erstgenannte einschleichen. Irgendwann später empfindet man es dann aber als nicht mehr so verwunderlich…

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Mrz 28th, 2016 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

1 Antwort for “Homophobie”

  1. Rüdiger R. sagt:

    „Nur zwei Kräfte vereinen die Menschen: Angst und Interessen.“ (Napoleon) ;-)

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