Bezüge bis ins Mittelalter

„Europäisches Privat- und Unternehmensrecht“ von Gebauer und Teichmann

Matthias Wiemers

Gebauer TeichmannDas europäische Recht besteht im Sekundärrecht nicht nur aus öffentlich-rechtlichen Materien. Auch das Privatrecht steht im Fokus der Rechtsangleichung, die durch das Handeln europäischer Akteure bewirkt wird.
Der sechste Band der großangelegten Enzyklopädie Europarecht widmet sich nun speziell der Privatrechtsordnung, die möglicherweise als europäische Privatrechtsordnung gerade im Entstehen begriffen ist.
Mit etwas weniger Pathos als die Gesamtherausgeber der Reihe schreiben die beiden, in Tübingen und Würzburg lehrenden Herausgeber von einer „Dynamik des Europäischen Privat- und Unternehmensrechts“, die aus der Verzahnung verschiedener Normschichten und der Geschwindigkeit des Normwandels folge. Die Verflechtung mit dem Unionsrecht habe in manchen Bereichen des Privat- und unternehmensrechts eine solche Dichte erreicht, dass die nationale Rechtsdogmatik mehr und einer gemeineuropäischen Betrachtung weichen müsse. Dem ist zunächst wenig hinzuzufügen. War es in früheren Zeiten immer einmal wieder darum gegangen, ob eine Richtlinie richtig in nationales Recht umgesetzt wurde und ob nationales Recht mit den EU-Grundfreiheiten übereinstimmt, so haben die diesbezüglichen Fragen ständig zugenommen, geht es heute mehr und mehr um volle Harmonisierung einzelner Bereiche, die durch vorgeschriebene „hohe Schutzniveaus“ etwa im Verbraucherschutz nicht einfacher wird.
Was bei diesem Band in besonderer Weise auffällt, ist die Darstellung der jeweiligen geschichtlichen Entwicklung, die nicht nur die europäische Gesetzgebungsgeschichte der jüngeren Zeit erfasst, sondern zum Teil bis ins Mittelalter hinein Bezüge herstellt.
Die Herausgeber beginnen den Band mit einem Beitrag über „Methoden und Formen europäischer Rechtsangleichung“, der vor allem für diejenigen interessant ist, die sich mit (europäischer) Gesetzgebung und Rechtspolitik beschäftigen (§ 1). Gesamtherausgeber Müller-Graff lässt dem eine Ausarbeitung zum allgemeinen Gemeinschaftsprivatrecht folgen. Ist dies bereits ein Beitrag zur Theorie des Privatrechts in gemeineuropäischer Perspektive, so handelt das dritte Kapitel zur „richterlichen Interpretation des Gemeinschaftsrechts“ (§ 3, Baldus/Raff) ein Beitrag zur Methodenlehre.
Von praktisch besonderer Bedeutsamkeit ist das „Verbraucherschutzrecht in der EU“, das von dem Bayreuther Zivilrechtler Schmidt-Kessel, einem ausgewiesenen Verbraucherschutzrechtler, besorgt wird. Ist europäisches Verbraucherrecht fast vollständig anwendbar ohne nationale Umsetzung, so gilt dies nicht für „Europäisches Handelsrecht“ (§ 5, Meyer) und „Europäisches Gesellschaftsrecht“ (§ 6, Teichmann).
Ein umfangmäßiger Schwerpunkt folgt mit dem siebten Kapitel „Europäisches Kapitalmarktrecht“, das von insgesamt vier Autoren besorgt wird und ein Rechtsgebiet bildet, das leider in der jüngsten Vergangenheit eine enorme Dynamik erlangen musste.
Es erfolgt mit „Europäisches Kollisionsrecht“ (§ 8, Weller) ein Kapitel, das zwar von allgemeinerer Bedeutung als der vorliegende Band ist, aber sodann besonders im Kontext der hier behandelten Rechtsgebiete eine Rolle spielt. Nach der Darstellung der allgemeinen Lehren mustert der Autor insgesamt sechs zivilrechtliche Teilrechtsgebiete durch, um die darin enthaltenen Kollisions- und Vorrangregeln daufzuspüren: „Vertragliches Schuldrecht“, „Außervertragliches Schuldrecht“, „Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes“, „Unterhaltsrecht“, „Erbrecht“ und Güterrecht.
Nur scheinbar über den Rahmen des Privat- und Unternehmensrecht hinaus geht das Schlusskapitel über den „Entwurf für einen Gemeinsamen Referenzrahmen im Prozess der europaischen Rechtsvereinheitlichung“. Wer erfahren will, wie sich die Rechtswissenschaft mit Zivilrechtsrechtsharmonisierung in Europa befasst und welche Vorschläge sie unterbreitet, muss dieses Kapitel lesen.
Alles in allem bildet der Band eine weitere sinnvolle Abrundung eines Gesamtbildes, das die Reihe vom Europarecht zeichnet.

Martin Gebauer/ Christoph Teichmann (Hrsg.)
Europäisches Privat- und Unternehmensrecht, Enzyklopädie Europarecht, Bd. 6
Nomos Verlag , Baden Baden 2016,
1278 S.

Veröffentlicht von on März 28th, 2016 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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