Sonja Rademacher
Teil 3
III. Fehlerfreie Ermessensausübung
Aus dem Wortlaut der Rechtsgrundlage ergibt sich die Rechtsfolge, die bei Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen eintritt: Zum Teil ist dann von der zuständigen Behörde eine sog. gebundene Entscheidung zu treffen. („…ist zu erteilen, wenn…“) Die Behörde hat dann keinen weiteren Entscheidungsspielraum, sondern muss den VA erlassen. In den meisten Fällen hat die Behörde jedoch eine Ermessensentscheidung zu treffen, d.h. die Rechtsgrundlage überlässt für den Fall des Vorliegens aller Tatbestandsvoraussetzungen der Behörde entweder die Entscheidung, ob sie überhaupt einschreiten will (sog. Entschließungsermessen) oder aber die Entscheidung, welche von mehreren zur Verfügung stehenden Maßnahmen sie ergreifen will (sog. Auswahlermessen). Rechtsgrundlagen, die der Behörde ein Ermessen einräumen, erkennt man meist daran, dass der Wortlaut „kann“ verwendet wird.
Der Sinn der Einräumung von Ermessen an die handelnden Behörden besteht darin, diesen innerhalb des gesetzlich gesteckten Rahmens einen Handlungsspielraum einzuräumen, der die möglichst gerechte Entscheidung von Einzelfällen gewährleistet. Die Ausübung des Ermessens unterliegt freilich zahlreichen Bindungen, deren Wahrung der Kontrolle der Verwaltungsgerichte unterliegt. Gem. § 40 VwVfG Bbg muss eine Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten. Während die Zweckmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung nur innerhalb des Widerspruchsverfahrens überprüft wird, obliegt den Verwaltungsgerichten ausschließlich die Prüfung der Rechtmäßigkeit, also der Einhaltung der Ermessensgrenzen. In manchen Fällen ist das Ermessen durch diese Grenzen derart eingeschränkt, dass nur noch eine einzige rechtmäßige Handlungsvariante in Betracht kommt; in diesen Fällen spricht man von einer sog. „Ermessensreduzierung auf Null“.
Folgende Ermessensfehler sind zu unterscheiden:
a) Ermessensüberschreitung: Eine solche liegt vor, wenn die Behörde eine Rechtsfolge anordnet, die nicht mehr von der Rechtsgrundlage gedeckt wird.
b) Ermessensunterschreitung bzw. Ermessensnichtgebrauch: Eine solche liegt vor, wenn die Behörde fälschlich davon ausgeht, in einer bestimmten Situation über gar keinen Ermessensspielraum zu verfügen, sondern meint, zu einer bestimmten Entscheidung verpflichtet zu sein.
c) Ermessensfehlgebrauch bzw. Ermessensmissbrauch: Ein solcher liegt vor, wenn die Behörde die gesetzlichen Zielvorstellungen nicht beachtet bzw. die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte nicht hinreichend in ihre Überlegungen einbezieht.
d) Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Der auf dem Rechtsstaatsprinzip beruhende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bildet eigentlich keine eigenständige Kategorie des Ermessensfehlers, vielmehr kann ein Verstoß gegen dieses Prinzip sich sowohl als Ermessensüberschreitung als auch in Form eines Ermessensfehlgebrauchs äußern. Die Beachtung dieses zentralen Prinzips ist in jedem Fall bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines VA eingehend zu untersuchen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fordert, dass die angeordnete Maßnahme
aa) einem legitimen Zweck dient und
bb) zur Erreichung dieses Zwecks
– geeignet ist (dies ist der Fall, wenn die Maßnahme den angestrebten Zweck zumindest in irgendeiner Weise fördert),
– erforderlich ist (dies ist der Fall, wenn zur Erreichung des Zweckes kein gleich geeignetes, für den Betroffenen milderes Mittel zur Verfügung steht) und
– angemessen ist (dies ist der Fall, wenn das verfolgte Ziel in einem angemessenen Verhältnis zu den auf Seiten des Betroffenen erlittenen Rechtseinbußen steht; hierbei sind insbesondere auch die Grundrechte zu berücksichtigen und ist eine Interessenabwägung vorzunehmen).
–> Rechtsfolge bei Vorliegen von Ermessensfehlern: Eine ermessensfehlerhafte Entscheidung ist materiell rechtswidrig. Unbeachtlich kann ein behördlicher Ermessensfehler nur ganz ausnahmsweise dann sein, wenn der VA im Ergebnis innerhalb des Ermessensspielraumes liegt und zudem objektiv und ohne jeden Zweifel feststeht, dass die Behörde auch ohne den Ermessensfehler so entschieden hätte.