PJ Harvey auf „The Hope Six Demolition Project“
Thomas Claer
Nach der „Jahrhundertplatte“ (Spex) „Let England Shake“, die auch in unserer Musikredaktion gebührend abgefeiert wurde, sind fünf Jahre ins Land gegangen. Doch alles Wachrütteln hat nichts geholfen: Die Briten haben in einem Akt kollektiver Verblendung für ihr Ausscheiden aus der EU gestimmt, während PJ Harvey unterdessen ihre nächste Platte herausgebracht hat. Und wieder ist es ein explizit politisches Album geworden, nur dass diesmal nicht das Vereinigte Königreich attackiert wird, sondern die Missstände in diversen Krisengebieten der Welt von Kosovo bis Afghanistan, die die Künstlerin allesamt bereist hat, um am Ende dann doch nur ihre Ohnmacht angesichts der jeweiligen lokalen Verhältnisse erfahren zu müssen und diese dann in wütende Protestsongs zu transformieren. Kurz gesagt, es ist eine Art vertonte Sozialreportage herausgekommen, die PJ Harvey natürlich auch schon allerhand Hohn und Spott angesichts ihrer solcherart naiven Haltung und Vorgehensweise eingebracht hat. Dabei sollte es doch auf der Hand liegen, dass die Naivität des Künstlers – anders als die des Sozialwissenschaftlers oder Politikers – eine erwünschte ist, führt sie doch auf direktem Wege zu jenem Zustand emotionalen Aufgewühltseins, aus dem heraus nicht selten die großen Würfe in der Kunst gelingen. Genug gefaselt. Die Musik auf PJ Harveys neuer Platte ist wieder einmal exzellent, und das lässt uns über alles andere hinwegsehen. Nun war eine nochmalige Steigerung nach dem besagten grandiosen Vorgänger ohnehin nicht mehr zu erwarten, das hätte dann schon so etwas wie Himmelsmusik am Tag des Jüngsten Gerichts sein müssen, doch ist „The Hope Six Demolition Project“ auf ganz eigene Art ein abermaliges Meisterwerk geworden. Es ist jazziger, mitunter sogar freejazziger!, souliger, gospelhafter als alles, was sie bisher gemacht hat. Bevorzugtes Instrument ist diesmal – man höre und staune – das Saxophon, von Polly ganz überwiegend höchstselbst gespielt. Dabei lassen sich dem Album seine Pop-Qualitäten durchaus nicht absprechen. Doch immer wenn man denkt, nun wird es aber doch allzu melodisch und gefällig, folgen auf der Stelle scharfe Dissonanzen, die zwar alles mächtig durcheinanderwirbeln, ohne aber dabei die folksonghaften Grundstrukturen der Stücke völlig über den Haufen zu werfen. Vor allem muss man die unbedingte Geschmackssicherheit der inzwischen 46-jährigen Vokal-Akrobatin gebührend herausstellen. Bemerkenswert ist nicht zuletzt, auf welch gekonnte Weise sie immer wieder Chorgesänge in die Songs einbaut. Keiner der elf Songs fällt ab, jeder packt einen auf andere Weise. Das Urteil lautet: gut (13 Punkte).
PJ Harvey
The Hope Six Demolition Project
Island (Universal) 2016
Ca. € 17,-
ASIN: B01AV5ZWZG