Eine Sprache der Musik

Der „Yiddish Summer Weimar“ wurzelt in einer über tausendjährigen Tradition

 

Benedikt Vallendar

2015_08_01_Jamsession1@FelikssLivschits klein„Jiddisch“ hat nur indirekt mit dem Judentum zu tun, auch wenn Außenstehende beides schnell in einen Topf werfen. Auf die Abgrenzung zwischen jüdisch und jiddisch legen die Organisatoren des Yiddish Summer Festival in Weimar als „nicht religiöse Veranstaltung“ daher großen Wert. Das noch bis zum 12. August 2016 laufende Festival mit über hundert Workshops und Events möchte ein Ort sein, an dem Ausdrucksformen in jiddischer Sprache eine Bühne haben, wobei die Musik nur eine, wenn auch wichtige von vielen ist.

Gesprochen in Osteuropa

Entwickelt hat sich das Jiddische im Hochmittelalter als Alltagssprache der aschkenasischen Juden, eine so genannte „Nahsprache“, die im Deutschen zahlreiche lexikalische Spuren hinterlassen hat. Die aschkenasischen Juden bilden von jeher die größte Gruppe innerhalb des Judentums, vergleichbar mit den Holländern innerhalb der Niederlande. Ihre Sprache, das Jiddische spielte als Lingua franca lange Zeit eine wichtige Rolle, obgleich sie auch schon vor dem Holocaust fast nur noch in Osteuropa und teilweise in den USA, vor allem in bestimmten Vierteln New Yorks gesprochen wurde. Da es viele unterschiedliche jüdische Gruppen, wie etwa Aschkenasim, Sefardim und Mizrachim, auf der ganzen Welt gibt, wäre es falsch, das Jiddische als verbindendes Element zu bezeichnen, was jedoch in den Medien und auch in der Literatur immer wieder vorkommt.

Allein schon die Proben in der Weimarer Musikschule Johann Nepomuk Hummel zeigen, wie facettenreich jiddische Kultur ist: Dort wird getanzt, gelacht, gesungen und barfuß über die Bühne gelaufen. Jiddische Musik bedeutet, bei offenem Fenster ohne Noten zu spielen, einen Strohhut zu tragen und das Wasserglas neben dem Kontrabass stehen zu haben. In fast allen Genres hat jiddische Musik Spuren hinterlassen, sagen Experten, selbst im Punkrock, dessen bekanntestes Gesicht in der Bundesrepublik wohl die „Toten Hosen“ um den Sänger Campino sind. Nicht wenige Künstler von Rang und Namen haben sich von jiddischen Ausdrucksformen inspirieren lassen, etwa Barbara Streisand oder Woody Allen. Dass jiddische Kunstperformance auch die Kulturlandschaft der Bundesrepublik geprägt hat, zeigt sich an höchst erfolgreichen Fernsehserien wie „Dalli Dalli“ mit dem legendären Moderator Hans Rosenthal. Selbstironie und die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, was Rosenthal konnte, wie kaum ein anderer, scheint etwas zutiefst Jiddisches zu sein und hat seinen Weg bis ins deutsche Fernsehen gefunden. Unvergessen bleibt auch der Unterhaltungswert des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki, der fließend jiddisch sprach und nicht nur von Hape Kerkeling karikiert worden ist. In den siebziger Jahren lockten die in Israel produzierten Erotikstreifen „Eis am Stil“ um den gutmütig-naiven Hauptdarsteller Jonny alias Zachi Noy Hunderttausende Besucher in bundesdeutsche Kinos. Später inspirierten die Filme deutsche TV-Serien wie Sketchup, Der Dicke und der Belgier und in Teilen sogar die Lindenstraße.

Jiddischer Kultur wohnt eine gewisse Leichtigkeit inne, die auf dem Weimarer Festival vielerorts spürbar ist, vor allem im Konzerthaus Mon ami, wo Menschen, ob alt oder jung, ob Jude oder Nichtjude das Miteinander unter dem Dach von Tanz, Musik und anderen Darbietungsformen genießen. In Weimar, Stadt der weltberühmten Bauhausarchitektur zeigt sich: Jiddisch bedeutet, Gefühlen freien Lauf zu lassen, ohne aufdringlich zu wirken, im Geigenspiel, im Gespräch und wenn auch nur bei gutem Essen und Trinken unter freiem Himmel.

Besucher aus aller Welt

Dass sich in Weimar mit dem bekannten Hotel „Elefant“ auch Adolf Hitlers Lieblingsabsteige befand und im nahe gelegenen KZ Buchenwald Juden ihr Leben ließen, schwingt als Teil der Erinnerungskultur immer mit und wird thematisiert, wo es sich anbietet, etwa bei „Liedern des Holocaust“, mit denen sich Teile des Festivals seit geraumer Zeit beschäftigen. „Wir sind ein Festival, das gerade die weltweit erste Konferenz zu historisch informierter Aufführungspraxis jiddischer Musik durchgeführt hat, was zeigt, dass uns Geschichte wichtig ist“, sagt Andreas Schmitges, einer der Mitorganisatoren. Gleichwohl es auch Stimmen gibt, die das Vergangene und vor allem die vielen Toten lieber ruhen lassen möchten. „Das Leben geht weiter“, sagen auch Bürger jüdischen Glaubens, die das Gewesene zwar nicht vergessen, aber auch gern in die Zukunft blicken. Genau dafür sind sie in den neuen Bundesländern am rechten Ort, wo der Wandel stetig voranschreitet, was sich nicht nur in sanierten Straßen und schmucken Stadtvierteln, sondern eben auch in der Kulturszene zeigt, in der das Jiddische mittlerweile einen festen Platz hat. Seit sechzehn Jahren hat sich das Festival mit über hundert Veranstaltungen einen Ruf weit über Thüringen hinaus erarbeitet. Es kommen Menschen nach Weimar, die neu sehen, neu hören und neu spüren wollen, sprich: die Welt mit allen Sinnen neu erleben möchten, wozu auch der Gaumen gehört. Bundesweite Bekanntheit erlangte der Weimarer Konditor Aviv Koriat, früherer Fallschirmjäger und aschkenasischer Jude, der orientalische Kuchenspezialitäten kreiert und in zweiter Ehe mit einer Professorin verheiratet ist. Festivalbesucher laben sich bei Herrn Koriat an einem Stück Torte, bevor sie die nächste Veranstaltung besuchen. Und sie kommen aus aller Welt. „Amerikaner, Neuseeländer und Balten gehören zu unseren Stammgästen“, sagt eine Mitarbeiterin der Presseabteilung, was auch die Sprachenvielfalt in den Veranstaltungsräumen belegt: Neben Englisch, Deutsch und Jiddisch hört man dort vor allem Russisch und Estnisch, und nur manchmal Hebräisch, die Amtssprache Israels.

Veröffentlicht von on Aug 1st, 2016 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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