Reinkarnation von Nico? Tocotronic für Mädchen? „Die Heiterkeit“ auf „Pop & Tod I+II“
Thomas Claer
„Du hörst und besprichst immer nur dieselben Sachen. Das ganze Zeug, das du noch von früher kennst. Jetzt probier doch endlich mal was anderes, das wirklich aus der Gegenwart kommt, du antriebsloser alter Sack!“ Wie oft ich diese Vorwürfe schon gehört habe – von meiner inneren Stimme. Also gut, dann widmen wir uns nun: der Band „Die Heiterkeit“. Zunächst einmal ist das ja grandios: Eine schöne junge Dame mit einer absolut ungewöhnlichen, tiefen, durchdringenden Stimme nennt ihre Band „Die Heiterkeit“ und trägt ihre Lieder mit einem ernsten, ja mürrischen Gesichtsausdruck vor, dabei niemals lächelnd. Natürlich denkt man bei dieser Stimme gleich an Nico von Velvet Underground, vielleicht noch an Christiane Rösinger. Aber auch an Hildegard Knef. Doch, doch! „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ ist gar nicht so weit weg von dieser Musik, die sich zwar als irgendwie Indie präsentiert, ihre Schlagerhaftigkeit dabei aber kaum verleugnen kann. Nach zwei Alben, einer programmatischen Ortsveränderung von Hamburg nach Berlin und mehreren Besetzungswechseln hat Bandleaderin Stella Sommer, zugleich einzig verbliebenes Gründungsmitglied von „Die Heiterkeit“, die Wurzeln zum Gitarrenpop zwar noch nicht völlig gekappt, aber ihr Spektrum auf „Pop & Tod I+II“ doch markant in Richtung, ja in welche Richtung bloß?, geöffnet. Seichtheit trifft es nicht ganz, sagen wir lieber: Unbestimmtheit. Einige veritable Popsongs sind herausgekommen, wenn auch solche der ungewöhnlichen Sorte. Besonders „Im Zwiespalt“ hat wirklich Klasse. Doch bringt gerade dieser Titel auch die Haltung des Rezensenten zum gesamten Album auf den Punkt. Vielleicht ist es ja etwas ungerecht, deutschen Songtexten eine so große Bedeutung zuzumessen, denn sobald Englisch gesungen wird, hört schließlich auch niemand mehr so genau auf den Inhalt. Doch wer nun mal auf Deutsch singt, so dass es hierzulande jeder verstehen kann, der sollte schon etwas zu sagen haben. Hat „Die Heiterkeit“ aber nicht. Zumindest versteht man es nur selten. Die gelegentlich angestellten Vergleiche mit Tocotronic können sich insofern auch nur auf deren Spätwerk beziehen, was somit alles andere als ein Kompliment ist. In ihren Interviews auf YouTube bekennt sich Stella Sommer, während ihr versehentlich ein Lächeln unterläuft, vehement zum Ideal der Anstrengungslosigkeit. „Dahingerotzt soll es klingen, und dahingerotzt ist es auch.“ Doch nicht nur jeder Musiker weiß, welche Anstrengung es oftmals kostet, damit es sich unangestrengt anhört. Wie sagte einst Rudi Carrell: „Man kann nur ein As aus dem Ärmel ziehen, wenn man vorher eins hineingesteckt hat.“ Was ich sagen will: Stella Sommer könnte noch deutlich mehr aus sich und ihrer Stimme und ihrer Band herausholen. Ein paar sehr hübsche Anfänge hat sie aber schon gemacht. Das Urteil lautet: mit Bedenken noch voll befriedigend (10 Punkte).
Die Heiterkeit
Pop & Tod I + II
Buback Tonträger 2016
Ca. € 17,-
INDIGO CD 126062