Die andere Hälfte der Wahrheit

Mitunter spannen verurteilte Straftäter die Medien ein, um ihre vermeintliche Unschuld zu beweisen. Oft werden dabei unangenehme Details aus den Prozessakten verdreht – oder verschwiegen, wie vier Fallbeispiele zeigen

Benedikt Vallendar

München – Die Wohnung glich einem Schlachthaus. Als die Kriminalpolizei am Abend des 16. Mai 2006 die Privaträume der Unternehmerin Charlotte Böhringer betrat, war die gebürtige Ungarin schon mehrere Stunden tot; erschlagen mit einem spitzen Gegenstand, so dass sich Blut über den gesamten Hausflur des Luxusappartements in der Münchner Innenstadt verteilen konnte. Ein klassischer Fall von „Übertötung“, von dem Experten dann sprechen, wenn beim Täter tief sitzende Hassgefühle gegenüber dem Opfer frei werden. Am 12. August 2008 verurteilte das Münchner Landgericht Böhringers Neffen Benedict Toth, genannt Bence, wegen Mordes an seiner Tante zu lebenslanger Haft. Mit dem Zusatz „Besonderer Schwere der Schuld“, was ihn mindestens für 30 Jahre hinter Gittern bringen dürfte. Hauptmotiv war, laut Urteil, die Angst des Neffen vor Enterbung wegen eines abgebrochenen Jurastudiums. Charlotte Böhringer soll sich immer einen „Juristen in der Familie“ gewünscht haben, indes ihr Neffe lieber Vorlesungen in Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte belegte. Am 18. April 2016 bestätigte das Bundesverfassungsgericht das Urteil gegen Toth, so dass der Rechtsweg nunmehr ausgeschöpft ist. Und das Millionenvermögen Böhringers an den Bruder Mate verfiel, der als studierter Betriebswirt das Immobilienimperium verwaltet und standesgemäß mit Frau und Familie am Starnberger See logiert.

Bunter Budenzauber

Damit wäre die Geschichte um Benedict Toth eigentlich zu Ende erzählt, eigentlich. Wäre da nicht das hartnäckige Bemühen seiner Familie, die Unschuld des Mörders zu beweisen. Dafür engagierten Toths eigens den renommierten PR-Berater Terry Swartzberg, der erfolgreich dafür sorgt, dass die vermeintliche Unschuld von Toth junior gebetsmühlenartig durch die deutsche Medienlandschaft geistert. Auch der Fernsehsender Phoenix und das ZDF (in der Reihe „37 Grad“) haben den Mordfall Böhringer aufgegriffen, um das Urteil gegen Benedict Toth in Frage und seine Verurteilung als Justizirrtum an den Pranger zu stellen. Auf Youtube und in der Münchner Kulturszene kursieren zudem Videos von Benefizkonzerten für den „zu Unrecht einsitzenden“ Frauenmörder Benedict Toth. Auch VOX und Sat 1 brachten Sendungen über „Fehlurteile“, in denen sie auf Benedict Toth Bezug nahmen. Das immer gleiche Rezept: „Verschweige, was den Täter belasten könnte und gewinne die Sympathie des Publikums“ ist somit höchst erfolgreich aufgegangen und hat die Jüngerschar der Bence-Anhänger stetig anwachsen lassen. Was die Medien im Fall Böhringer tunlichst verschwiegen haben: Toth war, wie polizeiliche Ermittlungen ergeben hatten, ein notorischer Lügner und Hochstapler, der Schauspieler werden wollte und dazu offenbar auch das nötige Talent besaß, wie Prozessbeobachter später bestätigten.

„Liebevoller Familienmensch“

Ähnlich kühn praktiziert es der rechtskräftig verurteilte Dreifachmörder Andreas Darsow aus Hessen. 2011 wurde er vom Landgericht Darmstadt zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt – und lässt sich seither in Fernsehen und Internet als „unschuldig einsitzenden Familienvater“ zeigen. Auch in seinem Fall ist die Fangemeinde mittlerweile beträchtlich angewachsen. Ein eigens gegründeter Verein von „Opfern gegen Justizirrtümer“ rührt fleißig die Werbetrommel für den früheren Bundeswehrsoldaten. Darsow soll, laut Urteil, seine Nachbarn erschossen haben, mit denen er angeblich „seit Jahren keinen Kontakt“ mehr hatte. Indes die Polizei beweisen konnte, dass Darsows über Jahre versucht hatten, aus der Siedlung wegzuziehen, da sie die Lärmbelästigung durch die späteren Opfer, darunter eine geistig behinderte Frau, nicht mehr ertrugen.

Der Fall Darsow weist Parallelen zum Fall Jens Söring auf, der als verurteilter Doppelmörder in den USA eine lebenslängliche Gefängnisstrafe absitzt. Auch Söring, Sohn eines deutschen Diplomaten, sieht sich als Opfer der Justiz. Durch hartnäckiges Bestreiten der Tat, flankiert mit mehreren Büchern, die der frühere College-Student in Haft verfasst hat, haben die Medien, darunter „ZDF-Reporter“ und die inzwischen eingestellte Johannes B. Kerner Show, Söring zum Opfer der „Gefängnisindustrie in den USA“ werden lassen. Dass Jens Söring 1985 nach der Bluttat Hals über Kopf die USA verließ und nach einer Irrfahrt über den halben Globus in London wegen Scheckbetruges verhaftet wurde, erwähnen die Medienmacher indes nur kurz. Wohl auch, weil man sich mit dem sympathisch wirkenden „Justizopfer“ aus Deutschland nicht die Einschaltquoten verhageln will.

Als „Opfer“ der Justiz fühlt sich auch Werner Mazurek, mutmaßlicher Mörder der 1981 ermordeten Ursula Herrmann aus Bayern. 2010 verurteilte ihn das Landgericht Augsburg zu lebenslanger Haft. Eine Sendung auf 3sat zeigte Mazurek kürzlich als linkisch wirkenden alten Mann, der dem Justizapparat scheinbar hilflos ausgeliefert ist. In Pantoffeln, unrasiert und einer Plastiktüte in der Hand wurde der Fernsehauftritt Mazureks zuschauergerecht in Szene gesetzt. Dass Mazurek, ein notorischer Trinker und Tierquäler, in jungen Jahren seinen Sohn halb tot geprügelt hatte und überschuldet war, würde der Zuschauer indes nur aus den Prozessakten erfahren. Zurzeit klagt der Bruder Ursula Hermanns, von Beruf Realschullehrer für katholische Religion und Musik, gegen Mazurek auf Zahlung von 20.000 Euro Schmerzensgeld.

Bröckelnde Fangemeinde

Das fragwürdige Zusammenwirken von Täter- und Medieninteressen hat einen fahlen Nachgeschmack erzeugt. Auch im Fall der ermordeten Charlotte Böhringer mehren sich die Stimmen derer, die Zweifel an der vermeintlichen Unschuld des Täters hegen, die das Mediengeplänkel mit Skepsis verfolgen und die Justiz ausdrücklich vor Angriffen in Schutz nehmen. Alexander Stevens, promovierter Strafverteidiger und Buchautor, hat vor zehn Jahren bei der Münchner Staatsanwaltschaft gearbeitet und den Mordfall Böhringer aus nächster Nähe verfolgt. Für ihn stand schon damals fest: „Benedict Toth ist schuldig, das Urteil vollumfänglich gerechtfertigt“. Stevens kritisiert vor allem den „Tunnelblick“, den die Toth-Verteidiger von Anfang an auf den Fall hatten. Und nicht nur dort. „Immer wieder versuchen Mörder mit Hilfe der Medien den Kontakt nach draußen zu halten, was in vielen Fällen auch gelingt“, sagt Stevens. Täter und Medien zögen häufig an einem Strang, indem sie gemeinsam unangenehme Details unter den Teppich kehrten. Details, die dem Zuschauer verschwiegen werden und ihn an die Unschuld des verurteilten Täters glauben ließen.

Das schwerwiegendste Indiz, das zur Verurteilung Toths führte, war dessen Verhalten vor und nach der Tat. Die Medien hüllten sich lange darüber in Schweigen und stellten den Fall so dar, als säße da tatsächlich jemand unschuldig hinter Gittern. Indes die polizeilichen Ermittlungen vieles zutage brachten, was bis dahin verschwiegen worden war. Etwa, dass Toth vor dem Mord größere Bargeldbeträge auf sein sonst nur spärlich gedecktes Konto eingezahlt hatte. Das Kuriose: Die Beträge waren fast deckungsgleich mit Fehlbeträgen an Kassenautomaten in der Parkgarage. Als deren damaliger Geschäftsführer einen Fehlbetrag in Höhe von über eintausend Euro bemerkte und Benedict Toth darauf ansprach, behauptete dieser mit Unschuldsmine, dass ein Geldschein im Parkautomaten stecken geblieben sei, weshalb er eine so genannte. „Zwischenentleerung“ gemacht habe. Toth übergab dem Geschäftsführer den Fehlbetrag, wobei die Polizei später feststellte, dass der Neffe zeitgleich einen ähnlich hohen Betrag vom Konto seiner damaligen Lebensgefährtin abgehoben hatte. Bei der Polizei trug Toth dann vor, die Tante hätte ihn angestiftet, das Geld zu entnehmen, um dem Geschäftsführer „wegen Unterschlagung“ kündigen zu können. „Doch die dachte gar nicht daran und stellte kurze Zeit später sogar noch einen weiteren Geschäftsführer ein, den sie anwies, ihren Neffen künftig nicht mehr die Büros der Parkgarage am Isartor betreten zu lassen“, sagt Stevens. Zuvor hatte die kinderlose Millionenerbin ihren Neffen der Wohnung verwiesen und ihm überdies mit Enterbung gedroht.

„Examen“ gefeiert

Schon lange vor dem Mord hatte Toth bewiesen, dass es ihm nicht an Dreistigkeit mangelte. Nach seinem angeblich bestandenen ersten Juraexamen lud er Freunde und Mitarbeiter der Tante zu einem ausgiebigen Frühstück ein, bei dem ein Studienkollege den Chauffeur spielen durfte. In Wirklichkeit hatte Toth das Studium längst abgebrochen und lebte von den Anwärterbezügen seiner damaligen Freundin. Die Beziehung zu der jungen Frau war, anders als es die auf Lovestory gepolten Medien darstellten, in Wirklichkeit höchst fragil und, laut Ermittlungsakte, von mehreren Trennungsabsichten begleitet. Richtig „Schluss“ war dann, als Benedict Toth hinter Schloss und Riegeln saß.

Veröffentlicht von on Dez 5th, 2016 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

2 Antworten for “Die andere Hälfte der Wahrheit”

  1. hallo,

    endlich mal jemand der keine schoenfaerberei betreibt !
    ich bin vor ca. 2j. auf den fall bence aufmerksam geworden und habe mir alles angesehen was das www in diesem zusammenhang hergibt.
    bence war von anfang an fuer mich schuldig und zu recht verurteilt wurden!

    allerdings hat mich die sache mit dem weinglas genauso beschaeftigt wie den rest der familie , wer sollte diese person gewesen sein?
    laut familie und anwaelte weigerte sich ja die ermittlungsstelle dem weiter nach zu gehen weil bence als ueberfuehrt galt!

    sie koennen mir glauben wenn ich ihnen sage das ich schon einige leute angeschrieben habe von der familie und freunde von bence !
    leider sind meine nachfragen bis heute unbeantwortet geblieben, eine leserin meinte dazu , es war damals zu teuer deshalb hat man darauf verzichtet! wie bitte? die familie hat eine menge geld geerbt , das kann ich so nicht stehen lassen , aber lesen sie selbst!!

    warum hat die familie nachdem sie festgestellt hat das die justiz nicht im sinne der verteitigung ermittlungen anstellt was das weinglas angeht eine detektei beauftragt???
    diese haette sich im umfeld des opfers umsehen / umhoeren koennen von evtl. verdaechtigen versuchen an deren DNA heran zu kommen (trinkglas, zigarettenkippe usw)
    diese proben haetten sie untersuchen lassen koennen und mit dem spurenleger am weinglas abgleichen koennen!!
    nichts dergleichen geschah, warum nicht??
    mfg frank mueller

  2. KARIN JUPE sagt:

    Der Fall Benedikt Toth aus der Sicht einer Prozesse Beobachterin.Faktisch steht es fest, dass die Ermittlungen in diesem Fall deswegen oberflächlich waren, weil der Todeszeitpunkt der Charlotte Boehringer bis heute nicht zeitlich bestimmt werden konnte. In der Urteilsbegruendung nachzulesen. Mit der Umschreibung „kann gut möglich“ sein. Wenn das Gericht sich seines Urteils so sicher war, hätte es dem Verurteiltem niemals einen Deal angeboten. Daran erkennt jeder dumme Junge, dass selbst das Gericht davon überzeugt war, dass sie den falschen Täter vor sich sitzen haben. Wäre der Fall Boehringer nicht so traurig, könnte man sich über diese Justiz lachen. Nicht etwa auslachen, nein das Gegenteil. Man lese und staune welche maerchenhafte Urteilsbegruendung sich vorsitzende Richter zusammengebastelt haben. Alle Achtung, sicher waere dieses Urteil als Since fiction Roman ein Bestseller geworden. Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen, dass der Benedikt Toth Angst hatte, dass sein Luegengebaeude zusammenkrachen wuerde bezüglich seines nie angetretenen Jurastudiums. Um es aufrecht zu halten sein Luegengebaeude musste er sogar seine Tante erschlagen aus purer Angst. Ha, ha, ha! Wer sich so etwas einfallen lässt könnte evtl. selbst unter Verdacht geraten, nicht etwa, dass er der Taeter wäre, nein ein angesehenes Gericht, wo kaemen wir da hin? Viel schlimmer, naemlich ob noch alle Tassen in ihren Schrank haben. Also zu mindest eine Untertasse fehlt.

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