Schule fürs Leben

Vor 25 Jahren erschien das Computerspiel „BMP – Bundesligamanager Professional“. Ein persönlicher Rückblick

Thomas Claer

Alle Welt spielt irgendwelche Spiele auf dem Computer oder Handy. Leider kann ich dabei nicht mitreden, weil ich davon nichts verstehe. Ich spiele nie. Doch das war nicht immer so. In meiner Jugend, genauer: in meiner Zivildienst- und Studentenzeit, bin ich ein leidenschaftlicher Spieler gewesen. Und das kam so: Wir trafen uns schon seit der Oberstufe in den frühen Neunzigern oft bei meinem Freund S., der als einziger von uns allen einen Computer besaß. Überhaupt war er technisch exzellent ausgerüstet. Er verfügte auch über einen CD-Player, nicht jedoch über einen Fernseher und Videorekorder, weil seine Eltern ihm das nicht erlaubten. Videos guckten wir dafür immer bei mir. Ich war der mit dem Videorekorder, mein Freund S. war der mit dem Computer.

Anfangs blickte ich noch relativ verständnislos auf dieses große Teil, das da bei ihm im Zimmer stand. Hausarbeiten wie später im Studium hatten wir noch nicht zu schreiben, das Internet war noch nicht erfunden. Aber irgendwann, als wir schon Zivis im Krankenhaus und unsere Nachmittage und Abende nicht mehr durch Schulaufgaben belastet waren, da präsentierte uns S. stolz seine neueste Anschaffung: ein Computerspiel, das die Fußball-Bundesliga simulierte, wo man selbst als Vereinspräsident, Manager und Trainer in Personalunion eine virtuelle Mannschaft zusammenstellen und mit ihr virtuelle Spiele gegen virtuelle Gegner bestreiten konnte. Und was besonders reizvoll war: Es konnten bis zu vier Spieler gleichzeitig mitwirken, die jeweils einen Verein übernahmen und dann auch jeweils zweimal pro Saison, einmal zu Hause und einmal auswärts, gegen jeden anderen Mitspieler anzutreten hatten. Die Fußballspiele selbst waren von der Grafik her noch recht simpel (am gelungensten waren die bunten Vereinswappen), aber es gab doch allerhand Möglichkeiten, um vor und während der einzelnen Meisterschaftsspiele auf diese Einfluss zu nehmen. Man wählte eine bestimmte Taktik, die sich je nach Spielverlauf auch intervenierend verändern ließ. Man konnte das Training nach Ausrichtung, Umfang und Intensität frei gestalten. Man konnte bestimmte Spieler aufstellen und andere nicht, man konnte während des Spiels Auswechslungen vornehmen. Die virtuellen Spieler hatten alle Namen, die es seinerzeit in den deutschen Fußballigen wirklich gab, sie hatten ein bestimmtes Alter und eine – etwa durch gezieltes Training – veränderbare Spielstärke auf einer Skala von null bis hundert. (Nur ein Gesicht hatten sie noch nicht, das sollte erst in späteren Versionen des Spiels dazukommen.)

Nach jedem Spieltag wurden alle Ergebnisse und die aktuelle Tabelle der Liga auf dem Bildschirm präsentiert. Sodann folgte der Zeitungsartikel zum eigenen Spiel, der sich auf geniale Weise aus den bekannten Phrasen und Satzbausteinen zusammensetzte, die auch noch heute die Sportberichterstattung ausmachen. Je nach Spielverlauf und Ergebnis zeigte sich der Trainer (dort stand dann immer der echte Name des Mitspielers) mit dem Spiel seiner Mannschaft mehr oder weniger zufrieden. Es wurde die Moral der Mannschaft gelobt oder ihre Chancenverwertung bemängelt, manchmal auch daran erinnert, dass der Ball rund sei und ein Spiel immer 90 Minuten dauere. Sehr realitätsnah war das Spiel so programmiert, dass längst nicht immer die Mannschaften mit den teuersten Spielern gewannen. Vielmehr erwiesen sich solche Teams als besonders spielstark, deren Spieler schon lange zusammenspielten und die von ihren Trainern taktisch gut auf den jeweiligen Gegner eingestellt worden waren. Auf unglücklich verlorene Spiele folgten oft regelrechte Pechsträhnen, auf überzeugende Siege hingegen kaum zu erklärende Glückssträhnen. Die Programmierer des Spiels müssen ausgezeichnete Psychologen gewesen sein. Kurz gesagt, dieses Spiel war damals für jeden jungen Menschen, der sich schon jahrelang für Fußball interessierte, eine wahre Freude. Wir jedenfalls waren hellauf begeistert.

Eine große Schwierigkeit gab es jedoch: Man musste im Spiel mit seinem knapp bemessenen Budget auskommen, damals natürlich noch in DM. Es galt, sich lukrative Sponsorenverträge zu angeln, die Eintrittspreise im Stadion vernünftig zu gestalten, das Stadion gezielt auszubauen und wenn nötig zu sanieren, bei den Gehaltsverhandlungen mit den Spielern, deren Verträge ausliefen, auf dem Teppich zu bleiben und bei der Verpflichtung neuer teurer Spieler, die einem sportlich weiterhelfen konnten, mit Augenmaß vorzugehen. Denn man konnte zur Finanzierung auch bei der virtuellen Bank einen Kredit aufnehmen, der musste aber am Ende der Laufzeit pünktlich und ohne Wenn und Aber zurückgezahlt werden. Vor allem musste man also gut wirtschaften können. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie der eine oder andere von uns hier den Bogen überspannte und schließlich in der Schuldenfalle landete. Dann musste Spieler für Spieler verkauft werden, nur um die Forderungen der Bank noch bedienen zu können, was unausweichlich den vollkommenen sportlichen Absturz zur Folge hatte. Irgendwann, glaube ich, da bin ich mir aber nicht mehr ganz sicher, wurde in solchen Fällen, zwangsweise der Spielbetrieb dieser Mannschaft eingestellt.

Besonders wenn mehrere Mitspieler beteiligt waren, konnte sich das Spiel manchmal über Wochen und Monate hinziehen. Es ließ sich ja im Prinzip auch endlos fortsetzen. Jederzeit bestand die Möglichkeit, den aktuellen Spielstand abzuspeichern und später, sobald alle Beteiligten mal wieder Zeit hatten, weiterzuspielen. Doch irgendwann, spätestens nach sieben oder acht virtuellen Spieljahren, stürzte das laufende Spiel ständig ab. Dann wussten wir, dass es wieder Zeit war, ein neues zu beginnen.

Zurückblickend kann ich feststellen, dass die langen Abende und manchmal auch Nächte, die ich damals mit meinen Freunden vor dem Computer verbracht habe, alles andere als Zeitverschwendung waren. Vor allem lernte man in diesem Spiel, immer sehr viele Dinge gleichzeitig im Auge zu behalten, sich auch bei widrigen Verläufen nicht aus dem Konzept bringen zu lassen und geduldig auf bessere Zeiten zu warten. Mein Freund S., der als Gastgeber natürlich über den vorrangigen Zugriff auf seinen Computer verfügte, erwies sich hier nicht immer als fairer Sportsmann, sondern reagierte oft sehr empfindlich und manchmal auch jähzornig auf eigene „sportliche“ Misserfolge. Gefürchtet von uns waren seine Wutausbrüche, in denen er nach verlorenen Matches, insbesondere wenn es sich um „Derbys“ gegen uns, seine Mitspieler, handelte, kurzerhand den Stecker aus der Steckdose zog und somit das Spiel zum Absturz brachte. Wir mussten dann dort weitermachen, wo die automatische Speicherung (die es immerhin gab), zuletzt eingesetzt hatte, also meistens drei bis vier Spieltage in der Vergangenheit, was für uns ärgerliche Deja-vue-Situationen mit sich brachte. Abgesehen davon, dass es im richtigen Leben keinen solchen Stecker und keine Reset-Taste gibt, durch die sich mal eben die Zeit zurückdrehen lässt, war dieses Spiel für mich eine Schule fürs Leben. Was ich darin gelernt habe, vor allem eine mentale Grundeinstellung aus Disziplin und Kontinuität in wirtschaftlicher Hinsicht, kam mir in meinem späteren Leben sehr zupass, ob beim Verwalten meines Aktien- oder später meines Immobilienportfolios. Mir ist bewusst, dass ich hier nur für mich selbst sprechen kann und meine Erfahrungen keineswegs repräsentativ sind, aber ich würde behaupten, dass ich aus diesem Spiel mehr mitgenommen habe als aus meiner gesamten Juristenausbildung. Vor ein paar Jahren traf ich auf einem Geburtstag einen meiner einstigen Mitspieler. Er schlug vor, dass wir uns alle nach über zwei Jahrzehnten doch mal wieder treffen und gemeinsam unser Lieblingsspiel von einst spielen sollten. Ich glaube, irgendwann machen wir das wirklich.

Nostalgiker finden alle Informationen zum kostenlosen Download des Spiels und zu dessen Anpassung an heutige Betriebssysteme in einem YouTube-Video:
https://www.youtube.com/watch?v=UNoar8beRQ0

Eine ausführliche Anleitung für das Spiel gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=i5A87FiQ1IQ

Veröffentlicht von on Dez. 26th, 2016 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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