Promotion

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

Menschen mit Doktor-Titel sind entweder eitel oder geldgierig, denn warum sonst hätten sie so viel Mühe, Kraft und Zeit investieren sollen, nur um hinterher zwei Buchstaben und einen Punkt vor ihren Namen setzen zu dürfen? Manchmal haben sie auch, zumindest was ihr Thema angeht, so etwas wie ein wissenschaftliches Interesse. Bei mir fallen alle drei Faktoren zusammen. Mein Promotionsthema war für mich – damals, vor fast zwei Jahrzehnten – so ziemlich das Interessanteste, was mein Jurastudium so mit sich brachte. (Ansonsten fand ich es ja reichlich öde.) Im Erwerbsleben zu Geld machen ließ sich mein Doktor-Titel allerdings ganz und gar nicht, was sicherlich auch an meinen individuellen Besonderheiten, gewissen Ängsten und Abneigungen im zwischenmenschlichen Sektor und wohl überhaupt an meiner mangelnden Flexibilität liegt. (Doch ist es mir schließlich gelungen, meine Geldgier auf anderen Wegen zu befriedigen.) Was bleibt, ist die Eitelkeit. Doktoren sind oft wahre Narzissten, die es genießen, von anderen mit ihrem Titel angesprochen zu werden. Manche unterschreiben genussvoll jede ihrer Mails und jeden ihrer Briefe mit ihrem Titel. In Wahrheit noch viel eitler sind aber diejenigen unter den Doktoren, die das nicht tun – um bei ihren Mitmenschen den Eindruck zu erwecken, es sei ihnen nicht so wichtig. Sie unterschreiben dann ohne ihren Titel; dieser steht aber darunter im Kleingedruckten, so dass ihn doch jeder lesen kann und dann denken soll: „Wow, so ein bescheidener Doktor. Es ist ihm nicht so wichtig, mit seinem Titel angesprochen zu werden. Was für ein toller Typ! Ein Doktor und trotzdem so bescheiden!“ So jedenfalls möchten die Doktoren, die nicht mit ihrem Titel unterschreiben, von anderen wahrgenommen werden. Aber zumindest von einem Teil ihrer Mitmenschen werden sie mühelos durchschaut. Wer auch nur etwas um die Ecke denken kann, merkt es natürlich gleich, dass die Doktoren, die nicht mit ihrem Titel unterschreiben, die allergrößten Egomanen sind. Sollte man deshalb also, um nicht für einen solchen gehalten zu werden, doch lieber mit seinem Titel unterschreiben? Und was sollen nur die Doktoren machen, denen ihre Promotion wirklich nicht (mehr) so wichtig ist, z.B. weil sie im Laufe der Zeit genug andere Meriten gesammelt haben? Oder diejenigen Doktoren, die – ganz ausnahmsweise – vielleicht wirklich bescheiden sind? Egal, wie sie unterschreiben, es wird ihnen keiner abnehmen. Gewiss, es ist ein Luxusproblem, aber doch kein ganz geringes. Jedenfalls habe ich mich dazu entschieden, die Sache kontextbezogen und situationsbedingt anzugehen. Wenn ich Droh- und Beschwerdebriefe schreibe oder mein Gegenüber einschüchtern möchte, um von ihm in Ruhe gelassen zu werden, dann unterschreibe ich mit Doktor-Titel. Sonst aber ohne. Soll doch jeder darüber denken, was er will.

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Jun 26th, 2017 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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