Unabhängigkeit

Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen

Liebes Tagebuch,

habe vor einiger Zeit im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung ein Interview der ausgezeichneten Reihe „Reden wir über Geld“ mit dem Philosophen und Bestseller-Autor Richard David Precht gelesen (dem „André Rieu der deutschen Philosophie“ laut seinem Kollegen Peter Sloterdijk). Darin erklärte Precht auf die Frage, ob er denn Aktien besitze, dass er sich so etwas nicht erlauben könne, als Publizist müsse er unabhängig sein und dürfe keine eigenen wirtschaftlichen Interessen an Unternehmen haben. Dann könne er ja womöglich gar nichts mehr gegen große Konzerne und ihre kritikwürdigen Praktiken sagen, wenn er selbst an ihnen beteiligt sei. Klingt einleuchtend. Aber stimmt es auch? Es lohnt sich, mal darüber nachzudenken. Ich meine, nicht unbedingt finanziell lohnt es sich, sondern mal grundsätzlich, um sich darüber klar zu werden. Da fällt mir das schöne Zitat des berühmten Börsengurus André Kostolany (1906-1999) ein: „Nicht reich muss man sein, sondern unabhängig.“ Kostolany, der auch Journalist und Publizist war, hatte sein Vermögen ganz überwiegend in Aktien angelegt und konnte gut von den Erträgen, den laufenden Dividendenzahlungen, leben. (Und damit meine er „nicht das gute Leben eines Schotten“, sagte er einmal.) Besonderen Wert legte er darauf, in seinen Äußerungen und Publikationen auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen zu müssen, weil er ja finanziell unabhängig sei (wenn auch – nach seinen Maßstäben – nicht wirklich reich, aber ihm genügte es vollkommen). Das ist nun exakt das Gegenteil von dem, was Precht ausgeführt hat. Wer von den beiden hat also Recht, könnte man fragen. Und wenn ja, wieviel?

Zunächst einmal stimmen beide im Ansatz darin überein, dass sie als Publizisten in ihren Meinungen möglichst frei sein wollen und sich weder von anderen reinreden lassen noch Rücksichten auf irgendwelche persönlichen Interessen nehmen möchten – und seien es die eigenen. Entscheidend dafür, wie abhängig oder unabhängig jemand ist, dürfte es aber immer sein, wovon er seinen Lebensunterhalt bestreitet. Wer überwiegend von Erwerbseinkommen lebt und einen festen Arbeitgeber hat, ist schon mal in höchstem Grade von diesem abhängig und wird kaum Äußerungen tätigen, die dessen Interessen zuwiderlaufen, denn sonst schnitte er sich ja ins eigene Fleisch. Wie sagt das Sprichwort so schön: Wes‘ Brot ich ess‘, des Lied ich sing‘. Nicht einmal die Abhängigkeit von staatlichen Sozialleistungen ist insofern schlimmer, denn diese kann man – das ist vom Sozialstaatsprinzip unserer Verfassung garantiert – nicht verlieren, seinen Job hingegen schon. Allerdings warten auf kritische (bzw. querulantische) AGL II-Bezieher zahlreiche Schikanen des Staates, was ja im Grunde genommen auch gut und richtig ist; sonst würde ja womöglich jeder auf Kosten der Allgemeinheit leben wollen, wenn es so einfach und bequem wäre. Das heißt also, dass Angestellte schon mal per se abhängig sind, Selbständige und Freiberufler jedoch deutlich weniger, sofern sie unterschiedliche und – noch besser – wechselnde Auftraggeber haben. Und der Aktionär, der von Dividendeneinnahmen lebt, wäre in fataler Abhängigkeit, wenn er nur Aktien eines einzelnen Unternehmens hätte. Er wird aber, wenn er klug und umsichtig ist, Anteile von vielen verschiedenen Firmen halten, je mehr, desto besser, möglichst breit gestreut. Und wenn ihm etwas an einer Company nicht gefällt, dann kann er jederzeit sein Portfolio umschichten. Und außerdem: Wer sagt denn, dass Aktionäre immer unkritisch sein müssen? Es gibt sogar einen „Dachverband der kritischen Aktionäre“, der eine Vielzahl kleinerer Aktionärs-Organisationen vereint, die ihren Unternehmen genau auf die Finger sehen. Und wer bestimmte Firmen als moralisch zweifelhaft ansieht, der muss ja nicht in diese investieren. Es gibt doch so viele andere. Nur jemand, der alle Aktiengesellschaften der Welt für verdorben und schlecht hält, muss auf diese Form der Geldanlage verzichten. Er wird sein Geld dann auf dem Sparkonto einer Bank liegen lassen – nein halt, das wäre ja mindestens so unmoralisch! Die Banken sind doch bekanntlich die schlimmsten Verbrecher. Also lieber das Geld zur Öko-Bank oder Umwelt-Bank oder Ethik-Bank tragen oder wie sie alle heißen. Aber kann man denen wirklich trauen? Da heißt es, sich wirklich genau zu informieren…

Doch wie ist es eigentlich mit denen, die hauptsächlich von den Einnahmen aus ihren Bücherverkäufen leben? Sind sie denn unabhängig? Ihre Befürchtung muss immer die sein, dass ihre Bücher nicht mehr gekauft werden. Folglich sind sie abhängig von ihrem Publikum und sind möglicherweise geneigt, das zu schreiben, was die Leute hören wollen. Also summa summarum Vorteil Kostolany gegenüber Precht. Man kann es jedoch auch anders sehen: Wer sich selbst ständig um seine eigenen Geldanlagen kümmern muss (um sein so genanntes „leistungsloses Einkommen“), verliert viel Kraft und Nerven und Lebenszeit, wird dadurch also gewissermaßen psychisch abhängig von den Launen der Kapitalmärkte und kann sich nicht mit voller Kraft dem widmen, was er möglicherweise sonst tun könnte. Aber mancher wird auch gerade darin, in der Verwaltung seiner Geldanlagen, wenn es denn gut klappt, viel Freude finden. Macht Geld also letztlich abhängig oder unabhängig? Das ist wirklich eine gute Frage.

Dein Johannes

Veröffentlicht von on Jul. 31st, 2017 und gespeichert unter JOHANNES, LIEBES TAGEBUCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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