Geheime Aufzeichnungen eines Volljuristen
Liebes Tagebuch,
versteht man den Erfolg im rein technischen Sinne als das Gelingen dessen, was man sich vorgenommen, gewünscht oder erhofft hat, so wird zumindest sein Eintreten im großen Stil von mehreren Faktoren begünstigt, deren wichtigster und schwerwiegendster zweifellos das Glück ist, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Andere tun womöglich Ähnliches, nur ein paar Jahre früher oder später oder am anderen Ort, und es geht schief. Doch gibt es umgekehrt auch unzählige andere, denen sich exakt die gleichen Möglichkeiten bieten wie den später Erfolgreichen, aber jene erkennen und nutzen sie nicht. Als weitere wichtige Erfolgsfaktoren zu nennen sind daher zum einen – als intellektuelle Voraussetzung – die zum Erkennen solcher Gelegenheiten erforderliche Urteilskraft sowie zum anderen – als mentale Voraussetzung – die Entschlossenheit, die sich bietende Chance beim Schopfe zu packen. Eng verbunden mit dem Letztgenannten sind ferner noch der starke Wille dazu, den Erfolg auch wirklich herbeizuführen, und – ganz besonders! – die Geduld, auf das Eintreten solch günstiger Umstände warten zu können, wenn nötig auch lange Zeit.
Hingegen ist der oft als maßgeblicher Erfolgsfaktor angesehene Fleiß eher ein zweischneidiges Schwert. Sicherlich wird er, sobald der einzuschlagende Weg feststeht, der dann nur noch zurückzulegen ist, das Gelingen fördern. Ohne ihn gibt es, wie es das Sprichwort weiß, keinen Preis. Doch zumeist kommt es gar nicht so sehr auf das Zurücklegen eines vorgegebenen Weges an (was die meisten dann schon irgendwie schaffen, getreu dem Bonmot, dass 70 Prozent der Leistung aus Anwesenheit besteht), sondern auf die Erkenntnis, welcher Weg denn der jeweils richtige, der beste, der individuell zielführendste ist. Und hier hilft der Fleiß nur, wenn er sich auf die Reflexion, das Nachdenken und Abwägen bezieht, nicht aber, wenn er nur auf die Ausübung der nächstbesten praktischen Tätigkeit gerichtet ist. Insofern kennt das Sprichwort den blinden Eifer, der nur schadet. Als ähnlich schädlich kann sich allerdings umgekehrt auch eine Reflexion erweisen, die vor lauter Bedenkenträgerei niemals zur praktischen Umsetzung des eigentlich bereits als richtig Erkannten gelangt.
Schließlich ist als letzter subjektiver Erfolgsfaktor noch die Selbsterkenntnis zu ergänzen. Nur wer sich ein Betätigungsfeld sucht, das zu ihm passt, für das er brennt, in dem er auch wirklich aufgeht, in dem ihn – besonders wichtig – die eigenen Schwächen und Abneigungen nicht ausbremsen werden, kann hierin erfolgreich sein. Alles andere ist sehr wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Doch sind hierbei auch gewisse Kompromisse möglich, mitunter sogar unverzichtbar. Die „universale Erfolgsformel“ lautet somit:
Erfolg (im rein technischen Sinne) = Glück x Urteilskraft x Entschlossenheit x Willensstärke x Geduld x Fleiß x Selbsterkenntnis.
Wie in einer mathematischen Gleichung dürfte (in der Regel) alles zu einem Null-Ergebnis führen, sobald auch nur einer der Faktoren total ausfällt, also den Wert Null annimmt. Ist aber jeweils auch nur ein Mindestmaß über Null vorhanden, dann können andere Faktoren bei starker Ausprägung diese punktuelle Schwäche ausgleichen. Und nicht umsonst spricht man von Erfolgsfaktoren und nicht Erfolgssummanden, denn die genannten Voraussetzungen führen nur dann zum gewünschten explosiven Resultat, wenn sie miteinander multipliziert und nicht nur addiert werden.
Abschließend frage ich mich: Warum vertraue ich diese Gedanken eigentlich nur meinem halböffentlichen anonymen Tagebuch an und veranstalte auf ihrer Basis nicht z.B. Seminare für High Potentials? Weil ich von mir ganz sicher weiß, dass ich so etwas weder kann noch mag. Und außerdem wird, wer näher über das Thema nachdenkt, vermutlich ohnehin zu ähnlichen Resultaten kommen – und keine Erfolgsratgeber brauchen.
Dein Johannes
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Daß Glück ihm günstig sei,
Was hilft’s dem Stöffel?
Denn regnet’s Brei,
Fehlt ihm der Löffel.
(Goethe)