Ingo von Münch setzt sich mit „PC“ auseinander
Matthias Wiemers
In seinem neuen Buch bezeichnet sich der 1932 in Berlin geborene Staats- und Völkerrechtler Ingo von Münch einmal beiläufig als Flüchtling. Auf dieses Thema gilt es sogleich zurückzukommen. Schon 1957 (ausgerechnet über ein Thema mit Bezug zur Meinungsfreiheit) promoviert und 1963 habilitiert, trat der Autor schon früh als Lehrbuchautor in Verwaltungsrecht, Völkerrecht und dann auch im Staatsrecht hervor und eröffnete im Jahre 1974 einen zuletzt von einem Schüler Philip Kunig herausgegebenen mehrbändigen Grundgesetz-Kommentar. Hatte sich von Münch schon früh mit der Herausgabe wichtiger völkerrechtlicher Verträge beschäftigt, so erscheinen seine Veröffentlichungen der letzten Jahre – nach sukzessiver Aufgabe der Tätigkeiten in Sachen Ausbildungsliteratur – als von dem erkennbaren Willen gekennzeichnet, historische Vorgänge und aktuelle Fragen der Rechtspolitik aufzuarbeiten. Den politischen und vor allem publizistischen Umgang mit der vielzitierten „Flüchtlingskrise“ nimmt von Münch nun offenbar zum Anlass, um sich mit einem Phänomen auseinanderzusetzen, das in den letzten 20 Jahren immer mal wieder – mehr oder weniger fundiert – Gegenstand kritischen Erörterungen war: der political correctness oder kurz „PC“.
In der Einführung (A.) wird Bezug genommen zur aktuellen Flüchtlingskrise. Dabei betont der Autor u. a. ausdrücklich, kein Politiker zu sein (S. 15) – obwohl er jahrzehntelang ein wichtiges Mitglied der FDP und in Hamburg auch als Mitglied der Bürgerschaft und zeitweise Senator bzw. stellvertretender Regierungschef tätig gewesen ist. Aber diese Zeiten liegen für den Autor offenbar in der Vergangenheit. Er hat aber, so sein Hinweis, die NS-Zeit mit ihren Instrumenten der Unterdrückung und Bestrafung freier Meinungsäußerungen noch bewusst miterlebt (S. 16).
Nach einer Begriffsklärung (B.) setzt sich von Münch sogleich mit einem Thema auseinander, an dem sich PC in den letzten Jahren besonders abgearbeitet hat: „Gibt es eine Leitkultur?“ (C.) fragt der Autor und gibt selbst keine direkte Antwort, sondern zitiert zustimmend eine Stimme aus dem Ausland, in der es u. a. heißt: „Doch alle Versuche, diese Diskussion zu führen, scheitern seit Jahren an der linken Verteufelung des Begriffes und an der rechten Unfähigkeit, Standards zu definieren, ohne dabei in ausgrenzende Reflexe zurückzufallen.“ (S. 23)
Es geht weiter mit „Political Correctness und Islam“ (D.), wo von Münch einige Absurditäten hinsichtlich überzogener Rücksichtnahmen auf religiöse Gefühle von Muslimen offenlegt.
Als besonders wichtig erscheint mir das Kapitel E.: „Informationsfreiheit: Die Silvesternacht in Köln“, das schon im Titel aufzeigt, worum es geht: dass nämlich namentlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk das legitime Informationsbedürfnis der Rundfunkbeiträge zahlenden Bevölkerung zu Jahresbeginn 2016 tagelang nicht erfüllt hat. Hierzu kann der Autor u. a. auf die einschlägige Passage im WDR-Gesetz verweisen, dessen Zentrale nur fünf Gehminuten von der Domplatte entfernt liegt.
Die Überleitung zum nächsten Kapitel (F.) über das „Verschweigen der Herkunft der Täter“ gelingt bruchlos. Hier setzt sich von Münch mit einem von ihm als Selbstzensur (S. 46) bezeichneten Verhaltenskodex des Deutschen Presserates von 1971 auseinander, dessen einschlägige Passage er zumindest als überholt entlarvt.
Nach den beiden den umfangmäßigen Schwerpunkt ausmachenden Kapiteln leitet der Autor zunächst über auf das allgemeinere Thema der „Herrschaft über die Sprache“ (G.) und kommt zur „Ausgrenzung von abweichenden Ansichten“ (H.), wo er die Toleranz als ein Wesensmerkmal des Liberalismus herausstellt (S. 67).
Instrumente der Intoleranz sind bekanntlich einige „Keulen“, die sodann im Einzelnen vorgestellt werden: „Die Faschismuskeule“ (I.), „Die Rassismuskeule“ (J.) und „Die Nazikeule“ (K.), bevor resümierend „Debattenkultur gegen Unkultur“ (L.) diskutiert wird. Weitergehend fragt der Autor: „Hass-Spirale ohne Ende“? (M.), wo er das Phänomen Donald Trump als Antwort auf eine überzogene Political Correctness deutet.
Im Folgekapitel weist von Münch nach, dass in der politischen Debatte zunehmend der Vorwurf der Hetze“ erhoben wird, verbunden mit dem Ruf nach dem Staatsanwalt (N.).
Die Frage „Populismus – eine Worthülse?“ (O.) darf als durch die Schilderungen im Text bejaht angesehen werden.
Das Kapitel über „Die Verantwortung der Medien“ (P.) ist vor allem Vertretern der öffentlich-rechtlichen Medien zu empfehlen. Dem folgen eine Zusammenfassung (Q) sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister.
Alles in allem wird man sagen müssen: Bravo, Ingo von Münch! Möge dem Autor noch eine lange Zeit der Schaffenskraft verbleiben, die dem lesenden Publikum vergleichbare und gut lesbare Werke bescheren mögen! Deutlich wird aber auch, dass es noch einige Themen namentlich im Zusammenhang mit dem öffentlichrechtlichen Rundfunk gibt, die verfassungsrechtlich aufzuarbeiten als lohnend erscheinen. Der gewichtigen und unabhängigen Stimme Ingo von Münchs seien viele Leser gewünscht!
Ingo von Münch, Meinungsfreiheit gegen Political Correctness, Duncker und Hublot, Berlin 2017, 164 S., 19,90 Euro (ISBN 978-3-428-15268-1)