Das Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 52 StPO
Elena Mohalka
Wer auf gute Nachbarschaft bedacht ist, möchte nicht selten auch vor Gericht seine freundschaftliche Solidarität unter Beweis stellen. Wird man in Strafsachen als Zeuge (m/w) herbeizitiert, so kann man vom Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch machen.
Doch das Gefälligkeitsschweigen von Nachbarn, Freunden und Bekannten (m/w), die mit dem Angeklagten (m/w) nicht verwandt, nicht verschwägert und nicht verlobt sind (§ 52 I Nr. 3 StPO), aber auch von Ehegatten und Ex-Ehegatten (§ 52 I Nr. 2 StPO) und von Lebenspartnern und Ex-Lebenspartnern (§ 52 I Nr. 2a StPO), birgt Risiken in sich: diese reichen unter Umständen von der Bestrafung mit einem Ordnungsgeld (§ 70 I StPO) bis hin zur Beugehaft von sechs Monaten (§ 70 II StPO).
§ 70 I, II StPO [Grundlose Zeugnis- oder Eidesverweigerung] (1) Wird das Zeugnis oder die Eidesleistung ohne gesetzlichen Grund verweigert, so werden dem Zeugen die durch die Weigerung verursachten Kosten auferlegt. (2) Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt. Auch kann zur Erzwingung des Zeugnisses die Haft angeordnet werden, jedoch nicht über die Zeit der Beendigung des Verfahrens in dem Rechtszug, auch nicht über die Zeit von sechs Monaten hinaus.
Ordnungsgeld und Beugehaft bleiben Nachbarn (m/w), Freunden und Bekannten (m/w) unter 18 Jahren erspart, weil Minderjährigen (§ 52 II 1. Alt. StPO) mangelnde Verstandesreife zugebilligt wird. In diesem Sinne dürfen auch erkannt oder unerkannt Geisteskranke nach § 52 II 1. Alt. StPO ungestraft von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, ohne dass sie mit dem Angeklagten (m/w) verwandt, verschwägert oder verlobt sein müssten, zumal dann, wenn auch deren gesetzliche Vertreter die Zeugenvernehmung verbieten.
Groß wäre die Verzweiflung, wenn man anders als der zufällige Augenzeuge als volljähriger Nachbar, Freund, Bekannter, (Ex-)Verlobter, (Ex-)Ehegatte oder (Ex-) Lebenspartner kein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen dürfte, obwohl man eine starke Verpflichtung zur Verschwiegenheit im Innern verspürt.
So kommt es nicht von ungefähr, dass es im Sinne von § 53 I 1. Alt. Nr. 1 – 4 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen gibt: Schweigen dürfen Beichtväter, die Verteidiger des Beschuldigten, Rechtsanwälte, Mitglieder der Rechtsanwaltskammer, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Apotheker, Hebammen, Suchtberater, Mitglieder des Deutschen Bundestages, Mitglieder der Bundesversammlung und deutschstämmige Mitglieder des Europäischen Parlaments. Schweigen dürfen aber auch Landtagsabgeordnete, denen in ihrer beruflichen Eigenschaft Geheimes anvertraut wurde, ausser wenn es um Straftaten des Friedensverrates und der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates oder um Landesverrat und die Gefährdung der äußeren Sicherheit geht (§ 53 II Nr. 1 StPO). Straftaten rund um Geldwäsche oder sonstige unrechtmäßig erlangte Vermögenswerte (§ 53 II Nr. 3 StPO) dürfen generell von niemandem verschleiert werden.
Überraschend ist, dass unsere bundesdeutsche Pressefreiheit (Art. 5 I 2., 3. Alt. GG) andererseits mit einem journalistischen Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht gekoppelt ist. Gemäß § 53 I Nr. 5 StPO garantiert die seit 1. Februar 1877 vorliegende Strafprozessordnung (= StPO) dieses Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht aber auch denjenigen Personen, die – in irgendeiner Weise – „bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben“.
Gültig ist das Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht im Sinne von § 53a I 1.,2. Alt. StPO nämlich auch für die Berufshelfer der soeben aufgezählten Berufsgruppen, sofern der Richter keine Notwendigkeit darin sieht, diese Hilfspersonen von ihrer Verpflichtung zur Verschwiegenheit gemäß § 53a II StPO zu entbinden.
Durch die bundesdeutsche Strafprozessordnung von 1877 wird also ganz gewissen Zeugen vor Gericht im Anschluss an die Zeugenbelehrung (§ 57 1.-3. Alt. StPO) einschließlich Wahrheits- und Vollständigkeitsermahnung ein persönliches, aber auch berufliches Zeugnisverweigerungsrecht zugebilligt.
Gut, dass jedoch ausnahmslos alle Zeugen vor Gericht ein generelles Auskunftsverweigerungsrecht haben, wenn sie sich mit ihrer Zeugenaussage selbst belasten würden. Nach § 55 I StPO „kann jeder Zeuge die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.“ – so der exakt widergegebene Gesetzestext.
Da sich manche geladene Zeugen davor fürchten, dass sie vor Gericht vereidigt werden, und da sie ausserdem nicht wissen, ob sie nach § 61 StPO aus beruflichen oder persönlichen (verwandtschaftlichen!) Gründen ein Eidesverweigerungsrecht hätten, kommt es immer wieder vor, dass geladene Zeugen der Verhandlung fernbleiben. Man muss sich aber gut vor der Polizei oder anderen befugten Gerichtspersonen verstecken, um nicht zwangsweise vorgeführt zu werden (§ 51 I Alt. 3 StPO).
Wer als ordnungsgemäß geladener Zeuge nicht vor Gericht erscheint, dem werden die durch das Ausbleiben verursachten Kosten als Ordnungsgeld auferlegt, dem droht zwecks Zeugniserzwingung unter Umständen die Bestrafung mit Ordnungshaft (§ 51 I 2. Alt. StPO).
Wenn man als Zeuge in einem Strafprozess vor Gericht keinen glaubhaften Eidesverweigerungsgrund (§ 56 Alt. 2 StPO) geltend machen kann, ist man genau so arm dran, denn grundlose Eidesverweigerung wird gemäß § 70 I 1. Alt. StPO ebenfalls mit Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft bestraft. Ein Eid ist ein Schwur, sofern er mit einer religiöse Beteuerung (§ 64 I StPO) einhergeht: die Eidesformel schreibt vor, dass man nach bestem Wissen und Gewissen bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden schwört, die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen zu haben. Kein Wunder also, dass bei Meineid auch dem Zeugen unter Umständen eine längere Gefängnisstrafe droht. Im Sinne von § 60 Nr. 1 StPO kann das hohe Gericht nur Minderjährige und psychisch Kranke oder Personen, die von der Bedeutung eines Eides keine Ahnung haben, von der Vereidigung befreien.
Übrigens: Die alten Römer haben dem Schweigen Erklärungswert beigemessen und forderten die Akzeptanz ihres Sprichworts „Wer schweigt, stimmt zu!“ auch vor Gericht.