Die Leipziger Frühjahrsbuchmesse 2018 als Brückenbauer, Spiegelbild und Austragungsort aktueller Debatten
Benedikt Vallendar
Leipzig – Früher ging es auf der Leipziger Buchmesse gemächlich zu. Undenkbar, das literarische Frühjahrsfest auf dem Messegelände für politische Happenings zu missbrauchen, gar Andersdenkende mit Trillerpfeifen und Knüppeln zu traktieren. Ein Umstand, der sich gründlich geändert hat. Denn seit dem Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) in den Bundestag, der jüngsten Kritik des Bestseller-Autors Uwe Tellkamp („Der Turm“) an der deutschen Flüchtlingspolitik und den wachsenden Auflagen konservativer Verlage gerät auch die alljährlich im März stattfindende Buchmesse vor den Toren Leipzigs in den Fokus gesellschaftspolitscher Debatten. Was einerseits erwünscht ist, der Messeleitung aber auch „zunehmend Probleme bereitet“, wie eine Mitarbeiterin einräumte. Man wolle auch in Zukunft verhindern, dass einzelne Stände unter Polizeischutz gestellt werden, da dies die „offene Atmosphäre“, den „Begegnungscharakter und den „freien Gedankenaustausch“ beschädigen würde.
Linke Gewalt gegen Andersdenkende
Das Problem: Wo man früher leidenschaftlich diskutierte, fliegen heute schon mal die Fetzen und manchmal leider auch die Fäuste, was dem Profil der Leipziger Buchmesse diametral entgegen stehe, so Messedirektor Oliver Zille. Bei einer Veranstaltung des konservativen Antaios-Verlages, der auch zum Lebensschutz publiziert und dessen Autoren die in der Fachwelt umstrittene Genderforschung in Frage stellen, war es am zweiten Messetag zu massiven Störungen gekommen. Nach Augenzeugenberichten unterbrachen linke Demonstranten eine Lesung mit lauten Sprechchören, wie „Nie wieder Deutschland“ und „Refugees are welcome here“. Den Berichten zufolge kam es zu Rangeleien und Handgreiflichkeiten, bei der einem Vertreter des Antaios-Verlages ins Gesicht geschlagen wurde.
Schlagzeilen machten indes weder das diesjährige Gastland Rumänien noch die drei Gewinner des mit je 15.000 Euro dotierten Preises der Leipziger Buchmesse in den Bereichen Belletristik, Sachbuch und Übersetzung. Stattdessen konzentrierte sich das Medieninteresse bereits im Vorfeld auf die befürchteten Scharmützel zwischen rechten und linken Gruppen, die die Leipziger Buchmesse als mediale Arena für sich entdeckt zu haben scheinen.
Schatten der Vergangenheit
Missmutig blickte das offizielle Rumänien nach Leipzig. Trotz teuer eingekaufter PR schüttelten seine Politiker in Bukarest verärgert den Kopf über das, was sie von ihren Autoren auf der Leipziger Buchmesse zu hören bekamen. Ihre Erwartung, als Speerspitze eines modernen Europa porträtiert zu werden, quittierten die rumänischen Schriftsteller mit Berichten über Korruption, Misswirtschaft und mafiöse Strukturen in ihrem Land. Dessen offizieller Abgesandter, der rumänische Außenminister Teodor Meleecanu, einstmals Chef des Auslandsgeheimdienstes, reagierte konsterniert, indem er auf Englisch ein farbloses Grußwort verlas und dann im Nirwana der Messehallen verschwand, ohne sich lange mit den Literaten seines Landes abzugeben.
Dabei hätten die ihm wohl einiges zu erzählen gehabt, von staatlicher Willkür, Armut und den Schatten der kommunistischen Vergangenheit, die noch immer wie Mehltau über dem, nach Bulgarien, wirtschaftlich schwächsten EU-Land liegen. „Unsere Kinder und Enkel wissen wenig über das Leben im Kommunismus“, beklagte der rumänische Erfolgsautor Mircea Cartarescu. Nach dem Sturz der Diktatur im Dezember 1989 hatten die meisten seiner Landsleute genug damit zu tun, das Leben in der Nachwendezeit zu organisieren, so dass die Vergangenheit rasch in Vergessenheit geriet.
Cartarescu und seine Schriftstellerkollegen, darunter die deutsch-rumänische Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller verstehen sich als Chronisten eines Landes, das wohl am meisten unter dem Lügenkonstrukt der roten Diktatur gelitten hat, darunter auch die Literaturszene. Denn der rumänische Büchermarkt ist mit knapp 19 Millionen Muttersprachlern überschaubar, ebenso die Auflagen, von denen es immerhin 40 Neuerscheinungen nach Leipzig geschafft haben. Nur 60 Millionen Euro setzt die Branche jährlich um. Seit es das Fernsehen als Realitätsflucht gibt, habe die Literatur massiv an Bedeutung verloren, klagte ein Kleinverleger aus Bukarest. In Rumänien würde EU-weit am wenigsten gelesen, kaum ein Autor könne vom Schreiben leben, war an zahlreichen Ständen zu hören. Indes die rumänischen Verlage darauf setzen, dass die elektronischen Medien auch in ihrer Branche eine Zeitenwende einläuten werden.