Teil 1: Landgericht Berlin am Tegeler Weg
Thomas Claer
Wenn wir am Alltag unterwegs etwas zum Mittag essen, dann erwarten wir keine Gourmet-Genüsse, doch möchten wir satt werden, es soll schmecken, nicht gerade ungesund sein, darf nicht zuviel kosten, und man möchte vielleicht noch halbwegs angenehm sitzen. Mit dieser Erwartungshaltung begeben wir uns in die Kantine des Landgerichts Berlin am Tegeler Weg, die den viel versprechenden Namen „Casino“ trägt. Es ist ein klirrend-kalter Dezembertag. Wenn es geschneit hat, ist Berlin schon deswegen viel schöner als sonst, weil man dann den in den Straßen liegenden Müll und die Hundehaufen nicht mehr so genau sehen kann. Zu unserer anfänglichen Enttäuschung liegt die Kantine aber gar nicht im prächtigen Altbau des Landgerichtsgebäudes, errichtet von 1901 bis 1906 in Anlehnung an einen romanischen Kaiserpalas, sondern im viel profaner wirkenden Neubau. Doch hat auch dieser schon seine über achtzig Jahre auf dem Buckel und kann seinerseits einen beachtlichen funktional-ästhetischen Charme entfalten. Praktischerweise befindet sich das „Casino“ in dessen oberstem Stockwerk und bietet durch seine großen Fenster einen herrlichen Blick auf die vis-a-vis vorbei fließende Spree und den sich am gegenüberliegenden Ufer befindenden Schlosspark Charlottenburg. Wir haben Glück, die Kantine ist eher mäßig besucht, so dass wir Plätze mit exzellenter Aussicht finden. Besonders vornehm wirkt das Publikum nicht gerade: Einige Handwerker und Bauarbeiter sitzen dort. Die Anwälte kann man in Berlin bekanntlich eher nicht an Hemd und Krawatte erkennen, von einer Robe ganz zu schweigen. Aber im Landgericht vielleicht doch? Es sind wohl einfach gerade keine Anwälte da.
Drei Wahlessen bietet das „Casino“ täglich an: Heute gibt es gebratene Scholle mit Speckkartoffeln und Ofentomate für 4,80 €, Bratwurst mit Sauerkraut und Salzkartoffeln für 3,50 € sowie Eierkuchen mit Apfelmus für 2,50 €. Deutsche Hausmannskost also, nun gut. Wir nehmen Scholle und Bratwurst. Das Fischgericht ist ganz ausgezeichnet: die Scholle knackig braun gebacken, die Tomate gleichmäßig durchgeschmort und aromatisch, die Speckkartoffeln deftig und von fester Konsistenz. Da kann das andere Gericht aber längst nicht mithalten: die Bratwurst kein bisschen knackig, die leicht säuerliche Sauce wirkt geschmacklich seltsam unentschieden, das Sauerkraut gewiss aus der Dose, einzig die Kartoffeln sind passabel. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis her ist diesmal das Teuerste am günstigsten – jedenfalls in Relation zum Döner Kebab unten an der Ecke für 2,50 €. (Die Döner-für-ein-Euro-Zeiten sind auch in Berlin längst vorbei, selbst nach einem Zwei-Euro-Döner muss man heute schon lange suchen.) Die Scholle ist deutlich mehr als doppelt so gut wie der Döner, die Bratwurst hingegen bestenfalls gleichwertig mit letzterem. Wir trinken noch eine Tasse Kaffee für 75 Cent. Der erweist sich aber als dünn und unaromatisch.
Dafür genießen wir ein besonderes Highlight dieses Beköstigungsraums: Wir betreten die beiden Dachterrassen, wo man von Frühling bis Herbst auch sehr schön draußen sitzen kann, wie die dort gestapelten Plastikstühle und –tische verraten. Jetzt türmt sich dort aber der Schnee. Als wir wieder hereinkommen und der Schnee von unseren Schuhen fällt, wirft uns die Kantinenwirtin einen strafenden Blick zu, sagt aber nichts. Das gibt wiederum einen Pluspunkt. Negativ hingegen ist der Verkehrslärm auf den Dachterrassen: Der Tegeler Weg führt, wie es der Name schon ahnen lässt, direkt zum Flughafen Tegel. In besonders großer Zahl sind dort Taxis unterwegs. Wenn „Tegel“ in zwei Jahren stillgelegt wird, könnte es hier deutlich ruhiger werden. Alles in allem ist das „Casino“ im Landgericht also keine schlechte Wahl. Beim Essen kann man zwar auch mal danebengreifen. Der große Vorzug aber ist der schöne Ausblick.
Und noch viel besser wird es, wenn man sich nach dem Essen noch etwas Zeit für einen Spaziergang über die nahe gelegene S-Bahn-Brücke in den Schlosspark nehmen kann. So romantisch verschneit bietet dieser einen zauberhaften Anblick. Nur ist dort, wie eigentlich immer, außer vielleicht tagsüber im Hochsommer, erstaunlich wenig los. Ich erinnere mich, dass wir dort an einem lauen Sommerabend – die Touristen sind um diese Zeit schon woanders – fast alleine unterwegs waren und den Sonnenuntergang hinter dem Mausoleum, in welchem Kaiser Wilhelm I. mit Familie bestattet ist, bewunderten. Da sahen wir aus der Ferne zwei Personen auf den Parkbänken am Springbrunnen sitzen. „Das sind die wahren Romantiker!“, rief ich, erfreut über die vermeintlichen Freunde des Sonnenuntergangs im historischen Ambiente. Als wir näher kamen, sahen wir die Schnapsflaschen in ihren Händen und hörten ihr Gejohle. „Das sind eher die wahren Alkoholiker“, meinten meine Begleiter daraufhin. Heute ist der Karpfenteich vollständig zugefroren und von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Vor ein paar Jahren, als einige Wochen lang zweistellige Minusgrade herrschten, wurde das idyllische Gewässer, hinter dem das pompöse Schloss in alter Pracht erstrahlt, von SPIEGEL ONLINE zu Deutschlands schönstem Schlittschuhlauf-Teich gekürt.
Wem weder der schöne Ausblick noch die exklusive Spaziergangs-Chance die deutsche Hausmanns-Kost in der Gerichtskantine erträglich machen kann, der sei noch auf eine wahrhaft einzigartige kulinarische Alternative hingewiesen: Fünf Minuten bis zur U-Bahn Jungfernheide laufen, vier Stationen nach Süden bis „Wilmersdorfer Sraße“ fahren (ca. 5 min), dort den S-Bahn-Tunnel passieren und rechts in die Gervinusstraße einbiegen – dort findet man den Talad-Thai-Imbiss. Dieser hat mit anderen Thai-Restaurants in Deutschland nicht so viel zu tun, denn hier wird ausschließlich original thailändisch gekocht. Man erlebt eine fürwahr explosive Mischung aus Deftigkeit, Süße und Schärfe. Jedes Essen kostet gerade einmal fünf Euro. Gespart wird aber nicht an den Zutaten oder Gewürzen, sondern allenfalls an der Quantität des Personals. Wessen Begleiterin etwas etepetete ist, der sollte ein Papiertaschentuch bereithalten und den Tisch vor dem Essen kurz selber abwischen. Seit einiger Zeit aber ist der Talad-Thai-Imbiss, wie die steigenden Besucherzahlen beweisen, kein Geheimtipp mehr. Allmählich hat sich nämlich herumgesprochen, was hier geboten wird: Gourmet-Genuss zum Kantinenpreis.
Fortgesetzt wird unsere Serie demnächst von unserer Autorin Sabine Weber mit „Recht kulinarisch, Teil 2“ über die Mensa der Universität Düsseldorf.
danke für gute Information!
[…] kostet der Kaffee nur 75 Cent! Es lohnt sich jedenfalls, den kompletten Gerichtskantinen-Test bei justament online zu […]