Deutsche Juristenbiographien, Teil: 22: Ernst-Rudolf Huber (1903-1990)
Matthias Wiemers
Ernst Rudolf Huber zählt zu den umstrittensten Staatsrechtslehrern des 20. Jahrhunderts, aber ohne Zweifel auch zu den produktivsten und originellsten.
Ernst Rudolf Huber war Rheinländer und zugleich Oldenburger. Dies ist auf ein staatsrechtliches Kuriosum zurückzuführen, das Fürstentum Birkenfeld unweit von Trier, das im Jahre 1903, als Huber dort als Sohn eines protestantischen Kaufmanns in Oberstein – heute Idar-Oberstein – geboren wird, zum Großherzogtum Oldenburg gehört. Auf Oldenburg werden wir im Folgenden noch zurückkommen.
Wie viele junge Rheinländer jener Jahre, engagiert sich Huber nicht nur in der Wandervogelbewegung, sondern auch in deutschnationalen Kreisen, die durch das Erlebnis der Rheinlandbesetzung nach dem Ersten Weltkrieg gestärkt werden.
Das Studium der Philosophie, Nationalökonomie und Rechtswissenschaften führt Huber zunächst nach Tübingen und München und sodann nach Bonn, wo er 1926 bei Carl Schmitt über ein staatskirchenrechtliches Thema promoviert. Nach dem Weggang Schmitts 1928 nach Berlin bleibt Huber in Bonn, wo er sich 1931 bei dem Industrierechtler Heinrich Göppert über „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ habilitiert, das als Buch Mitte der 1950er Jahre eine zweite, dann zweibändige und wesentlich erweiterte Auflage erlebt.
Der Kontakt zu Schmitt, der von Bonn nach Berlin, dann nach Köln und wieder nach Berlin berufen wird, reißt allerdings nicht ab. Huber bleibt vielmehr eine Art Assistent Schmitts, als dieser 1932 als Berater der Regierung Schleicher fungiert. Huber selbst hat hierüber auf der Speyerer Tagung über Carl Schmitt, veröffentlicht 1988 u. d. T. „Complexio Oppositorum“, berichtet.
Zum 1. Mai 1933 erfolgt der Beitritt zur NSDAP, und das bald darauf durch Entlassung des ronommierten Völkerrechtlers Walter Schücking in Kiel freiwerdende Ordinariat wird bereits im Herbst des Jahres durch Huber besetzt. In Kiel ist Huber Teil einer besonders für die nationalsozialistische Rechtserneuerung ausersehenen Fakultät und übernimmt schon bald die Herausgabe der Zeitschrift für die Gesamte Staatswissenschaft und verfasst zunächst eher Broschüren und Aufsätze zur Verfassungsstruktur des neuen Reiches, bevor er 1937 – die neue Studienordnung, zu deren Entstehen er Debattenbeiträge geleistet hat, hat die entsprechende Vorlesung so genannt – mit der Schrift „Verfassung“ die bis dato umfangreichste Darstellung des nationalsozialistischen Verfassungsrechts vorlegt. In dem rund 330 S. umfassenden Band stellt Huber klar, dass die Weimarer Reichsverfassung durch die Gesetze vom 24. März 1933 und 30. Januar 1934 abgelöst wurde, die er als „werdende Verfassung des Dritten Reiches“ (S. 46) bezeichnet. Bereits zwei Jahre später, Huber lehrt inzwischen in Leipzig, legt er mit dem „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches“ die Neuauflage seines Grundrisses vor, die etwa 200 Seiten umfangreicher ist und in dem – um bei dem inhaltlichen Beispiel zu bleiben – den Ausführungen über die Ablösung der Weimarer Reichsverfassung ein kleiner Text über „Die Übernahme alter Verfassungssätze in das nationalsozialistische Recht“ eingefügt ist (S. 52 ff.). Dieses Werk wird sodann nicht neu aufgelegt. Huber wechselt 1941 an die Reichsuniversität Straßburg, die er Ende 1944 vor westalliierten Truppen fliehend verlassen muss. Er versieht in diesem Wintersemester zunächst einen Lehrauftrag in Heidelberg. Seit März mit Frau Tula, der Tochter des früheren Reichspräsidenten Simons, und den inzwischen fünf Söhnen im Schwarzwalt lebend, harrt er seiner Entnazifizierung, die 1948 zur Einstufung als „Mitläufer“ führt. Tula Huber-Simons sichert den Lebensunterhalt der Familie als Rechtsanwältin. 1952 erhält Huber einen Lehrauftrag für „Neuere Verfassungsgeschichte“ in Freiburg, mit der er sich schon in den Jahren zuvor befasst hat. Aber sowohl eine Berufung auf den Lehrstuhl des nach München berufenen Theodor Maunz als auch die Erweiterung des Lehrauftrags auf Wirtschaftsverwaltungsrecht scheitern. Erst 1956 erfolgt die Ernennung zum Honorarprofessor für Wirtschaftsrecht und Neuere Verfassungsgeschichte. Der Ruf auf ein universitäres Ordinariat unterbleibt, aber 1957 wird Huber an die damalige Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven-Rüstersiel berufen, wo in diesem Jahr auch der erste Band der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789“ erscheint.
Wilhelmshaven ist ebenfalls ein staatsrechtliches Kuriosum: Mitte des 19. Jahrhunderts aus mehreren Oldenburgischen Dörfern als preußischer Nordseehafen entstanden, wurde es ausgerechnet 1937 im Zuge des „Groß-Hamburg-Gesetzes“ von Preußen nach Oldenburg zurückgegliedert.
Eine weitere Umgliederung führt schließlich dazu, dass Huber doch noch Ordinarius an einer renommierten deutschen Universität wird: 1962 wird die kleine Hochschule in Wilhelmshaven geschlossen und durch einen kultusbürokratischen Akt der Universität Göttingen einverleibt. Der zweite Band der voluminösen Verfassungsgeschichte ist ausweislich des Vorworts noch in Wilhelmshaven, der dritte in Göttingen und der vierte (1969) bereits in Freiburg vollendet worden, wo Huber nach seiner Emeritierung im Jahre 1968 wieder ganz lebt. Der achte, das Gesamtregister enthaltene Band der Verfassungsgeschichte, erscheint 1991, ein Jahr nach dem Tod ihres Autors, der sich Jahrzehnte an der Verfassungsgeschichte abgearbeitet hat, deren Akteur er am Ende der Weimarer Republik (Bd. 7, 1984) selbst gewesen ist.
Bis heute umstritten und etwa erst 1955 in die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zurückgekehrt, hat Huber Pionierarbeit in der Verfassungsgeschichte, im Wirtschaftsverwaltungsrecht und nicht zuletzt im Staatskirchenrecht geleistet. Die Beiträge während des Dritten Reichs werden teilweise als Versuche gesehen, das neue System rechtlich einzuhegen. Auch zeugt etwa der von Ewald Grothe herausgegebene Briefwechsel mit seinem Lehrer Carl Schmitt davon, dass Huber, Vater u. a. des langjährigen Vorsitzenden des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber, sich von seiner NS-Vergangenheit abwenden wollte. Ob dies glaubwürdig ist, mag der Leser seines Werks selbst entscheiden.
Quellen:
Ewald Grothe, „Strengste Zurückhaltung und unbedingter Takt“ – Der Verfassungshistoriker Ernst-Rudolf Huber und die NS-Vergangenheit, in: Eva Schumann (Hrsg.), Kontinuitäten und Zäsuren. Rechtswissenschaft und Justiz im „Dritten Reich“ und in der Nachkriegszeit, S. 327 ff.
Christoph Gusy, Ernst Rudolf Huber (1903-1990) – vom neohegelianischen Staatsdenken zur etatistischen Verfassungsgeschichte, in: Häberle/Kilian/Wolff, Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, S. 641 ff.