Matthias Herdegen beschreibt den „Kampf um die Weltordnung“
Matthias Wiemers
Der Bonner Staats- und Völkerrechtler Matthias Herdegen, neben seinen Studenten und Lesern seiner zahlreichen Lehrbücher eher den Nutzern des „Maunz-Dürig“, dessen geschäftsführender Herausgeber er seit Jahren ist, bekannt, trat vor nunmehr mehreren Monaten an das Licht einer größeren Öffentlichkeit: Er erbot sich, für den Bundesvorsitz der CDU zu kandidieren. Nun soll es gelegentlich vorkommen, dass Bonner Völkerrechtler der CDU angehören, aber das ließ doch aufhorchen. Und nun, nur wenige Wochen später und bereits mit der Jahresangabe 2019, erscheint in einer wohl dem allgemeinen Buchmarkt gewidmeten Aufmachung ein Buch mit dem Titel „Der Kampf um die Weltordnung“ im Verlag C. H. Beck.
Was haben wir uns darunter vorzustellen? Das Buch trägt den Untertitel „Eine strategische Betrachtung“, und der Gedanke der Strategie durchzieht das Buch. Im Übrigen ist dies eine Mischung aus Völkerrechtslehre und Politikwissenschaft. Dabei spannt der Autor zunächst das Spanungsfeld einer internationalen Ordnung zwischen Macht und Recht auf (Kap. I.), stellt unterschiedliche Theorien von den internationalen Beziehungen – von den eher realistischen (II.) zu den eher kooperativen bzw. „liberalen“ (III.) dar, leitet zu Elementen einer internationalen Ordnung über (IV.) und wandelt den Fokus der Darstellung sodann immer mehr zu rechtlichen Betrachtungen: „Ordnungsvorstellungen und Rechtsfindung“ (V.), „Einhegung der Macht: Status und Gleichgewicht im Völkerrecht“ (VI.), „Der Kern der internationalen Ordnung: Sicherheit in der Staatenwelt und der positive Frieden“ (VII.), „Schutz durch die Staatengemeinschaft: Systeme kollektiver Sicherheit“ (VIII.), „Selbstverteidigung“ (IX.), „Waffengewalt für Menschenrechte: Humanitäre Intervention“ (X.), „Befriedung durch internationale Gerichte“ (XI.). Im vorletzten Kapitel wandert gewissermaßen der Blick zurück zum Tatsächlichen: „Der Blick ins Innere der Staaten: Der Zusammenhang von innerer und äußerer Ordnung“ (XII.), worin etwa die Themen „Good Governance“ und „wirtschaftliche Integration“ behandelt werden. In einer „Schlussbetrachtung: Macht und Recht in einer strategischen Verknüpfung“ (XIII.) wird noch einmal die unterschiedliche Funktion von Strategie in den unterschiedlichen „Ordnungssegmenten“ betont.
Wer nun dachte, mit diesem Buch eine stringente Theorie der internationalen Beziehungen geliefert zu erhalten, die am Ende zu einem überzeugenden Erkenntnisgewinn geführt hätte, wird enttäuscht. Der Nutzen des – im Übrigen mit zahlreichen Originalzitaten in englischer Sprache durchzogene – Werks besteht darin, historische Entwicklungen in der Lehre von den internationalen Beziehungen und des Völkerrechts nachvollziehen zu können und dabei insbesondere den Wandel in den letzten beiden Jahrzehnten aus Sicht eines Völkerrechtsexperten kommentiert zu erhalten. Dies geht bis in die jüngste Zeit, die von der Herausforderung der Migration gekennzeichnet ist. Herdegen führt hier etwa wörtlich aus: „Die Diskussion über die Migration von Flüchtlingen aus materieller Not leidet vor allem in Deutschland und anderen Ländern Kontinentaleuropas an mangelnder Komplexität. Übersehen wird dabei, dass die Aufnahme von Flüchtlingen aus Entwicklungsländern und Krisenregionen in erster Linie ein Problem für Nachbarländer ist und die Migration in die Europäische Union quantitativ eher eine periphere Entlastung bedeutet. Das Signal einer hohen Aufnahmebereitschaft („Willkommenskultur“) ist als Ausdruck der Empathie für materielle Not naheliegend und verständlich. Aber entwicklungsökonomische Untersuchungen legen nahe, dass die damit geschaffenen Anreize zur Migration in Industrieländer höchst problematisch sind. Sie entziehen den Entwicklungsländern mit den „aspirational refugees“ gerade die jungen Menschen, die für einen wirtschaftlichen Aufbau unerlässlich sind, während die schwächere Bevölkerung zurückbleibt. Mit den Kosten für die Integration eines Flüchtlings ließen sich in den Ursprungsländern oft mehr als 100 Menschen effektiv unterstützen. Sowohl im Interesse internationaler Stabilität als auch im Sinne einer wohlverstandenen Ethik kann die Antwort der Industriestaaten auf Flüchtlingsbewegungen nur in der Förderung von „good governance“ und neuer wirtschaftlicher Strukturen liegen.“
Wollte Herdegen mit seiner gelegentlich als schnell geschrieben erscheinenden Schrift in Wahrheit seine Kandidatur unterstützen?
Unabhängig davon zeigt sich hier, dass ein Hochschullehrer des öffentlichen Rechts der praktischen Politik einiges zu vermitteln hat. Hoffen wir, dass das Buch von zahlreichen Praktikern gelesen wird!
Matthias Herdegen, Der Kampf um die Weltordnung. Eine strategische Betrachtung, Verlag C. H Beck, München 2019, 291 S., 21, 90 Euro (ISBN 978-3-406-73288-1)