Billard der Geschlechter

Recht dramatisch, Teil 1: Ibsens „Hedda Gabler“ im Neuen Schauspielhaus in Bremen
Thomas Claer

Dramatik pur! (Foto: Theater Bremen)

Dramatik pur! (Foto: Theater Bremen)

Hedda Gabler, allseits beliebtes und begehrtes Partygirl aus gutem Hause, ehelicht nach Jahren des unbeschwerten Genusses („Ich habe mich müde getanzt.“) den ambitionierten Staatsstipendiaten der Kulturgeschichte Jörgen Tesman, dem eine Professur winkt. Doch schon nach kurzer Zeit langweilt sie sich mit ihrem fleißigen und gutherzigen, aber farblosen Gatten. Ein sehr modernes Nebenwerk des Dramatikers Henrik Ibsen (1828-1906) gibt es im Bremer Schauspielhaus in der Inszenierung von Sebastian Schug zu entdecken: Mit großer Zielstrebigkeit verfolgen die Protagonisten des Stücks – drei weibliche und drei männliche Figuren, das von Ibsen eigentlich noch vorgesehene Dienstmädchen wurde eingespart – ihren jeweils spezifischen Willen zur Macht und spielen dabei auch munter über die Bande. Den Männern geht es dabei letztlich immer nur um das eine: die Gunst der schönen Hedda. Die Frauen hingegen streben vorrangig nach dem Mann, der ihnen gerade den höchsten sozialen Status verspricht. Und weil die Männer das merken, basteln sie eifrig an ihrer Karriere. Pikant wird die Konstellation dadurch, dass fast alle Beteiligten jeweils schon vormals „etwas miteinander gehabt“ haben.
Das Unglück nimmt seinen Lauf, als bekannt wird, dass Ejlert Lövborg, ein Hallodri und Trinker, dabei Heddas früherer Geliebter und Jörgens früherer Kumpel, wieder in der Stadt ist. Er hat unter dem Einfluss von Thea Elvstedt, der einstigen Geliebten von Jörgen, die – für damalige Verhältnisse ein unerhörter Schritt – Kinder und Ehemann verlassen hat, um mit ihm, Ejlert Lövborg, zusammenzuleben, ein herausragendes wissenschaftliches Werk verfasst, durch das er zum aussichtsreichen Konkurrenten von Jörgen für die ausgeschriebene Professur wird. Daraufhin entdeckt Hedda ihre alte Liebe zu Ejlert aufs Neue (vielleicht auch, um ihrer alten Freundin Thea eins auszuwischen) und ist drauf und dran, sich von ihrem Ehemann ab- und Ejlert zuwenden. Dieser jedoch, der seine Lebensabschnittsgefährtin Thea mit den entwaffnend ehrlichen Worten „Ich brauche dich nicht mehr!“ in die Wüste schickt, manövriert sich durch einige Ausraster im trunkenen Zustand auf der Privatparty des Richters Assessor Brack, der seinerseits um die Zuwendung der schönen Hedda buhlt und sie später sogar zu diesem Zweck erpresst, ins gesellschaftliche Abseits. Darauf verliert Hedda nicht nur blitzschnell wieder das Interersse an Ejlert, sondern verbrennt auch gleich noch sein Buchmanuskript (es gibt keine Kopie), um so die Professur ihres Mannes Jörgen vollends abzusichern. Am Ende geben sich zuerst Ejlert und dann auch Hedda die Kugel.
Sehr zeitgenössisch wirkt dieser faszinierende Plot in der Bremer Aufführung, die sich auf  einige optische und verbale Anpassungen ans Hier und Jetzt beschränkt. Mehr ist auch gar nicht nötig, um das erstmals vor 128 Jahren aufgeführte Drama in unsere Gegenwart  zu überführen. Die Akteure spielen durchweg exzellent. Der musikalische Rahmen mit dem leitmotivischen Popsong „Bang Bang“ von Nancy Sinatra – besonders gelungen: am Klavier vorgetragen von Hedda-Darstellerin Franziska Schubert – rundet das Schauspiel ganz vortrefflich ab. 

Und doch denkt man sich, die Geschichte ließe sich in ihrer Radikalität noch steigern. Stückeschreiber und Regisseure aufgepasst: Ein „Hedda Gabler reloaded 2010“ könnte wie folgt aussehen: Die Protagonisten sind allesamt bisexuell und begehren einander zusätzlich noch von Frau zu Frau und von Mann zu Mann. Auch die Damen sind ihrerseits im Karrierewettstreit mit von der Partie und verschaffen sich so einen Wettbewerbsvorteil durch strategische Diversifizierung. Doch lassen sich die Akteure nicht so leicht entmutigen und die Pistolen folglich aus dem Spiel. Wenn schon, dann werfen sie sich vor einen Zug.

Hedda Gabler

von Henrik Ibsen, Deutsch von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Sebastian Schug, Bühne: Christian Kiel, Kostüme: Geraldine Arnold, Musik: Johannes Winde, Dramaturgie: Diana Insel.
Mit: Sven Fricke, Franziska Schubert, Gabriele Möller-Lukasz, Susanne Schrader, Guido Gallmann, Glenn Goltz.

 
Video-Ausschnitte bei YouTube:
http://www.youtube.com/watch?v=GKvsdUyxAz8

Veröffentlicht von on Jan 4th, 2010 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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