Andreas Meisterernst legt ein neues Lehrbuch zum Lebensmittelrecht vor
Matthias Wiemers
Der Münchner Rechtsanwalt Andreas Meisterernst ist seit Jahrzehnten im Lebensmittelrecht tätig. Seine Kanzlei darf zu den europaweit bekannten Vertretern dieses in den letzten Jahren enorm gewachsenen Rechtsgebiets zählen, das gewissermaßen der Zwiebel des Sozialstaats ein neues Häutchen übergezogen hat. Auf dieser Zwiebelhaut tummeln sich heute, Bakterien gleich, die Kanzleien des Lebensmittelrechts. Und ähnlich wie Bakterien scheinen sie sich zu vermehren – oftmals durch Teilung.
Seine seit etwa 20 Jahren publizierten Beiträge zum Lebensmittelrecht sind oft von besonderer Nachdenklichkeit gekennzeichnet, weil Meisterernst dem Zeitgeist trotzt – auch wenn er wissen muss, dass er nicht der Katechon sein kann, der den übermächtigen Drang der Verbraucherschützer und Sozialpolitiker auf allen politischen Ebenen zu bändigen imstande wäre, ist es doch stets lesenswert, was er vorbringt und sind auch seine zahlreichen öffentlichen Vorträge stets engagiert und hörenswert.
Umso mehr muss das nun vorgelegte Lehrbuch in der im öffentlichen Recht wenig in Anspruch genommenen Reihe „Studium und Praxis“, das sich nicht nur an Juristen, sondern auch an Naturwissenschaftler wendet – und zwar sowohl in der Ausbildung als auch in der Praxis – ihm eine enorme Disziplin abverlangt haben. Denn mehr noch als in seinen zahlreichen Kommentierungen namentlich im „Zipfel/Rathke bedarf es natürlich in einem Lehrwerk der Beschränkung auf Wesentliches und Gesichertes. Diese Beschränkung ist Meisterernst, soviel schon vorab, gewissermaßen in ernster Meisterschaft gelungen.
Die knappe Einleitung (§ 1) ordnet zunächst ein: Bedeutung des Lebensmittelrechts, seine Entstehung und Entwicklung und wenige Grundstrukturen werden aufgezeigt, damit sich der Leser zunächst einen Überblick verschaffen kann.
Bei den Zielen des Lebensmittelrechts (§ 2) gibt es eine Überraschung: Hier wird ein Ziel des Verbraucherschutzes postuliert, das für den Autor aus den zwei Teilen der Lebensmittelsicherheit und der lauteren Information besteht. In einem zweiten Abschnitt wird dem das Ziel des Freihandels an die Seite gestellt, womit auf den gemeinsamen Binnenmarkt in der EU verwiesen wird, und erst danach werden einige „sonstige Ziele“ angesprochen, die als „Nebenzwecke“ bezeichnet werden, etwa solche der Agrarpolitik. Das kann man so machen. Dass das Verbraucherinformationsgesetz mit seinem Ziel der Verbraucherinformation an dieser Stelle des Bandes keine Rolle spielt, betrübt den Rezensenten nicht. Mit gleichem Recht hätte man aber auch die Nebenzwecke von dieser Stelle verbannen können.
Das äußerst knappe dritte Kapitel über „die wichtigsten lebensmittelrechtlichen Vorschriften“ (§ 3) stellt im Prinzip die Normenhierarchie im Lebensmittelrecht dar, bevor im vierten Kapitel die „Grundbegriffe des Lebensmittelrechts“ (§ 4) erläutert werden. Als wichtige Akteure des Lebensmittelwesens und des Lebensmittelrechts werden die Lebensmittelunternehmen in einem eigenen Kapitel (§ 5) dargestellt. Hierin wird auch der Begriff des Lebensmittelunternehmers dargestellt und werden insbesondere die Pflichten, Verantwortlichkeiten und strafrechtliche Verantwortung der Lebensmittelunternehmer systematisch erläutert.
Es ist sinnvoll, diesem Kapitel sogleich eines über die „Einrichtungen der Lebensmittelüberwachung“ (§ 6) nachfolgen zu lassen. Diese werden noch einmal unterschieden vom „Vollzug des Lebensmittelrechts“ (§ 7), was der Übersichtlichkeit sicherlich förderlich ist. Hier wird freilich mit vollem Inkrafttreten der neuen Kontroll-Verordnung alsbald eine Überarbeitung erforderlich sein.
Dass nun erst im danach folgenden Kapitel die „Lebensmittelsicherheit“ (§ 8) behandelt wird, zeigt, dass hier im Aufbau des Buchs eine gewisse Steigerung im Schwierigkeitsgrad der Themen erkennbar wird. „Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln“ (§ 9) sowie „Bewerbung von Lebensmitteln“ (§ 10) bilden weitere Kapitel, wobei in § 10 auch das allgemeine Wettbewerbsrecht mit behandelt wird. Als sinnvoll kann die Aufnahme eines kurzen Kapitels zum „Fernabsatz von Lebensmitteln“ (§ 11) bezeichnet werden.
„Geschütze Qualitäten“ (§ 12) und „Geschütze Produktionsverfahren“ (§ 13) bilden weitere Kapitel, wobei in § 13 nur Bio-Lebensmittel und solche „ohne Gentechnik“ behandelt werden. „Zulassungspflichtige Lebensmittel“ (§ 14) beinhaltet Novel Food und GVO.
Unter „Speziell geregelte Produktgruppen“ (§ 15) fasst Meisterernst verschiedene Regelungen zusammen, so solche über Lebensmittel tierischen Ursprungs, tiefgefrorene Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, Speziallebensmittel (früher diätetische Lebensmittel), angereicherte Lebensmittel und „Sonstige“ (Kakao und Schokoladenerzeugnisse, Fruchtsaft, Erfrischungsgetränke, Kaffee, Bier).
Nur kurz werden „Private Standards und Zertifizierungen“ (§ 16) abgehandelt. Im Kapitel über „Technologische Stoffe und Verfahren“ (§ 17) werden Zusatzstoffe, Aromen, Enzyme, Verarbeitungshilfsstoffe, Extraktionslösungsmittel und Bestrahlungen behandelt.
Ein kurzes Kapitel über „Zulassungsverfahren“ zieht einige in anderen Kapitel nur gestreifte Verfahrensanforderungen zusammen, was dem Aufbau des Werks nicht schadet und das Verständnis in den Einzelkapiteln eher erleichtert. „Import und Export von Lebensmitteln“ (§ 19) ist wiederum ein äußerst knappes Kapitel überschrieben. Es dürfte für die Ausbildung keine große Rolle spielen, sondern eher für den Praktiker interessant sein.
Nach seinem ebenfalls knappen Kapitel über „Das Verbraucherinformationsgesetz“ (§ 20) und ein Sammelkapitel über „Weitere Erzeugnisse“ (§ 21). Hierunter fallen Kosmetika und Tätowiermittel, aber auch Bedarfsgegenstände, Futtermittel und „mit Lebensmitteln verwechselbare Produkte. Das kann man so machen, allerdings hätte nach hiesiger Auffassung sowohl zu den Bedarfsgegenständen wie auch den Futtermitteln wohl noch etwas mehr gesagt werden können – insbesondere unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Regelung der Futtermitteln mit den Lebensmitteln in gemeinsamen Basis-Vorschriften. Dass die „Straf- und Bußgeldvorschriften“ (§ 22) noch einmal und zum Teil wiederholend in einem abschließenden Kapitel dargestellt werden, ist nicht zu beanstanden. Dies zum einen aus didaktischen Gründen, aber auch weil das überwiegend europäisierte Lebensmittelrecht hier durchaus die ein oder andere Grundsatzfrage aufwirft, für die man zumindest Hinweise auf Antworten finden muss. Der Umgang mit diesen ist Meisterernst gelungen.
Alles in allem: ein großer Wurf für nicht einmal 40 Euro. Der Band gehört, so lange kein aktuelleres Werk auf dem Markt ist, in den Bücherschrank jedes Lebensmittelrechtlers.
Andreas Meisterernst, Lebensmittelrecht, Reihe „Studium und Praxis“, Verlag C. H. Beck 2019, 465 S., 39, 80 (ISBN 9783406732867)