Aus dem Tagebuch einer Rechtbald-Referendarin
Liebes Tagebuch!
Stell dir vor, du bist ein Luftballon. Du fliegst durch die Wüste und genießt den Sonnenschein. Plötzlich rammst du einen Kaktus… So ungefähr fühlt es sich an, wenn das schriftliche Staatsexamen hinter einem liegt! Und wenn man diesen Marathon von Klausuren überstanden hat, dann stellt man sich schon mal die Frage, warum man denn um Himmels Willen ausgerechnet Jura studieren musste. Ja, wie bin ich nur auf diese folgenschwere Idee gekommen?
Ich habe keine Anwaltseltern und auch sonst sucht man in meiner Verwandtschaft umsonst nach juristischem Beistand. Wahrscheinlich habe ich Jura studiert, weil es mir Spaß macht, Fälle zu lösen. Schon als kleines Kind habe ich jeden Abend „Die Drei Fragezeichen“ gehört –auf Kassette, falls es noch Wesen auf diesem Planeten gibt, die sich an dieses Medium erinnern können. Außerdem durfte ich mit meiner Mama zusammen den Freitagabendkrimi gucken – so etwas kennen die meisten Jugendlichen von heute wohl auch nicht mehr. Liebe Kids: Früher gab es den Krimi noch im Fernsehen und nicht auf den U-Bahngleisen… Naja, und dann gab es da noch TKKG, Derrick, Der Alte, Ein Fall für Zwei, Allein gegen die Mafia, Miss Marple und Hercule Poirot. Sollte hier der Eindruck entstehen, ich hätte meine gesamte Jugend vor dem Fernseher verbracht, so kann ich nur sagen…ich sage nichts ohne meinen Anwalt!
Als ich dann – endlich erwachsen – im ersten Semester in der Vorlesung für Zivilrecht saß und der Prof den Mund aufmachte, dachte ich, mich trifft der Schlag! Nicht wegen dem, was er gesagt hat (diese Phase kam dann auch noch), sondern WIE er es gesagt hat. Seine Stimme…das konnte doch nur…das musste doch eigentlich…das war doch auf jeden Fall die Stimme von Justus Jonas von den Drei Fragezeichen!!! Wie gut, dass man heutzutage einfach mal googeln kann. Wie schlecht, wenn man dadurch zu der Erkenntnis gelangt, dass der BGB-Prof niemals in seinem Leben Synchronsprecher von Justus Jonas war. Aber er klang wirklich haargenau so und ich muss das wissen, so oft, wie ich die Drei Fragezeichen rauf- und runter gehört habe. Ob Justus Jonas oder nicht – die Zivilrechtvorlesung war meine Lieblingsveranstaltung!
Es ist doch so: Wenn jemand eine tolle Stimme hat, dann wird der Inhalt des Gesagten schnell zur Nebensache. Das ist ja eigentlich schlecht, wenn man sich etwas merken will. Andererseits ist mir aufgefallen, dass mein Gehirn diese Hörspielkassettenvorlesungen wesentlich leichter speichern konnte, als Vorlesungen, in denen die Tonlage des Profs der einer verstimmten Geige ähnelte. Im dritten Semester besaß der Ö-Recht-Prof eine so angenehme Stimme, dass ich sie sogar während der Klausur im Ohr hatte. Wie eine Kassette spielte diese innere Stimme ganze Passagen aus der Vorlesung ab. Irre, oder???
Die Phase vor dem Staatsexamen hat sich somit nur unwesentlich von meiner Kindheit unterschieden: einen Haufen Fragezeichen im Kopf und ab und an auch mal Bandsalat. Und wie ich mich jetzt nach meinem schriftlichen Examen fühle, dürfte ja nun wohl auch klar sein…